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Bitte um Klärung, werte Frau Ministerin…

„Wie soll ich Antidemokraten überzeugen, wenn ich nicht mit ihnen rede und streite?“, fragt Dr. Dierk Borstel Bundesfamilienministerin Schröder in einem persönlichen Kommentar zur Debatte um die geplante „Anti-Extremismus“-Klausel der schwarz-gelben Regierung.

 

Von Dr. Dierk Borstel

Nur um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Gerne unterschreibe ich ein Bekenntnis zur Demokratie, zum Grundgesetz und auch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Mein politisches und wissenschaftliches Engagement basierte von Beginn an auf der Idee, die Werte des Grundgesetzes auch in der politischen Kultur zu verankern und das nicht nur abstrakt im philosophischen Diskurs, sondern konkret vor Ort, erfahrbar für alle Menschen und besonders auch für die Minderheiten in dieser Gesellschaft. Das hat mich in den letzten zehn Jahren oft in die Ecken dieses Landes geführt, in denen extremistische Strukturen sich ausgebreitet hatten und wir von einer Verankerung einer demokratischen Kultur weit entfernt waren. Ich habe mich dazu praktisch und wissenschaftlich mit allen Formen des Extremismus auseinandergesetzt. In Berlin-Kreuzberg war ich beteiligt an der ersten Studie zum lokalen Islamismus, im Friedrichshain habe ich den Antisemitismus der extremen Linken dokumentiert und zum Rechtsextremismus habe ich mir in den Jahren die Finger wund geschrieben und wurde in über 100 Städten und Gemeinden zu Vorträgen, Beratungen und Fortbildungen geladen. Dabei bin ich immer von einer Grundlage ausgegangen: Es geht darum, die konkreten Gefährdungen der demokratischen Kultur vor Ort zu erkennen und sich gleichzeitig der eigenen Potentiale bewusst zu werden. Wenn das gelingt, kann vor Ort und aus dem Ort heraus eine Gefährdung der demokratischen Kultur oft konstruktiv begegnet werden. Das war Demokratieentwicklung in Reinform. Bei alle dem hatte ich Vertrauen: ich musste meinen Partnern vor Ort vertrauen. Vor allem aber bin ich davon überzeugt, dass der Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und eines demokratischen Verfassungsstaates ? trotz aller Rückschläge und Widerstände ? gelingen kann.

Nun erwarten Sie, werte Frau Ministerin, von mir ein Bekenntnis zum Misstrauen, wenn ich denn staatliche Förderung bekommen wolle. Das ist im praktischen Alltag nicht machbar. Ich bekenne mich: Natürlich habe ich regelmäßig mit Extremisten zu tun! Ich suche sogar den Kontakt und bin überzeugt davon, dass das Gespräch notwendig ist, um Ausstiegsorientierung und eine Hinwendung zur Demokratie bei Ihnen zu erreichen. Ich kann auch meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass nicht irgendjemand, der mich zum Beispiel zu einer Beratung einlädt, heimlich Mitglied einer von ihnen extremistisch genannten Organisation ist. Zuletzt kriegte ich z. B. erst im Nachklang eines Vortrags heraus, dass einer der Mitdiskutanten Mitglied der als linksextrem bezeichneten Gruppe der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes war. Ich habe mich mit ihm öffentlich und vehement über das Wesen der Demokratie und die vermeintlichen Stärken der DDR gestritten. Habe ich mich mit diesem Bekenntnis zur Demokratie bei Ihnen unmöglich gemacht? Hätte ich vorher eine Anfrage beim Verfassungsschutz stellen müssen, damit es gar nicht erst zum Streit kommt? Wie soll ich Antidemokraten überzeugen, wenn ich nicht mit ihnen rede und streite? Und: Was geschieht, wenn ich jemals Förderung bekommen würde, und mir passiert so eine Veranstaltung dann? Riskiere ich meinen persönlichen Ruin, weil ich die bisherige Förderung zurückzahlen müsste? Wie kann ich mit Kontaktverbot ausstiegsorientiert arbeiten? Die Aussteiger, die ich kennen lernen durfte, kamen zu mir nicht als fertige Demokraten sondern mit vielen Zweifeln. Ohne Diskussionen und Kontakte ist dieser Zweifel nicht zu nähren. Ich brauche, um meine Arbeit fortführen zu können, Rechtssicherheit zu diesen Fragen und keine bürokratischen Knebel.

Noch einmal: Natürlich bin ich gegen jede Form von Extremismus. Extremistische Organisationen sollen auch dann keine Förderung bekommen, wenn sie sich gegen Rechtsextremismus wenden oder als etabliert gelten. Um das sicher zustellen, gibt es im Rechtsstaat klare Verfahren, die es anzuwenden gilt. Die Demokratie stärkt man jedoch nicht, indem man Misstrauen streut, sondern indem man die Demokratzen stärkt und sie in ihrem Kampf gegen den Extremismus ernst nimmt und konstruktiv unterstützt. Demokratie lebt von der Streitkultur und der offensiven Auseinandersetzung mit ihren Gegnern. Ich bin überzeugt, dass eine in diesem Sinne streitbare Demokratie keine Angst vor Extremisten haben muss. Gerne arbeite ich dazu auch mit staatlichen Stellen zusammen. Die Bürgergesellschaft kann diesen Kampf schließlich nicht alleine gewinnen; sie verliert ihn aber auf jeden Fall, wenn der Staat als Partner ausfällt und die Paralyse der Bürger durch Aufrufe zum Misstrauen und zum gegenseitigen Überwachen vorantreibt.

Dr. Dierk Borstel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Hintergrund seines Kommentars bildet die Neuordnung der Extremismusprogramme. 2011 möchte das Bundesfamilienministerium die beiden bisherigen Programme „Vielfalt tut gut“ und „kompetent. für Demokratie“ zum Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ zusammen legen. Initiativen, die eine Förderung beantragen, müssen künftig schriftlich nicht nur erklären, dass sie sich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekennen, sondern zudem ihre Kooperationspartner auf deren „Grundgesetztauglichkeit“ prüfen.

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http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/wirbel-um-verleihung-des-saechsischen-foerderpreis/

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