„Haut ab! Haut ab!“, „Nazis raus!“ und Buhrufe schallen den Neonazis lautstark entgegen, als sie auf der Siemensstraße durch den Berliner Stadtteil Schöneweide ziehen – es wird einer der wenigen Momente an diesem 1. Mai bleiben, an dem es den Gegendemonstrantinnen und –demonstranten erlaubt ist, in Hör- und vor allem Sichtweite der Rechtsextremen zu protestieren. Davon abgesehen können die Neonazis nahezu unbehelligt durch Schöneweide marschieren, da die Polizei Blockaden der Route um jeden Preis verhindern will – ein frustrierendes Erlebnis für alle Teilnehmer der Gegendemonstrationen.
Räumpanzer, Wasserwerfer und kreisende Hubschrauber stehen symbolisch für die Taktik der Polizei. Nach der Demo ist in den sozialen Netzwerken vom unverhältnismäßig harten Vorgehen der Beamten die Rede: So berichten viele Teilnehmer der Gegenproteste, dass mehrfach Demonstrierende ohne Grund mit Tränengas oder Pfefferspray besprüht worden seien, auch der Wasserwerfer kam zum Einsatz. Susanna Kahlefeld von Bündnis 90/Die Grünen kommentiert dazu: „Ich bin schockiert über den massiven Polizeieinsatz gegen die Gegendemonstrant_innen. Wenn das die neue Strategie der Berliner Polizei ist, sehe ich schwarz für zivilgesellschaftliches Engagement.“
„Berlin gegen Nazis“
Dabei beginnt der Tag vielversprechend: Bei strahlendem Sonnenschein reisen mehrere tausend Menschen am Morgen nach Schöneweide, um sich den Nazis entgegenzustellen. Am gleichnamigen S-Bahnhof gibt es eine erste Kundgebung, gefolgt von einer Demonstration durch den Stadtteil, die vom Berliner Bündnis „Erster Mai – Nazifrei!“ organisiert wurde. Das Bündnis hatte zuvor unter der Überschrift “ Kommt nach vorne – Nazis blockieren!“ dazu aufgerufen, sich den Rechtsextremen entgegenzustellen.
Gut 400 Neonazis sind wiederum der Einladung der NPD gefolgt, die unter dem Motto „Genug gezahlt – wir sind keine Melkkuh Europas“ aufmarschiert, an der Spitze die NPD-Größen Holger Apfel und Udo Voigt. Wie alle anderen rechtsextremen Teilnehmer der Demo werden sie bereits beim Eintreffen im Bahnhof Schöneweide von einem passenden Großtransparent begrüßt: „Berlin gegen Nazis“. Schöneweide wird von den Rechtsextremen als „Stammland“ gesehen – insofern ist die Mobilisierung von wenigen hundert Demoteilnehmern beileibe kein Erfolg.
NPD-Zug: Holprig gebrüllte Parolen
Eigentlich soll der braune Aufmarsch bereits um 12 Uhr beginnen, doch eine kreative Idee von vier Gegendemonstranten verzögert den Start: Auf der Brückenstraße haben sie ihre Arme in einer schweren Betonpyramide verankert – eine Methode, die man von den Anti-Atom-Protesten im niedersächsischen Gorleben kennt. Erst mithilfe eines Krans gelingt es der Polizei, die Pyramide – mitsamt der vier Protestierenden, die nun wegen Nötigung angezeigt werden sollen – von der Straße zu entfernen, so dass die NPD-Demo loslaufen kann.
Das Bild, das der braune Zug zeigt, reicht von älteren Parteimitgliedern an der Spitze über jüngere Neonazis, die die Fahne der Jungen Nationaldemokraten, der NPD-Jugendorganisation, schwenken. Dahinter ein etwas vereinsamtes Trio aus Lübeck, das ein Transparent mit der Aufschrift „Kein Bock auf Antideutsche“ vor sich her trägt. Ihnen schließt sich der Ring Nationaler Frauen an, gefolgt von den freien Kräften. Besonders deprimierend: Einer der Neonazis hat seine kleine Tochter dabei, das Mädchen scheint nicht älter als acht Jahre und versteckt die meiste Zeit verängstigt sein Gesicht in der Jacke des Vaters.
Mittendrin wettert Sebastian Schmidtke, NPD-Landesvorsitzender in Berlin, der hier auch seinen Militaria-Laden „Hexogen“ betreibt, gegen Europa und den Euro. Schweigt sein Megafon, dann liegt auch über dem Zug eine merkwürdige Stille. Nur vereinzelt sind holprig gebrüllte Parolen zu hören, die schnell wieder verstummen, und Provokationen in Richtung der anwesenden Pressefotografen.
Erst beim Einbiegen in die Siemensstraße wird es lauter: Hier gelingt es den Gegendemonstrierenden, dichter an den Nazi-Zug zu kommen – wobei sie allerdings von den Wasserwerfern der Polizei in Schach gehalten werden. Die Szenerie freut die Neonazis sichtlich: Feixend und winkend passieren sie die schallenden Proteste. Anwohnerinnen und Anwohner beobachten das Spektakel von ihren Balkonen, während der Zug langsam wieder Richtung S-Bahnhof zieht. Nur wenige Male gelingt es, die nun ertönenden Sprechgesänge der Nazis („Frei, sozial und national“, „Hier marschiert der rechte Widerstand“) zu übertönen. Je näher der Bahnhof kommt, umso weiträumiger wird die Route von der Polizei abgesperrt – für die Gegendemonstrierenden ist kein Durchkommen mehr. Ungestört können die Neonazis so zu ihrem Abschlusspunkt kommen, wo unter anderem Reden mehrerer NPD-Größen sowie Musik auf dem Programm stehen. Als Holger Apfel seinen Auftritt hat, ist die Musik der Gegendemonstranten nur aus der Ferne zu hören – lauter klingen da die vereinzelten Buhrufe aus den eigenen Reihen.
Die Blockade gelebter Demokratie
Auch, wenn Apfel aus den eigenen Reihen ausgepfiffen wird, die meisten Nazis noch während der Abschlusskundgebung die Heimreise antreten und überhaupt weniger Teilnehmer als erwartet zum NPD-Aufmarsch gekommen sind, bleibt eine durchwachsene Bilanz – so war die Blockade der rechtsextremen Demo nicht erfolgreich. Und das, obwohl sich mehrere tausend Menschen den Neonazis in den Weg stellen wollten.
Kein Wunder also, dass Jan Landers, Pressesprecher des Bündnisses 1. Mai Nazifrei Jan Landers erklärt: „Trotz enormer Planungen und Anstrengungen seitens der Berliner Zivilgesellschaft und antifaschistischer Gruppen ist es uns nicht gelungen den Naziaufmarsch zu verhindern.“ Die Berliner Polizeiführung habe heute bewiesen, dass es ihnen wichtiger sei, einigen hundert Nazis mit allen Mitteln den Weg frei zu prügeln als gelebte Demokratie auf den Straßen von Berlin-Schöneweide zuzulassen.
Noch zu Beginn des Tages hatte Eva Högl, Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion im NSU-Untersuchungsausschuss, erklärt: „Wir werden die Stadtteile nicht den Nazis überlassen.“ Zumindest in Schöneweide wurden die Gegenproteste allerdings aus dem Blickfeld der Nazis verbannt.
Text: Alice Lanzke
Fotos: Robert Damrau
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