2016 tragen Carolin und Sandra Münch vom Verein Bon Courage e.V. zwei Tische auf die Straße und beginnen geflüchtete Menschen zu ihren Rechten zu beraten. Der Grund ist nicht das sonnige Wetter, sondern Steine, die durch die Scheibe der Vereinsräume geflogen sind und der Gestank von Buttersäure, der sich hartnäckig überall verbreitet hat. Der Anschlag gegen den Verein findet nur wenige Wochen nach Eröffnung der neuen Büroräume statt. Mit den Beratungen auf der Straße wollen die beiden Schwestern zeigen, dass sie sich nicht einschüchtern lassen.
„Wir wollten die Geschichte und wie wir sie erzählen, einfach selbst bestimmen. Wir saßen an zwei Tischen und haben weitergemacht, weil wir gesagt haben, okay, wir werden jetzt nicht aufhören mit unserer Arbeit, das erreicht ihr nicht. Dann nehmen wir uns den öffentlichen Raum und machen das da“, erzählt Sandra Münch.
Auch wenn der sich lange haltende Gestank von Buttersäure die beiden noch länger herausfordert, erfahren sie viel Solidarität und Unterstützung und gehen gestärkt aus der Erfahrung heraus.
Systematisch vor die Wand gefahren
Der Verein Bon Courage e.V. gründet sich im Jahr 2007. Einige Jugendliche wollen sich für Schutzräume für Menschen einsetzen, die mit Angriffen aus der hoch organisierten Nazi-Szene Bornas zu kämpfen hatten.
Aus den anfänglichen Bildungsangeboten zu rechtsextremen
Strukturen in Borna entwickelt sich im Laufe der Jahre ein Beratungsangebot für geflüchtete Menschen. Eher zufällig kommen die Schwestern Carolin und Sandra Münch in Kontakt mit einer geflüchteten Familie aus Borna, durch die sie die ersten Erfahrungen mit den desolaten Zuständen in Flüchtlingsheimen und der Unverständlichkeit des Asylrechts machen. Erst damals, sagt Sandra Münch, habe sie verstanden „was da systemisch alles richtig gegen die Wand fährt.“ Sie beginnen eine Sporthalle in Borna anzumieten, Fahrmöglichkeiten zu organisieren und bieten Volleyball für Menschen aus Unterkünften an. Die Sportgruppe wird gut angenommen, das Angebot hält sich bis heute.
Die beiden Schwerstern arbeiten sich in das Asylsystem ein, alles „Learning by Doing“, damals gibt es noch keine Migrationsberatungen oder Flüchtlingssozialarbeit, erzählt Sandra Münch. Neben den Beratungen versuchen sie, Öffentlichkeit für die katastrophalen Zustände zu schaffen, in denen sich die Menschen befinden. Sie organisieren Demonstrationen und Proteste. Später gründen sie deshalb den „Runden Tisch Migration“ des Landkreises Leipzig, um den politische Aktivismus von der Arbeit mit den Behörden zu trennen.
Im Sommer 2015 rückte das Thema Migration und Flucht plötzlich in den Fokus der breiten Öffentlichkeit. Für Bon Courage bedeutete das eine neue Rolle: Plötzlich werden Carolin und Sandra Münch, die sich schon lange mit dem Thema auseinandersetzen, als Expertinnen befragt. Neben der neuen Rolle bringt der Sommer noch weitere Herausforderungen mit sich. Die Asylgesetzgebung änderte sich rapide und die Schwestern müssen sich in die neue rechtliche Lage einarbeiten, die, so Sandra Münch, ja eigentlich niemand verstehen soll.
Bon Courage als Schutzraum und Plattform für Selbstbestimmung
Was als kleines Jugendprojekt begonnen hat, ist heute eine feste Struktur. Sandra und Carolin Münch arbeiten mittlerweile mit zwei Kolleginnen in dem Verein und bieten eine vielseitige Kombination an Beratungen, Projekten und Unterstützungsmöglichkeiten an.
Ein großer Teil der Arbeit sind noch immer die offene Beratung und Frauensprechstunde. Mit ihrem von Ehrenamtlichen unterstützten Beratungsangebot schließt Bon Courage eine Lücke, „wo der Staat nicht selten auch Menschen- und Grundrechte mit Füßen tritt.“ Die Schwestern beraten in Momenten, in denen es vielen Migrationsberatungen untersagt ist zu unterstützen, etwa bei abgelehnten Bescheiden und bei drohender Abschiebung. Ein sich nur prekär haltendes, aber unersetzliches Angebot im politischen Kontext um Migration.
In der Projektarbeit entscheiden die Teilnehmer*innen vermehrt selbst über Angebote und werden darin unterstützt. Es gibt Computerkurse für Frauen, einen Nähkurs, der von einem Ehrenamtlichen angeboten wird und verschiedene Bildungsangebote. Zur großen Freude von Sandra Münch haben sich aus den Strukturen von Bon Courage außerdem zwei Migrant*innenselbstorganisationen gegründet, die von Bon Courage in Antragsstellung und Strukturen unterstützt werden.
Auch die Räumlichkeiten zeugen von der offenen Arbeit des Vereins. Die Räume sind gemütlich eingerichtet, es gibt Sitz- und Arbeitsmöglichkeiten und Spielecken für Kinder.
Zwischen Anfeindungen und dem Unrechtssystem Abschiebungen
Die Arbeit mit Behörden und der Stadt ist von Anfang an nicht besonders einfach. Die beiden Frauen gelten als „Linksextreme“ und „Steinewerfer“ und werden als junge Menschen nicht ernst genommen. Außerdem kämpfen sie dauerhaft, wie viele zivilgesellschaftliche Projekte, mit unsicheren Projektfinanzierungen und damit dem steigenden Druck, die Räumlichkeiten, in denen sich immer mehr Menschen organisieren, zu erhalten. Auch die Sorge um tätliche Angriffe auf Personen steigt mit den sich verschärfenden Debatten um Migration und Abschiebung.
Als persönliche Herausforderung beschreibt Sandra Münch das Begleiten der Abschiebungen. Dabei wundert sie sich nicht selten, wie wenig bekannt das Unrechtssystem der Abschiebungen tatsächlich ist: „Ich glaube, viele Menschen wissen das einfach nicht, wenn dann nachts jemand klingelt und sagt, zehn Minuten Zeit, ihre Tasche zu packen. Und dass das Standard ist und das auch bei Kindern passiert und kranken Personen“. Mit einem Podcast setzt sie sich deshalb für die Sichtbarmachung des Unrechts im Abschiebegeschehen ein.
„Unsere Solidarität ist größer als eure Steine“
Trotz alledem versuchen die Schwestern weiterhin eine starke und positive Geschichte zu erzählen und sich in ihrem Engagement nicht einschüchtern zu lassen. Als nach einem erneuten Anschlag der geworfene Pflasterstein am Sicherheitsglas kaputtgeht, hängen in den Tagen darauf Plakate in der Scheibe: „Unsere Solidarität ist stärker als eure Steine“.
Fragt man Sandra Münch, was Bon Courage auszeichnet, ist es vor allem die Beständigkeit des Vereins: „Wir sind einfach da, seit 2009.“ Außerdem ist sie stolz darauf, was sich über die Jahre aus den Strukturen entwickelt hat. „Ich glaube, wir strahlen etwas aus, dass die Menschen mitreißt und wo sie auch Bock haben mitzumachen. Also ich glaube, was wir geschafft haben, ist viele Menschen mitzunehmen, die sich an diese Energie anschließen und diese Energie selbst für sich nutzen.“
Was sie sich wünscht, ist Anerkennung von zivilgesellschaftlicher Arbeit auf politischer Ebene. Sandra Münch erlebt, wie Zivilgesellschaft und ihr gesellschaftlicher Wert häufig nicht ernst genommen werden. Statt Unterstützung zu erfahren, kämpfe Bon Courage ständig um seine Existenz.