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Querfront in Stuttgart Initiator von „Querdenken“-Demo verbreitet Verschwörungstheorien und NS-Relativierung

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Michael Ballweg, Initiator der Initiative «Querdenken», spricht bei einer Demonstration auf dem Schlossplatz. Ballweg will nicht weniger als Neuwahlen erreichen. Der Unternehmer aus Stuttgart ist der Kopf der «Querdenken»-Initiative, die in den Corona-Verordnungen Grundrechte gefährdet sieht und zum Protest auf die Straße geht. ltweit (Quelle: picture alliance/Christoph Schmidt/dpa)

In ganz Deutschland gehen derzeit Menschen gegen die Coronavirus-Schutzmaßnahmen auf die Straße. Auf diesen Querfront-Demonstrationen trifft sich eine Melange aus Verschwörungsideolog*innen, Esoteriker*innen und rechten Aktivist*innen. Die sogenannte „Querdenken 711“ in Stuttgart scheint hierbei besonders viele Menschen anzuziehen. Einige Tausend Menschen sind dem Protest der Initiative „Querdenken“ gefolgt. Laut dem Veranstalter sollen sich am vergangenen Samstag, den 2. Mai, 5.000 Menschen auf dem Festgelände der Cannstatter Wasen versammelt haben, angemeldet waren 2.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Es war die vierte und bisher größte Demonstration der Initiative.

Die Menschen treibt es auf die Straße, um für die Einhaltung von Grundrechten und gegen die Maßnahmen im Kampf gegen das Corona-Virus zu demonstrieren. Das klingt erstmal unverdächtig und ist durchaus ein legitimer Grund, um Kritik auf die Straße zu bringen. Doch in Stuttgart, wie in vielen anderen deutschen Städten, in denen momentan solche Demonstrationen stattfinden, verbinden sehr viele Menschen auf diesen Veranstaltungen ihre Kritik mit  verschwörungsideologischen Weltbildern.

Auf den Demonstrationen verbreiten die Teilnehmer*innen die krudesten Mythen zu Covid-19 und zum generellen Geschehen auf der Welt. Das hat weniger mit Kritik an Maßnahmen zu tun, dafür mehr mit Antisemitismus,  Misstrauen gegenüber demokratisch gewählten Regierungen und Angst vor Manipulation. Die Menschen auf den Demonstrationen teilen beinahe alle eine ablehnende Haltung zum Impfen und sehen in Bill Gates den ultimativen Bösewicht.

Und auch in Stuttgart trifft sich eine Melange aus Verschwörungsideolog*innen, Esoteriker*innen und rechten Aktivist*innen. Warum besonders die „Querdenken“-Demo in Stuttgart solch einen Zulauf hat, ist bisher unklar. Mittlerweile gibt es bereits einige Ableger von „Querdenken“ in anderen Städten, je mit eigenen Telegram-Gruppen zur Vernetzung.

Was will „Querdenken 711“

Der Organisator Michael Ballweg hatte zu der Demonstration aufgerufen, weil er seine Grundrechte durch die Corona-Vorschriften eingeschränkt sieht. Er fordert unter anderem die Einhaltung der Versammlungs- und Glaubensfreiheit. Auch rief Ballweg zu Neuwahlen im Oktober auf. Gegenüber dem SWR sagte der Unternehmer, dass er kein radikales Gedankengut von links oder rechts dulde, sondern für die freie Meinungsäußerung eintrete.

Möchten Journalist*innen ein Interview mit dieser Initiative machen, muss zunächst ein Formular mit Adresse ausgefüllt werden, es nennt sich „Erklärung zu journalistischer Arbeit“. „Aufgrund der verzerrten Berichterstattung in ARD, SWR und ZEIT online sprechen wir nur mit Journalisten, die die beigefügte Erklärung unterzeichnen“, heißt es auf der Website. Journalist*innen sollen sich verpflichten, „wahrheitsgemäß, unparteiisch und vollständig zu berichten Und die Grundrechte gemäß Grundgesetz Artikel 5 zu wahren, insbesondere ‘Eine Zensur findet nicht statt‘.“ Hier zeigt sich, welches Bild  von Medien vorherrscht: Eine prinzipiell ablehnende Haltung aller klassischen Medien, da sie eben auch kritisch über die eigene Bewegung berichten. Stattdessen vertraut „Querdenken“ wohl eher „alternativen Medien“.

Zeichnet das Twitter-Profil den Weg einer Radikalisierung?

Initiator der Initiative ist Michael Ballweg, ein IT-Unternehmer, dessen Werbe-Kugelschreiber auf den Demonstrationen verteilt werden. Über ihn lässt sich im Internet nicht viel finden, auch nicht zu politischen. Interessant ist er hingegen schon, besonders sein Twitter-Profil.

Noch bis in den März hiein postete Ballweg auf seinem kleinen Kanal Inhalte, die die Maßnahmen gegen die Pandemie gutheißen und dazu aufriefen, sich an die Distanz-Regelungen zu halten. Außerdem teile er einen Beitrag zu den Leichentransporten in Bergamo, einer italienischen Stadt, in der das Virus zu zahlreichen Toten führte. Schließlich folgten Beiträge die eher die wirtschaftlichen Folgen zum Thema hatten. So teilte er ab Mitte März Beiträge von „Crash-Propheten“ wie Marc Friedrich, bei näherer Prüfung halten solche Vorhersagen einer Überprüfung jedoch nicht stand.

Schließlich folgten Posts, die das Virus bagatellisieren. Ballweg postet ein Video des Professors Sucharit Bhakdis. Es geht hier darum, dass die Gefahr des Corona-Virus völlig übertrieben sei und die Maßnahmen dagegen zerstörerisch seien.

Bhakdi zweifelt daran, dass die Zahlen, die als Todesfälle durch Corona angegeben würden, korrekt sind. Die Todesraten zum Corona-Virus seien nicht aussagekräftig, behauptet Bhakdi, warum das so nicht stimmt, hat SWR3 nachgezeichnet.

Es folgt ein Retweet mit dem Hashtag #gehtraus. Dann kommen zahlreiche Beiträge von KenFM mit kruden Inhalten zu Covid-19. Für viele Beobachter*innen gelten sowohl der Kanal KenFM als auch sein Betreiber, Ken Jebsen, als Verbreiter von Antisemitismus, Querfront-Denken und Verschwörungserzählungen. Besonders in der derzeitigen Situation, finden die verschwörungstheoretischen Videos von Jebsen eine gefährlich große Verbreitung . Offenbar faszinieren auch Ballweg die Videos von KenFM, er postet in der folgenden Zeit zahlreiche Beiträge von Jebsen.

Relativierung der NS-Zeit

Am 6. April mündet dieser eingeschlagene Weg Ballwegs schließlich in dem Posts eines Comics von Ben Garrison, einem in der Alt-Right beliebten Zeichner.  Darauf zu sehen: Bill Gates als Adolf Hitler mit Spritzen im Hintergrund in Form eines Hakenkreuz. Gates also als neuer Hitler, der die Impfpflicht einführen will. Ballweg schreibt dazu: „Sehr erschreckend, was @BillGates  für Vorstellungen hat. #Covid_19 #COVID19“. Als nächstes retweetet er ein Gif mit dem Text: „Everything you think you know is wrong.“

Eine Impfpflich gegen SARS-CoV-2 ist allerdings von Seiten der Bundesregierung bisher weder beschlossen noch geplant.

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Spätestens ab jetzt bezweifelt Ballweg die offiziellen Zahlen zu Covid-19, zumindest via Twitter. Er verbreitet noch mehr verschwörungstheoretischen Inhalt von Ken Jebsen und Co. und macht Werbung für seine Demonstrationen in Stuttgart. Bei Ballweg schwingt immer die Erzählung eines autoritären deutschen Staats mit, der die Grundrechte außer Kraft gesetzt habe, verbunden mit einer extremen Eliten-Feindlichkeit. Dieses „Die da oben“ gegen „wir da unten“-Denken, die Idee, dass es eine Clique von Verschwörern und Verschwörerinnen gibt, die alles lenken, ist eingebettet in einen einfachen „Gut gegen Böse“-Kampf. Und meistens sind solche Erzählungen stark antisemitisch aufgeladen, wenn es sich bei der bösen Elite um Jüdinnen und Juden handelt.

Aktuell stehen Bill Gates und seine Frau Melinda Gates ganz oben in der Rangordnung der Bösewichte. Die Struktur der Mythenbildung um Gates ähnelt der um den Milliardär George Soros beim Thema Migration. Es herrscht eine komplexe Situation und um sie begreifbar zu machen, braucht es einen personifizierten Bösewicht. Verschwörungsideolog*innen brauchen eine Person, die sie verantwortlich machen können. Eine Figur, die die Situation absichtlich geschaffen haben soll. So schaffen sie sich einen greifbaren Gegner, statt eines unsichtbaren Virus, den es zu bekämpfen gilt.

Breiter Radikalisierungs-Prozess in der Bevölkerung

Zwar kann man alleine von einem kleinen Twitter-Profil noch nicht auf eine Radikalisierung schließen, allerdings zeichnet sich hier ein Bild ab, dass sich derzeit wohl vielfältig finden lässt. Menschen die vorher weitestgehend unpolitisch waren, beginnen sich momentan durch den Konsum von Veschwörungsmythen zu politisieren und zu radikalisieren.  Besonders in Telegram-Gruppen kann man derzeit solche Radikalisierungsprozesse live verfolgen.

Am kommenden Samstag, den 9. Mai, will „Querdenken“ wieder demonstrieren. Ken Jebsen hat sich bereits angekündigt.

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