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Alternative Lebensläufe Von der Stasi in die Parlamente

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Roman Kuffert (l.), hier im Gespräch mit dem rechtsextremen Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, war IM bei der Stasi. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass er im Herbst für die AfD in den Brandenburger Landtag einzieht. (Quelle: picture alliance/dpa | Britta Pedersen)

Im September wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Die AfD schickt dabei auch einen Kandidaten ins Rennen, dessen nun publik gewordene Vergangenheit so gar nicht zum Selbstbild der Partei passen will. Die Rede ist von Roman Kuffert, der für die AfD im Wahlkreis Barnim I als Direktkandidat antreten wird und gute Chancen hat, in den neuen Landtag einzuziehen. Schon 2019 wäre Kuffert das beinahe gelungen, doch am Ende fehlten ihm trotz eines Stimmenanteils von 23,3 Prozent 144 Stimmen auf Hardy Lux von der SPD. Seither hat die AfD in Umfragen jedoch deutlich zugelegt. Bei der Europawahl wurde sie im Landkreis Barnim mit 26,6 Prozent mit Abstand stärkste Kraft.

Bislang fiel Kuffert vor allem durch seine rege Teilnahme an Protesten gegen die Pandemieschutzmaßnahmen in seiner Heimatstadt Eberswalde auf oder aber wenn er, wie 2023 in Klosterfelde, gegen Geflüchtete hetzte und im NS-Jargon von „Umvolkung“ sprach (siehe Aktionsbündnis Brandenburg). Außerdem ermittelt laut Märkischer Oderzeitung die Polizei gegen ihn, weil er ein rassistisches und zu Gewalt aufrufendes Video geteilt haben soll.

Am 3. Juni jedoch machte er Schlagzeilen ganz anderer Art. „Stasi führte heutigen AfD-Politiker als IM ‚Atze‘“, titelte die Bild, und auch andere Medien nahmen sich schnell der Geschichte an. 1979, so lautete der Vorwurf, soll Kuffert Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS oder kurz Stasi) gewesen sein.

Tags darauf meldete Kuffert sich selbst zu Wort. In einer Stellungnahme räumte er die Vorwürfe weitgehend ein, spielte die Bedeutung seines Handelns jedoch gleichzeitig herunter. Er sei nur sechs Wochen für die Stasi tätig gewesen und das auch nur, um die Vorbereitungen für seine Republikflucht zu decken. Er habe keine relevanten Informationen weitergegeben und sei schon bald wegen „Unzuverlässigkeit und erwiesener Unehrlichkeit“ hinausgeflogen.

Tatsächlich gelang es Kuffert im September 1980 gemeinsam mit einem Freund über eine Leiter an der Berliner Mauer nach West-Berlin zu flüchten. Auch damals berichtete die Bild und nannte die Flucht „tollkühn“. Seine Geschichte erscheint somit durchaus plausibel. Und doch stellt sich die Frage, warum er seine Kontakte zur Stasi bislang gekonnt verschwiegen hatte.

Vielleicht schämte er sich schlicht seiner Vergangenheit. Vielleicht war er aber auch zu dem Schluss gekommen, dass seine Spitzeltätigkeit – und sei sie auch noch so kurz gewesen – einfach nicht so recht zu seinem sorgsam kuratierten Image als konsequenter Gegner des SED-Regimes passen wollte.

Noch im Oktober 2023 erzählte er in einem Interview mit dem extrem rechten Compact Magazin lang und breit von seiner spektakulären Flucht und seinem oppositionellen Engagement. In der Samariterkirche hatte er an Bluesmessen teilgenommen und will später in der Bundesrepublik immer wieder zugunsten von Dissident*innen in der DDR bei Behörden vorstellig geworden sein. Er sprach davon, wie er in den „Fokus der Staatssicherheit“ gekommen war, er und seine Freunde hätten sich damals „aber nicht beirren lassen“. Wie intensiv seine Kontakte zur Stasi tatsächlich waren, darüber schwieg er jedoch.

Dennoch ist es eher unwahrscheinlich, dass die jüngsten Schlagzeilen Kuffert schaden werden, genauso wenig wie anderen Politikern der AfD, deren Stasi-Vergangenheit ans Licht gekommen ist. Ganz im Gegenteil haben viele von ihnen noch heute Mandate und Parteiämter inne.

So war zum Beispiel 2020 bekannt geworden, dass der thüringische Landtagsabgeordnete Dieter Laudenbach ab 1986 als IM Klaus für das MfS tätig gewesen war (siehe MDR). Er soll laut Bild im Interhotel Gera Kolleg*innen bespitzelt haben und überdies Mitglied der Staatspartei SED gewesen sein. Er selbst bestritt die Vorwürfe, eine Kommission des Landtags sah sie jedoch in einem Bericht von 2023 als erwiesen an. Laudenbach ist noch immer Mitglied der AfD-Fraktion im thüringischen Landtag und erst im Mai wurde er auf Listenplatz vier für die AfD in den Stadtrat von Gera gewählt.

Bereits 2016 hatte die Freie Presse aufgedeckt, dass Detlev Spangenberg, damals Abgeordneter der AfD im sächsischen Landtag, während seines Wehrdienstes von 1964 bis 1967 als IM Bruno Berichte über andere Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) an die Stasi übermittelt hatte. Die Landtagsfraktion der AfD sah darin kein Problem und kritisierte lediglich, dass die Information an die Öffentlichkeit geraten war. Laut Verfassung des Freistaats Sachsen kann eine Tätigkeit für das MfS zum Verlust des Abgeordnetenmandats führen. Tatsächlich ist Spangenberg heute kein Landtagsabgeordneter mehr. Dafür saß er von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag. Heute ist er Mitglied der Fraktion der Partei im Stadtrat seiner Heimatstadt Radebeul.

Peter Drenske wiederum, der 2019 das Direktmandat im Wahlkreis Elbe-Elster I errang und bis heute für die AfD im Brandenburger Landtag sitzt, war kein IM, dafür aber hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi. Er hatte von 1979 bis 1982 seinen Wehrdienst beim Wachregiment des Ministeriums für Staatssicherheit „Feliks Dzierzynski“ abgeleistet (siehe Tagesspiegel). Drenske hatte das auch gar nicht verschwiegen. Eine Kommission des Landtags stellte jedoch Widersprüche fest, die unter anderem die Darstellung Drenskes in Bezug auf seine Einsatzorte und einen angeblichen Versuch, aus dem Wachregiment auszutreten, betrafen. Auch mit seiner ehemaligen Mitgliedschaft in der SED geht er offen um. Fraktion und Partei haben mit beidem offenkundig keine Probleme. Drenske sitzt nach wie vor im Landtag und bewirbt sich im September erneut aussichtsreich um das Direktmandat in seinem Wahlkreis. Seit 2019 ist er zudem Mitglied des Kreistags Elbe-Elster und bereits seit 2018 stellvertretender Vorsitzender des dortigen Kreisverbands der AfD.

Auch Frank-Ronald Bischoff war hauptamtlich für das MfS tätig. Von 1977 arbeitete er als Geheimoffizier im Rang eines Hauptmanns und als Offizier in besonderem Einsatz (OibE) in der Abteilung Inneres beim Rat des Kreises Halberstadt, wo er für Ausreiseanträge zuständig war. Das Perfide an der Tätigkeit als OibE war, dass sie verdeckt geschah. Nach außen hin war Bischoff ein normaler Verwaltungsbeamter. Tatsächlich jedoch handelte er im Auftrag und im Interesse der Staatssicherheit. 2017 hatte die Volksstimme aus Leipzig Bischoffs Vergangenheit öffentlich gemacht. Damals war er gerade Direktkandidat der AfD im Wahlkreis Harz. Zwar ging das Mandat schließlich an Heike Brehmer von der CDU, Bischoff erhielt jedoch aller Vorwürfe zum Trotz immerhin 16,2 Prozent der Stimmen. Heute ist er Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion im Kreistag Harz, in den er bei den Kommunalwahlen im Juni 2024 erneut einzog.

Die hier versammelten Beispiele belegen eindrucksvoll, dass es Politiker*innen der AfD keinesfalls schadet, wenn aufgedeckt wird, dass sie zu DDR-Zeiten für die Staatssicherheit gearbeitet haben, während Angehörige anderer Parteien durchaus mit Kritik – nicht zuletzt vonseiten der AfD – zu rechnen haben. Wohl auch deshalb bemüht sich die Partei seit einiger Zeit in verschiedenen Parlamenten um die Einsetzung von Ausschüssen, die die mögliche Stasi-Vergangenheit von Mandatsträger*innen untersuchen sollen. In Sachsen-Anhalt stimmten sie im Dezember 2023 gemeinsam mit SPD, CDU, Grünen und FDP für einen solchen Ausschuss, nachdem sie sich 2017 noch gegen einen ähnlichen Vorschlag gewehrt hatten. Im Kreistag des Landkreises Rostock wurde im April ebenfalls ein solcher Ausschuss beschlossen (siehe Nordkurier), unter anderem mit den Stimmen von CDU und FDP. Der Antrag dazu war von Steffi Burmeister von der AfD eingebracht worden.

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