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AfD-Bürgermeister in Pirna Loyalitätsprüfungen, Konfrontationen und schlechte Stimmung

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Seit Februar 2024 ist Tim Lochner Oberbürgermeister von Pirna. Gewählt wurde er auf dem Ticket der AfD. (Quelle: Paul Gäbler)

An einem sonnigen Frühlingsnachmittag steht Tim Lochner, neuer Oberbürgermeister der sächsischen Kreisstadt Pirna im holzgetäfelten Ratssaal und mustert die geschwungene Holzvertäfelung. „19. Jahrhundert“, sagt er mit fachmännischem Blick auf die Fenstereinlassungen. „Das Gebäude ist älter, noch aus dem Mittelalter. Vom Original ist nicht so viel übrig.“ Mit dem Material kennt sich der gelernte Holzmodellbauer am besten aus.

Lochner, breite Schultern im blau gespickten Hemd, macht eine ausladende Geste, die er mit einem beeindruckend festen Händedruck abschließt. „Wenn ich will, könnte ich den ganzen Tag Presseanfragen bearbeiten“, sagt er mit leichter Zufriedenheit. Erst neulich wäre ein Kamerateam einer französischen Nachrichtenagentur hier gewesen. „Ich opfere eine Stunde meiner Zeit dafür, dass die Herrschaften mit einem Beitrag über mich Geld verdienen. Wird mir nicht ein zweites Mal passieren. Aber weil Sie sich so nett hier angekündigt haben,“ Lochner deutet auf die ausgedruckte Mail auf seinem Schreibtisch, „wollte ich mal nicht so sein.“ Glück also, dass es wenigstens zu einer halbstündigen Unterredung gereicht hat.

Tim Lochner ist parteilos. Aufgestellt wurde er von der AfD-Fraktion im Stadtrat. Ein Novum für die deutsche Lokalpolitik: Zum ersten Mal stellt die AfD einen Oberbürgermeister. Vergangenes Jahr war Robert Sesselmann das gleiche Kunststück im thüringischen Sonneberg als Landrat gelungen. Sie werden vermutlich nach den Kommunalwahlen, die am 9. Juni in mehreren Bundesländern stattfinden, nicht die einzigen bleiben und im Herbst könnte die AfD auch auf Landesebene ihre Erfolge ausbauen.

Dass es nun den gebürtigen Pirnaer Lochner ins Amt des Oberbürgermeisters gehoben hat, war für viele Beobachter*innen eine Überraschung. Weil das sächsische Wahlgesetz keine klassische Stichwahl kennt, trat Lochner im letzten Wahlgang gegen die Kandidat*innen von CDU und Freie Wähler an – und gewann mit über 38 Prozent der abgegebenen Stimmen. Lochner inszenierte sich als moderater Mann von Nebenan. Die von CDU, SPD, Grüne und Linkspartei unterstützte Kathrin Dollinger-Knuth musste sich mit deutlichem Abstand geschlagen geben.

Bereits am Wahlabend kündigte Lochner an, jeden Mitarbeiter des Rathauses einzeln kennen lernen zu wollen – und auf Loyalität zu prüfen. Ein verhängnisvoller Satz, von dem er rasch wieder zurückruderte. Der Bild-Zeitung sagte er auf Nachfrage, für ihn zeichne sich Loyalität durch Beziehungen aus, die auf Gegenseitigkeit, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit beruhen. Heute sagt er, man habe ihn in der ganzen Angelegenheit falsch verstanden. Sein Rathaussprecher Thomas Gockel hatte anscheinend genug und ließ mitteilen, er wolle seinen Posten nach 17 Jahren räumen.

Tim Lochner sagt, er sei „glühender Anhänger der CDU“ gewesen, für die er mehrere Jahre im Stadtrat und im lokalen Parteivorstand saß. „Da habe ich das noch nicht erkannt, wo das alles hinführt. Sie werden mich nicht auf die Ampel schimpfen hören. Die Verantwortung für den Zustand im Land liegt allein bei der CDU.“

Als 2014 die ersten Pegida-Demos in Dresden beginnen, ist er sofort mit dabei. Später tritt er gemeinsam mit Frauke Petry und ihrer „Blauen Wende“ auf, 2019 führt ihn eine Delegationsreise gemeinsam mit dem AfD-EU-Abgeordneten Maximilian Krah und dessen mittlerweile wegen Spionageverdachts festgenommen Mitarbeiters Jian G. nach China, berichtete die Süddeutsche Zeitung. Lochner dementiert. Er sei nicht Teil der Reise gewesen. „Das hätten manche Medien gerne gesehen.“

Lochner kommt aus einem DDR-kritischen Elternhaus, wie er selbst erzählt. Dadurch habe er kein Abitur machen können. Dass er nicht der AfD beigetreten ist, erklärt Lochner mit seinen früheren Erfahrungen. Auf Nachfrage, was er genau damit meine, bleibt er umkonkret. „Erfahrungen, die ich jedenfalls nicht noch einmal machen möchte.“

„Hat der Nicht-Beitritt zur AfD etwas damit zu tun, dass die Partei hier in Sachsen vom Verfassungsschutz als ‚gesichert rechtsextrem’ eingestuft wird?“

„Nein, das kann ich ohnehin nicht nachvollziehen, wieso eine Partei, die für parlamentarische Mehrheit kämpft, als verfassungsfeindlich eingestuft wird. Außerdem war das ja nur eine Presseinfo.“
„Es tut mir leid, dass ich direkt die Nazikeule auspacken muss, aber auch die NSDAP hat mit parlamentarischen Mitteln den Parlamentarismus abgeschafft.“

„Wenn wir danach gehen, müssen wir Wahlen abschaffen.“

„Weil alle Parteien in der Theorie den Parlamentarismus abschaffen könnten?“

„Wenn ich nicht mehr an Wahlen glaube, dann haben wir die Demokratie abgeschafft.“

„Das habe ich nicht gesagt.“

Aber ich sage das.“

(Um das Gespräch greifbarer zu machen, wurden die Fragen des Reporters im Text mit aufgenommen.)

Nur wenige hundert Meter vom Rathaus entfernt steht André Hahn, MdB für die Linkspartei in seinem Büro und blickt auf riesige Stapel Wahlkampfmaterial. Die Kommunalwahlen stehen an, gleichzeitig zum Europawahlkampf, direkt im Anschluss folgen die Landtagswahlen – und es könnte bitter für seine Partei werden.

Mit Gründung des Bündnis Sarah Wagenknecht hat die Partei ihren Fraktionsstatus im Bundestag verloren. In den Prognosen für die Landtagswahl krepiert die Linkspartei knapp unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde.

„Die Leute sitzen vor mir und sagen: Ich hab euch jahrelang gewählt, und was hat es mir konkret gebracht? Jetzt wähl ich halt die AfD, die sind lauter als ihr. Und ärgern die Regierenden am meisten.“ André Hahn ist in der Gegend gut verwurzelt, auch Lochner kennt er über seine Aktivitäten im Sportbereich, insbesondere dem Fußball, und durch seine Tätigkeit als Stadtrat. Man hatte ein eher kollegiales Verhältnis – bis sich Lochner vor einigen Jahren zu radikalisieren begann.

„Er hat ja hier schon mal kandidiert, als freier Kandidat damals. Da hat er Sprüche plakatiert wie ‚Es reicht!‘ und ´Schnauze voll!‘ Nicht eine einzige inhaltliche Aussage.“  Hahn schüttelt frustriert den Kopf. Es habe ihn einige Überwindung gekostet, als Linker im 2. Wahlgang die CDU-Kandidatin zu unterstützen. Dass die Freien Wähler trotzdem ihr eigenes Ding durchgezogen haben, hält er für den Kardinalfehler. „Außerdem hat Lochner hier leider durchaus eine breite Unterstützung im Ort. Einige Handwerker haben ihm kostenfrei riesige Plakatwände aufgestellt. Die hätte ich mir gar nicht leisten können.“

Im Ratssaal von Pirna ist die Raumtemperatur mittlerweile deutlich abgekühlt. Ganze 15 Minuten hat sich Lochner mit Medienbeschimpfung vergleichsweise zurückgehalten, bis er zum ersten Frontalangriff ausholt. Es geht um mögliche Verbindungen zu bekannten rechtsextremen Gruppen, unter anderem Pro Patria Pirna, deren Postings er bei Facebook geteilt hat. Mit Amtsantritt wurden die Beiträge wieder gelöscht, wie das „Kulturbüro Sachsen“ beobachtet hat.

„Ich bin ein DDR-Kind“, sagt Lochner hörbar gereizt „Ich habe mit dem Ministerium für Staatssicherheit zu tun gehabt. Der einzige Unterschied, den ich im Umgang mit Presse erlebe, ist, dass der Uniformierte früher noch daneben stand.“

„Empfinden Sie das Gespräch zwischen uns beiden jetzt auch so?“

„Inhaltlich schon. Ich höre diese Fragen teilweise zum zehnten Mal, es wird nicht besser. Jetzt bedienen Sie sich auch noch anderer Presseartikel.“

„Aber das gehört ja zu meiner Arbeit und deshalb konfrontiere ich Sie ja auch damit.“

„Ja, und ich möchte nicht konfrontiert werden, ich möchte gefragt werden!“

Es ist etwas, was alle AfDler eint: Sie mögen im privaten Gespräch deutlich moderater sein als auf ihren Wahlplakaten. Aber was sie nicht leiden können, sind nervende Pressevertreter:innen, die ihnen unbequeme Fragen stellen.

„Herr Lochner, wo beginnt für Sie Rechtsextremismus?“

„Wenn Sie das Wort ‚Rechts‘ streichen, dann haben Sie die Antwort.“

„Sie wissen, dass unsere Bevölkerung schrumpft. Wie wollen Sie und Ihre Partei denn der Schwund an Arbeitskräften aufhalten, wenn nicht durch Migration?“

„Wir wissen aber auch, dass Einwanderung bis jetzt nicht nachweisen konnte, dass die das kann.“

„Machen Sie sich Sorgen, dass Sie das Amt überfordert?“

„Null Sorgen. Und das sage ich Ihnen jetzt nach sieben Wochen.“

Die Rathausuhr schlägt zur halben Stunde. Lochners Sekretärin steckt den Kopf zur Tür herein und erinnert an die anstehende Telefonkonferenz. Ein schnelles Foto, ein erneuter fester Händedruck und das Gespräch ist vorbei.

Vielleicht will oder kann Tim Lochner nicht verstehen, welche Kräfte er mit der Kandidatur für die AfD freisetzt. Es ist wie nach einer gescheiterten Ehe, wo der neue Partner ausschließlich danach ausgesucht wird, die alte Liebschaft so sehr wie möglich zu verletzten. Lochner mag vielleicht kein geschlossenes rechtes Weltbild haben, aber ist politisch zu naiv und ungebildet, um zu erkennen, in welcher Tradition „seine“ AfD steht. Eine Strategie beherrscht er bereits vorzüglich: harte Äußerungen, die er im Nachhinein nicht so gemeint haben will.

Allerdings sind die administrativen Möglichkeiten eines Bürgermeisters begrenzt. Mehr als symbolische Erfolge dürften für Lochner nicht drin sein. Bereits angekündigt hatte er, die Regenbogenflagge nicht mehr zu hissen und verglich sie direkt mit dem Hakenkreuz. Im schlimmsten Fall tritt ein, was Maximilian Krah, Europaspitzenkandidat für die AfD im Interview mit Jung&Naiv ankündigte: Die Verwaltungen blockieren sich gegenseitig, die Institutionen werden zum Stillstand gebracht. Für Menschen, die den Staat verachten, mag dies ein attraktives Angebot sein. Eine Verbesserung der Lebensumstände wird sich dadurch nicht einstellen – dieses Angebot macht die AfD nicht, auch nicht auf kommunaler Ebene. Für die Arbeit gegen Rechtsextremismus, für Geflüchtetenhilfe und weitere Hassprojekte der AfD könnte es in Pirna unangenehm werden.

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