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Politische Bildungsarbeit Jeder Fünfte berichtet von Gewalt in Sachsen

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(Quelle: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt)

In Sachsen haben die Landesregierungen seit 1990 das Problem des Rechtsextremismus systematisch verharmlost – und das rächt sich zunehmend. Extrem rechte Bewegungen und Parteien wie die AfD, die Freien Sachsen und auch die Neue Rechte wenden sich zunehmend gegen Aktive in der politischen Bildungsarbeit, wie eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung dokumentiert. Vor allem in Regionen, in denen eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den Gefahren des Rechtsextremismus verbreitet ist – und das dürfte auf weite Landesteile zutreffen – werden Träger der außerschulischen Bildungsarbeit gezielt gestört, beleidigt und bedroht. Von körperlichen Übergriffen und physischer Gewalt berichtet knapp jeder Fünfte der Befragten. 134 Mitarbeiter*innen wurden von den Studienautor*innen befragt.

Wenige Wochen vor der Landtagswahl zeichnen die Soziologin Teresa Lindenauer von der TU Dresden und ihr Kollege Thomas Laux von der TU Chemnitz in der Studie „Engagiert und gefährdet – Ausmaß und Ursachen rechter Bedrohungen der politischen Bildung in Sachsen“ ein ernüchterndes Bild zur sinkenden Stabilität der Demokratie im Freistaat – jenem Bundesland, das zu den Hochburgen der AfD gehört und in dem bei der Europawahl Anfang Juni die rechtsextreme Partei in allen Landkreisen und auch in den Großstädten Leipzig, Dresden und Chemnitz stärkste Kraft wurde, vor CDU und dem BSW.

Wer sich engagiert, gerät unter Druck

Studienautor Laux sagte: „Aktive in der politischen Bildung setzen sich mit hoher Motivation aktiv für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus ein. Genau deswegen werden sie von rechts unter Druck gesetzt.“ Insbesondere die prekäre Finanzierung der politischen Bildung diene rechten Akteuren häufig als Anknüpfungspunkt. Teresa Lindenauer sagte: „Dem autoritären Nationalradikalismus geht es um Präsenz in der lokalen Öffentlichkeit und um die Dominanz in konkreten Sozialräumen.“ Es beginne mit kleineren Provokationen, bleibe hier jedoch nie stehen: „Wer sich für Demokratie engagiert, soll sich unsicher fühlen.“

Knapp 40 Prozent der Befragten verarbeiten der Studie zufolge erlebte Störungen oder Bedrohungen durch verstärkte kollegiale Unterstützungsstrukturen. Etwa ein Drittel gibt an, auch im Privaten Sicherheitsmaßnahmen vorzunehmen – das kann dann zum Beispiel bedeuten, dass bestimmte Stadtviertel gemieden werden. Zum Glück werden die Aktivist*innen bisher trotz der oft deprimierenden Situation kaum entmutigt. Nur sieben Prozent der Befragten gaben an, aufgrund der Bedrohungslage über einen Wechsel ihrer Tätigkeit nachzudenken.

FDP blockiert Demokratiefördergesetz

Die beiden Autor*innen der Studie fürchten, dass sich die Lage nach der Landtagswahl in Sachsen, bei der die AfD Umfragen zufolge wieder stärkste Partei werden wird, noch weiter verschärft. Sie sprechen davon, dass sich der rechte Druck auf Schulen oder auch auf die Landeszentrale für politische Bildung und außerschulische Bildungsträger erhöhen werde. Der Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, Jupp Legrand, schreibt im Vorwort zur Studie, der unabhängigen politischen Bildung müsse gerade jetzt eine herausragende Rolle zukommen. Dass die Verabschiedung des seit langem geplanten Demokratiefördergesetzes aber aktuell an der FDP in der Ampelkoalition scheitere, zeige, wie fragil dieser Konsens sei.

Dass sich die Studie auf Aktive in der politischen Bildung in Sachsen konzentriert, erklären die Autor*innen unter anderem mit Hinweis auf die lange Tradition bei der Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und des gesellschaftlichen Pluralismus durch die extreme Rechte. Sie erwähnen dabei unter anderem die Ausschreitungen gegen Migrant*innen 1991 in Hoyerswerda, die Wahlerfolge der NPD 2004 und 2009 sowie die Aufdeckung der NSU-Mordserie. 2021 erzielte die AfD bei der Bundestagswahl mit 24,6 Prozent der Zweistimmen ihr bundesweit stärkstes Ergebnis. Sachsen sei ausdrücklich nicht repräsentativ für Deutschland, die Gefährdung von Aktiven in der politischen Bildung sei hier „als eher wahrscheinlich anzunehmen“.

Die meisten bekämpfen Rechtsextremismus

Das spiegelt sich auch, wenn die Befragten aus der politischen Bildungsarbeit Auskunft geben sollen über ihre Ziele. Ganz vorn steht mit 76,1 Prozent der Kampf gegen Rechtsextremismus. 70,1 Prozent nennen als Ziel die Bewahrung der Demokratie und 67,9 Prozent die Anerkennung von gesellschaftlicher Pluralität. Sie treffen auf eine „zunehmend aggressive Grundstimmung“ in der Bevölkerung, heißt es weiter. Diese mache es „nahezu unmöglich, mit einigen gesellschaftlichen Gruppen und Milieus noch in den Dialog zu treten“. Die Befragten berichten, es seien vor allem antidemokratische und verschwörungsideologische Ansichten, die zu ideologischen Verhärtungen und zum Diskursabbruch führen würden.

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