Zu 12:00 Uhr hatte die rechtsextreme, sogenannte „Initiative gegen das Vergessen“ zum alljärlichen „Gedenkmarsch“ zum Bahnhof Magdeburg-Neustadt mobilisiert – vergebens. Rund 50 Gegendemonstrant*innen hatten nämlich verschiedene Gleise mit einer Holztür, einem Kühlschrank und anderen Gegenständen blockiert. Die Bundespolizei löste die Blockade auf und entfernte die Gegenstände aus dem Gleis. Hinzu kam anschließend ein auf den Gleisen platzierter Koffer, der den Polizeibeamten verdächtig vorkam. Zwar entpuppte sich dieser später als Attrappe, aber dennoch waren mittlerweile mehrere Stunden verstrichen. Schon zuvor kam es auf verschiedenen Zugstrecken in Richtung Magdeburg zu Störungen. Betroffen waren Rackwitz in Sachsen, Mahlwinkel im Norden Magdeburgs und der Bahnhof Magdeburg-Südost. Dort konnten wegen eines Kabelbrandes zeitweilig keine Züge aus dem Süden zum Hauptbahnhof Magdeburg fahren.
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„Auf Biegen und Brechen“
Nachdem dann, nach mehreren Stunden, feststand, dass der Marsch der Neonazis aus dem Kameradschaftsspektrum in den SKET-Industriepark verlegt wird und damit auf der anderen Seite der Elbe stattfinden soll, verbreitete sich die Nachricht blitzartig über den eingerichteten Newsticker bei Twitter. Doch Polizist*innen hatten derweil aber schon alle Brücken gesperrt – Proteste, die sich im Zentrum verbreiteten und in den Süden vordringen wollten, konnten daher nicht in Hör- und Sichtweite stattfinden. Auch die Möglichkeit, an angemeldeten Kundgebungen teilzunehmen, wurde komplett unterbunden. Selbst Menschen, die nur zum Einkaufen auf der anderen Elbseite verweilten, durften nicht zurück in ihre Wohnungen.Die rund 800 Neonazis des Marsches setzten sich – angeführt von NPD-Bundesvorstand Andy Knape – gegen 16:00 Uhr in Bewegung. Der vorgebliche „Trauer“-Trupp, der mit klassischer Musik einen Marsch von circa 6,5 Kilometer zurücklegte, holte dann bei Zwischenkundgebungen zum Schlag aus: Anwesende Journalisten wurden mit Zigarettenstummeln beworfen und mit Parolen wie „Linkes Gezeter – 9 Millimeter“ bedroht. Zudem wurden von mehreren Medienvertretern, die ihre Fahrzeuge in der Umgebung geparkt hatten, von bisher Unbekannten die Reifen aufgeschlitzt. Trotz massiver Versuche der Polizei, Proteste in Sicht- und Hörweite zu verhindern, gelang es einigen Gegendemonstrierenden dennnoch, bis in die Nähe dieses nationalistischen Marsches vorzudringen – wo sie friedvoll protestierten und zeigten, das dies möglich ist – und sein muss. „Durch den Einsatz vieler Gegendemonstranten ist es zwar erstmals gelungen, die Logistik der Nazis effektiv zu stören, stark zu verzögern und den Aufzug zu spalten“, zieht später das Bündnis „#blockmd“ Bilanz. Gleichzeitig übt das Bündnis aber auch Kritik an der Polizei: So habe diese der Durchführung des Naziaufmarsches höchste Priorität eingeräumt, währenddessen Proteste stark be- und verhindert wurden. Auch Claudia Dalbert, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, meint: „Auf Biegen und Brechen hat die Polizei den Rechtsextremen diesen Marsch ermöglich“.
Die „Meile der Demokratie“ und die „Meilensteine“
Insgesamt protestierten rund 10.000 Menschen in verschiedensten Formen gegen den Naziaufmarsch. Das Spektrum reichte von Ausstellungen, Informationspunkten und Kundgebungen bis hin zu Konzerten. „Die Menschen haben die Schnauze voll, dass seit 14, 15 Jahren jedes Jahr der Ungeist durch die Stadt marschiert“, sagte Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) zur Eröffnung der „Meile der Demokratie“. Seit sechs Jahren ist dieses Straßenfest die Antwort eines breiten Bündnisses unter Führung der Stadt, den Naziaufzug anlässlich der Bombardierung der Stadt während des Zweiten Weltkriegs am 16. Januar 1945 in der Innenstadt zu verhindern. Fast 170 Vereine, Organisationen und Initiativen beteiligen sich, um die 10.000 Besucher*innen waren es in diesem Jahr nach Polizeiangaben.
Ein neues Gegenkonzept waren im Jahr 2014 die „Meilensteine“ – kleinere Kundgebungen und Demonstrationen an verschiedenen möglichen Aufmarschplätzen der Neonazis in der Stadt. Damit, so hofften die Organisator*innen, ließen sich gleich zwei Probleme lösen: Die Neonazi-Strategie, mit mehreren angemeldeten Treffpunkten und möglichen Demonstrationsrouten für Verwirrung zu sorgen sowie die Taktik der Polizei, Demonstrant*innen und Gegendemonstrant*innen rigide zu trennen, statt Protest in Hör- und Sehweite zu ermöglichen. Allerdings wurde das Konzept teilweise dadurch ausgehebelt, dass die Polizei die Menschen nicht zu den angemeldeten Treffpunkten durchlies, wenn ihr diese zu nah an den Nazis erschienen. Trotzdem nahmen laut „Bündnis gegen Rechts Magdeburg“ bis zu 2.000 Demonstrant*innen an den „Meilensteinen“ teil. Der „Meilenstein“ im Herrenkrug war lange Zeit der einzige Protest dort in der Nähe des Naziwartepunktes, weil dorthin niemand mehr durchgelassen wurde.
Entsprechend kritisiert auch Pascal Begrich, Geschäftsführer des Netzwerks für Demokratie in Sachsen-Anhalt, Miteinader e.V., die Einsatzstrategie: „Der hohe Aufwand, den die Polizei betrieben hat, um den Neonazis einen weitgehend ungestörten Aufmarsch zu ermöglichen, lässt sich nicht rechtfertigen.“ Die Polizei habe den neonazistischen Veranstaltern im Laufe des Tages drei Aufmarschrouten offeriert und dafür massive Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger in Kauf genommen. Begrich ergänzte: „Offenbar räumte die Polizei der Durchsetzung des Naziaufmarschs höhere Priorität ein als den friedlichen Gegenprotesten.“ Nachdem ein Aufmarsch der Nazis im Stadtteil Herrenkrug verhindert wurde, stellte die Polizei noch am späten Nachmittag für den Aufmarsch eine Route im Süden der Stadt in Aussicht und setzte diese auch offensiv durch. „Dem Versammlungsrecht der Nazis wäre mit einer stationären Kundgebung genüge getan. Es ist nicht Aufgabe der Polizei, den organisatorischen Rahmen eines Naziaufmarsches zu gewährleisten“, so Begrich weiter. Außerdem sei es im Zuge der Abreise der Nazis zu Gewalttaten gegenüber ebenfalls abreisenden Gegendemonstrant*innen gekommen. Dazu sagte Begrich: „Ihr wahres Gesicht offenbaren Rechtsextreme nicht nur bei ihren Aufmärschen sondern auch bei den Gewalttaten danach.“
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