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Hahnenkampf zwischen Höcke und Krah AfD-Parteitag mit Konfliktpotential

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"Wir wollen keine AfD und keine Diktatur" ist auf dem Gehweg vor der Essener Grugahalle zu sehen, in der die AfD ihren Parteitag abhält. (Quelle: picture alliance/dpa | David Young)

Der AfD Parteitag am letzten Juni-Wochenende in Essen könnte turbulent werden: Tino Chrupalla, Co-Bundessprecher, muss um seine Wiederwahl fürchten, Freunde und Feinde von Maximilian Krah sind tief zerstritten, das selbsternannte „freundliche Gesicht des NS“, Matthias Helferich, will in den Bundesvorstand, andere wollen ihn aus der Partei werfen. Die AfD diskutiert außerdem heftig, ob sie mit Parteien, „auf deren Märschen noch vor 15 Jahren Hakenkreuzfahnen gehisst wurden“ eine rechtsextreme Fraktion im Europaparlament gründet und das parteinahe Vorfeld fordert eine Abkehr von der Strategie des Rechtspopulismus hin zu einer Partei mit noch viel deutlicherer rechtsextremer Weltanschauung. Wer jedoch einen Schlagabtausch auf offener Bühne erwartet, wird aller Wahrscheinlichkeit nach enttäuscht werden. Hinterzimmerpolitik und geheuchelte Harmonie bestimmen zunehmend die AfD-Parteitage. Nichts Anderes ist vom 28. bis 30. Juni in der Essener Grugahalle zu erwarten.

Hahnenkampf zwischen Höcke und Krah

Platz 2 bei einer deutschlandweiten Wahl: In der breiten Öffentlichkeit sahen viele die AfD als einen der Gewinner der Europawahl. Vor den Fernsehkameras bejubelte die AfD diesen Meilenstein entsprechend, parteiintern herrschte eher Enttäuschung. Man war sich einig: Die Debatte um Maximilian Krah habe massiv Stimmen gekostet. Nach der Wahl versuchte der Parteivorstand, die schon im Wahlkampf eingeschlagene Linie der formalen Distanz zu ihrem Spitzenkandidaten Maximilian Krah fortzusetzen. Krah wurde nicht in die Delegation der AfD im Europaparlament aufgenommen. Der Riss ging mitten durch den völkischen Flügel.

Der dem Flügel zugerechnete René Aust aus Thüringen stimmte, wie die Mehrheit der ins Europaparlament gewählten AfD-Abgeordneten, für den Ausschluss von Krah. Ausgerechnet Aust wurde dann auch noch zum Verhandlungsführer der dezimierten AfD-Delegation ernannt. Das Umfeld von Krah schäumte vor Wut. Aust wurde als „Verräter“, einer der schlimmsten Vorwürfe innerhalb der extremen Rechten, betitelt. Für Björn Höcke und seinem Thüringer Co-Chef, Stefan Möller, war das Maß voll: Sie gingen in den Frontalangriff gegen Krah und den Bundesvorstand über. Über deren Schweigen zum Verratsvorwurf gegenüber Aust seien sie zutiefst enttäuscht, beschwerten sich Höcke und Möller in einer Erklärung.

Krah wiederum dürfte zutiefst von Björn Höcke enttäuscht sein. Dieser sprang ihm im Europawahlkampf in der Debatte um seine bagatellisierenden Äußerungen zur SS nicht zur Seite – und das mutmaßlich nicht wegen inhaltlicher Differenzen in Bezug auf die Bewertung der SS. Vor allem schien Höcke gerade Recht zu kommen, dass ein innenpolitischer Rivale öffentlich in der Kritik stand. Nachdem Höcke schon zuvor öffentlich mit seinem ehemaligen Flügel-Weggefährten Hans-Thomas Tillschneider das Tischtuch zerschnitten hatte, nun dieser massive Disput mit Krah. Auch, dass sich ausgerechnet der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek aus Schnellroda deutlich auf die Seite Krahs schlug und ihn als „Donald Krah“, also den deutschen Trump adelte, dürfte Höcke tief getroffen haben. Lange galt Björn Höcke als engster Vertrauter Kubitscheks, nun ersetzte ihn Krah als Hoffnungsträger Nummer 1 für Schnellroda.

Der parteinahe Aktivist Phillip Stein, Kopf des vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften Kampagnen- und Finanzierungsvereins „Ein Prozent“, konstatiert nach diesen turbulenten Tagen ein „multiples Chaos“ bei der AfD: „Der Start der neuen AfD Delegation im EU-Parlament hätte nicht schlechter ausfallen können“, so Stein. Damit bringt er auf den Punkt, was viele in der AfD auch denken, insbesondere der Flügel um Krah.

Wird Chrupalla gestürzt?

Ein Versuch, den Hahnenkampf zwischen Höcke und Krah zu beruhigen, könnte darin liegen, einem Dritten die Schuld für das Chaos nach der Europawahl zu geben, in diesem Fall Parteichef Tino Chrupalla. Dieser habe sich nach Informationen des Spiegel vehement für den Ausschluss Krahs aus der AfD-Delegation eingesetzt. Eine Richtungsentscheidung, die ihn bei dem Bundesparteitag das Amt kosten könnte. Bei seiner letzten Wahl schaffte er nur äußerst knapp über 50% der Delegierten hinter sich zu versammeln. Ob das wieder gelingt ist nicht gewiss. Zwar ist einerseits die Verärgerung über die Causa Krah groß. Andererseits ist schwer vorstellbar, dass die AfD im September in die Landtagswahlen im Osten zieht und an der Spitze keine Person mehr aus den Ost-Landesverbänden sitzt, sondern nur Alice Weidel, die in der Schweiz lebt.

TableBerlin berichtet, dass sich unter den Delegierten geeinigt wurde, Weidel und Chrupalla wiederzuwählen, ihnen aber eine „Klatsche“ zu verpassen. Eine Klatsche für Chrupalla jedoch würde seine Wiederwahl gefährden, geht er also straffrei aus? Für die AfD scheint es wie eine lose-lose-Situation. Denkbar ist auch, dass eine bislang unbekannte Person eine Kampfkandidatur gegen Chrupalla wagt.

Chrupalla erhält aber auch Unterstützung, sowohl von Alice Weidel persönlich als auch vom einflussreichen Rechtsextremen Martin Sellner, der sich mangels besserer Alternative für einen Fortbestand des Führungsduo Weidel/Chrupalla stark macht.  Früher verliefen die Risse zwischen dem völkischen Flügel und Teilen der Mehrheitspartei. Seitdem der völkische Flügel zum Mainstream in der AfD geworden ist, verlaufen die Bruchlinien zunehmend mitten durch die Führungsriege des vermeintlich aufgelösten völkischen Flügels, der die Partei fest in der Hand hat. Der entbrannte Machtkampf lässt weitere interne Auseinandersetzungen erwarten. Aber auch an anderer Stelle toben Macht- und Richtungskämpfe.

Das „freundliche Gesicht des NS“ im Bundesvorstand?

Matthias Helferich gilt selbst einigen in der AfD teils noch als rechtsaußen. Er bezeichnete sich selbst als das „freundliche Gesicht des NS“ (Nationalsozialismus). Ein Foto eines Duftbaums mit dem Zitat „Raus mit die Viecher“ garnierte Helferich in einem Instagram-Beitrag mit den Worten „Super“ und „#remigration“. Diesen unverhohlenen Rassismus nahm Nordrhein-Westfalens AfD-Landeschef Martin Vincentz zum Anlass, ein Parteiausschlussverfahren gegen Helferich zu beantragen. Nicht wenige meinen, Vincentz störe sich weniger an dem Rassismus von Helferich, sondern wolle auf diesem Weg vor allem einen innerparteilichen Rivalen loswerden. Helferich hat hingegen ganz andere Pläne: Er will sich in Essen in den Bundesvorstand der AfD wählen lassen. Die Unterstützung des Jugendverbandes Junge Alternative und des parteinahen Vorfelds, einem Konglomerat rechtsextremer Vereine und Aktivist*innen, hat Helferich sicher. Sie arbeiten seit längerem daran, die Partei weiter zu radikalisieren.

Vorfeld will AfD noch viel rechtsextremer ausrichten

Der im Bundestag arbeitende ehemalige Kameradschafts-Neonazi Benedikt Kaiser, der inzwischen als einer der wichtigsten Vordenker der AfD aus dem Umfeld von Götz Kubitschek gilt, fordert die AfD auf, sich von der Strategie des Rechtspopulismus loszusagen. Diese habe seine Schuldigkeit getan und eine Bresche für die immer offener agierende extreme Rechte geschlagen. Nach der Phase der Mobilisierung und Sammlung mit Hilfe des Rechtspopulismus sei jetzt die Phase des „Mut zur rechten Weltanschauung“ gekommen, so Kaiser in einem Vortrag. Die rechten Parteien in Deutschland, wie Kaiser sie verharmlosend nennt, also vor allem die AfD, müssten über die Affektpolitik, also z.B. das reine rassistische Ressentiment in der Migrationspolitik, hinausgehen. Mit Rechtspopulismus seien keine klaren politischen Vorstellungen zu entwickeln.

Als entscheidende Parameter rechtsextremer Weltanschauungspolitik, welcher sich die AfD annehmen solle, sieht Kaiser die Soziale Frage verknüpft mit der Inneren Sicherheit, was in seinem Weltbild auf eine modernisierte Form des Nationalsozialismus hinausläuft. Kaiser warnt, wie es auch Höcke und Krah regelmäßig tun, die AfD vor verfrühter Regierungsverantwortung in Form von Duldung oder Koalitionen. Dies würde die Partei Richtung politischer Mitte führen. Man dürfe die politische Mitte jedoch nicht umschmeicheln, man müsse sie vor sich hertreiben. Grundbedingung dafür sei eine gefestigte Weltanschauung, die die AfD nach innen und außen vermittele. Indirekt verbunden mit der Forderung nach mehr rechtsextremer Weltanschauung ist auch ein Führungswechsel an der Parteispitze. Insbesondere Weidel gilt als der Inbegriff politischer Beliebigkeit, die stets nur die Klaviatur des Rechtspopulismus spiele, wenn auch sehr gekonnt. Höcke und Krah gelten als die Kandidaten des Vorfelds.

Rechtsextreme Fraktionsbildung als Kurswechsel

In Essen kann die AfD diesen von Vorfeld und JA gewünschten Weg bei der politischen Ausrichtung schon einen entscheidenden Schritt gehen. Aktuell debattiert die AfD über die Bildung einer eigenen Europaparlamentsfraktion mit anderen rechtsextremen Parteien. Käme diese zustande, würde die AfD ihr rechtsextremes Profil auch nach Außen schärfen. Teil der Fraktion sollen unterschiedliche rechtsextreme Parteien werden, wie die polnische Konfederacja. Deren EU-Abgeordneter Grzegorz Braun sagte jüngst, Juden seien „Feinde Polens“ und löschte mit einem Feuerlöscher im polnischen Parlament die Kerzen einer Chanukka-Menora. Zusammenarbeit mit offenen Antisemiten scheint in der Parteiführung kaum noch eine Debatte wert zu sein. Anbiederung an Juden und Israel gab und gibt es bei der AfD stets nur, wenn es gegen Muslim*innen in Anschlag gebracht werden kann. Doch nicht alle in der AfD freuen sich über die Überlegungen zur neuen Fraktion mit Parteien „auf deren Märschen noch vor 15 Jahren Hakenkreuzfahnen gehisst wurden“. Auch wenn offiziell auf dem Parteitag das Zustandekommen einer rechtsextremen Fraktion im Europaparlament noch nicht zur Abstimmung steht, wird das Thema sehr präsent sein, da es auch um die zukünftige Ausrichtung der Partei geht.

Hinterzimmer statt Streit auf offener Bühne

Schon seit längerer Zeit merken parteiinterne Kritiker*innen an, die AfD sei längst die jüngste unter den Altparteien. Zu viel werde in Hinterzimmern vor Parteitagen verabredet, die Parteibasis sei nach und nach entmachtet worden.  Es ist unwahrscheinlich, dass in Essen wesentlich von dem im Vorhinein ausgehandelten Regieablauf abgewichen wird. Zumal auch eine geheuchelte Harmonie die Partei nach Außen stärkt. Nach der monatelangen Talfahrt in Umfragen geht es nach der Europawahl für die AfD auch wieder leicht nach oben, das soll nicht gefährdet werden. Auch Streit vor den Landtagswahlen im September in den Kernländern der Partei Thüringen, Sachsen und Brandenburg wünscht sich wohl niemand von den Rechtsextremen.

Aber man geht auch mit einem Novum in den Parteitag: Den einheitlich agierenden völkischen Flügel in der AfD gibt es nicht mehr. Er hat sich höchstwahrscheinlich endgültig zerlegt. Es ist sehr fraglich, dass die Alphatiere Höcke und Krah sich „zum Wohle der Partei“ noch einmal langfristig zusammenraufen werden. Für beide steht viel auf dem Spiel.
Krah ist nach den letzten Monaten innerparteilich angeschlagen. Höcke traut sich zum wiederholten Male nicht, nach dem Parteivorsitz zu greifen. Er steht nicht nur politisch für die alte extreme Rechte, sondern vielleicht auch in der Partei. Krah ist eher der Mann der neuen Rechten, tritt ideologisch flexibler auf, ist wortgewandt und hat mitunter Höcke als Hoffnungsträger der Partei abgelöst. Es ist unwahrscheinlich, dass Höcke dabei zusieht, wie seine Chancen schwinden, die Partei zu übernehmen. Der Parteitag dürfte trotz eines strategischen Bedürfnisses nach Harmonie spannend werden.

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