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Kolumne Das Gedenken an die Opfer der Versklavung

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Das Harriet Tubman Museum in Cambridge, Maryland zeigt Porträts der bekanntesten Abolitionistin der amerikanischen Geschichte. (Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Kaitlyn Levinson)

Jährlich am 23. August gedenken wir des Leidens unzähliger Menschen, das ihnen durch Versklavung zugefügt wurde, es ist der Internationale Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung. Zeit, ein paar Heldinnen zu ehren. Währenddessen tobt in den USA ein Kampf um die Erinnerungskultur

Knarrende Schiffsrümpfe, klirrende Ketten und die brutalen Peitschen der Aufseher – und das war nur der Anfang. Es war eine Höllenfahrt. Entrissen ihren Familien und ihrer Heimat, wurden afrikanische Menschen wie Vieh behandelt, in überfüllten Laderäumen zusammengepfercht, wo Krankheiten und Tod hausten.

Unter den Decksplanken der wirtschaftlich wertvollen Windjammer, in der zermalmenden Enge, herrschten unsagbar unhygienische Zustände. Mangelernährung und unzureichende Wasserversorgung waren an der Tagesordnung, wie auch die ständige Gefahr der Vergewaltigung. Zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert wurden sage und schreibe zwanzig Millionen Männer, Frauen und Kinder gewaltsam entführt und über den Atlantik verschifft. Rund zwei Millionen von ihnen erlagen den qualvollen Bedingungen an Bord der Sklavenschiffe. Die Versklavten, die es dennoch schafften, den Boden einer karibischen Insel oder des amerikanischen Festlands zu berühren, begannen das nächste Kapitel eines nie enden wollenden Martyriums. Obwohl körperlich geschwächt und psychisch stark belastet, mussten sie bei der Ankunft einen Spießrutenlauf absolvieren und landeten auf einem Podest, um versteigert zu werden.

Das war die Willkommenskultur der weißen Dominanzgesellschaft. Auf dem Rücken systematisch verschleppter Menschen, die über Generationen hinweg erniedrigt, gedemütigt und traumatisiert wurden, errichtete der Sklavenhandel den Grundstein der Neuen Welt, die Auswirkungen davon sind auch heutzutage nach wie vor spürbar. Mit den Opfern im Gedächtnis rief die UNESCO 1998 den Internationalen Tag zur Erinnerung an den Sklavenhandel und seine Abschaffung ins Leben.

Aufstand gegen Unterdrückung

Der 23. August als Datum des Gedenkens ist kein Zufall. Denn es erinnert an einen Wendepunkt, in der französischen Kolonie Saint-Domingue in der  Nacht vom 22. auf den 23. August 1791. Angetrieben vom unerfüllbaren Wunsch nach Freiheit und einem Leben in Würde erhoben sich die Versklavten gegen ihre Herrscher. Unter der Führung von Toussaint Louverture und Jean-Jacques Dessalines kämpften sie mit unerschütterlichem Willen gegen die Kolonialmacht. Nach Jahren des Widerstands und blutiger Schlachten errangen die nun ehemaligen Sklaven 1804 schließlich ihre Unabhängigkeit. Das Land Haiti wurde gegründet. Dieser historische Sieg war ein Fanal der Freiheit und eine Quelle der Motivation für andere Sklavenaufstände auf der Welt, auch und gerade in den nicht weit entfernten Südstaaten der USA.

Eine Afroamerikanerin, die 1822 als Araminta Ross in die Sklaverei in Maryland hinein geboren wurde, ließ sich von dem Temperament und den Taktiken der haitianischen Rebell*innen inspirieren. 1844 änderte sie nach ihrer Heirat ihren Namen zu Harriet Tubman. Sie wurde zur bekanntesten Abolitionistin der amerikanischen Geschichte.

Als Fluchthelferin des Netzwerkes „Underground Railroad“ ermöglichte Tubman den Ausbruch zahlreicher Versklavten in die Freiheit in den Nordstaaten oder sogar in Kanada. In Anlehnung an Louverture und Dessalines benutzte sie geheime Routen und gesicherte Rückzugsgebiete. Tubman war tapfer. Und Bewaffnet. Zudem lebte sie in einer Gesellschaft, die systematisch von Rassismus und Geringschätzung gegenüber Schwarzen geprägt war. Es herrschte überdies eine auch heute erstaunlich bekannt wirkende Misogynie, die den Willen aller Frauen, ungeachtet der Hautfarbe und des sozialen Standes, verharmloste bzw. gar nicht ernst nahm. Diese Vorurteile spielten zweifellos eine Rolle für Tubmans Erfolg und beeinflussten die Art und Weise, wie sie von anderen, vor allem weißen Menschen wahrgenommen wurde. Das trug alles dazu bei, dass sie nicht aufflog ist, was fatal Konsequenzen gehabt hätte.

Es war wiederum nicht alleine Glückssache, dass Tubman überlebte. Denn sie war eine kluge Frau, eine Black Queen, die im Endeffekt tagtägliche Schachpartien gegen weiße Sklavenbesitzer gewinnen konnte. Unter Eingeweihten war Tubman unter dem Spitznamen „Moses“ bekannt, da sie ähnlich agierte wie der biblische Namensgeber, der die Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei führte. Als gottesfürchtige Christin setzte Tubman gezielt auf den Spiritual Go Down Moses zur Verschlüsselung der verbalen Kommunikation zwischen Versklavten und Fluchthelfer*innen. Auf den Feldern der Plantagen wurde der Gospelsong gesungen, um Tubmans Ankunft klandestin zu signalisieren.

„Erasing Race“: 1619 oder 1776?

Der Einfallsreichtum und die Entschlossenheit der Abolitionistinnen gegen die Sklaverei sind in der Tat hervorragende Eigenschaften, die uns an die Kraft des menschlichen Willens zur Freiheit erinnern. Es ist jedoch bedauerlich, dass die beteiligten Heldinnen und ihre politisch folgenreichen Leistungen gerade jetzt, im digitalen Informationszeitalter, von einer Zensur bedroht sind. Besonders in den Vereinigten Staaten, wo Donald Trumps MAGA-Manie immer stärker wird.

In den USA tobt derzeit nicht nur ein heftiger Wahlkampf um das Weiße Haus, sondern auch eine erbitterte Schlacht, welche die Sklaverei in den Fokus rückt. Erzkonservative, christlich-fundamentalistische und nationalistische Kräfte versuchen, die Erzählung der Geschichte zu redigieren und zu kontrollieren, indem sie Bücher zensieren, Online-Inhalte löschen und Bildungsinhalte manipulieren. Der Begriff Erasing Race beschreibt prägnant und zutreffend diesen revisionistischen Versuch, die Bedeutung und die heute bleibenden Folgen des Rassismus zu minimieren oder zu leugnen. Die Verklärung der Vergangenheit wird zur Vision für die Zukunft. Weiße Vorherrschaft statt Multi-Kulti. Das ist das, was Make America Great Again eigentlich bedeutet.

Im Grunde genommen prallen zwei vierstellige Ziffernfolgen und somit zwei verschiedene Weltanschauungen aufeinander. Da geht es um die Debatte 1619 versus 1776. Sie befasst sich mit der Frage, welches Jahr als wirkliches Gründungsjahr der Vereinigten Staaten von Amerika betrachtet werden sollte.

Traditionell gilt die Unabhängigkeitserklärung von 1776 als Meilenstein, der die Geburt der Nation markiert. Im Jahre 2019 jedoch forderte das Projekt 1619 der New York Times allerdings eine völlig neue Bewertung der Geschichte. Das Projekt argumentiert, dass die Ankunft der ersten versklavten Afrikaner*innen auf heutigem US-amerikanischen Boden im Jahr 1619 ein ebenso, wenn nicht sogar wichtigeres Ereignis für die US-Geschichte darstelle, zumal es den Beginn der Sklaverei und den Aufbau einer Gesellschaft auf rassistischer Ungleichheit markiert.

Das Gedenken an die Opfer von Sklaverei darf nicht selektiv sein und sich auf bestimmte historische Ereignisse oder geografische Regionen beschränken. Eine umfassende Erinnerungskultur muss alle Opfer dieser Gräueltaten einschließen, ihre Geschichten erzählen und ihnen die geraubte Würde zurückgeben.

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