Es soll ein erster Schritt der neuen Bundesregierung gegen Rechtsextremismus sein: Am 15. März 2022 stellte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vor. Bis Ostern wollte die Ampelkoalition ihre Strategie präsentieren – samt Demokratiefördergesetz, das noch in Bearbeitung sei. Faesers Maßnahmenpaket zeigt, dass aus ihren Versprechen, Rechtsextremismus zu bekämpfen, ernstgemeinte Taten folgen.
„Die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie ist der Rechtsextremismus“, beginnt Faeser. Ein Satz, über den alle auf dem Podium in der Bundespressekonferenz einig zu sein scheinen. Neben der Innenministerin sitzen Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, BKA-Präsident Holger Münch und Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) Thomas Krüger. Die Besetzung heute ist Teil der Strategie. Denn Faeser betont: „Politische Bildung, Prävention und das konsequente Handeln unserer Sicherheitsbehörden gehören zusammen.“ Sie wolle Rechtsextremismus ganzheitlich und frühzeitig bekämpfen – „mit Prävention und Härte“.
Auch wenn ein Pressestatement von Faeser und der Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) zum neuen Demokratiefördergesetz Ende Februar aufgrund des Ukraine-Krieges kurzfristig abgesagt werden musste, lässt Faeser in der heutigen Pressekonferenz wenig Zweifel darüber, dass ihr das Thema eine Herzensangelegenheit ist. Gegen Rechtsextremismus zu handeln – „das hat besondere Priorität für mich“, unterstreicht sie. Die aktuellen Ereignisse in der Ukraine sind aber heute auch Thema, denn auch der Krieg spitzt die Situation rechtsaußen zu: „Wir wissen doch: Rechtsextremisten missbrauchen jede Krise für ihre menschenverachtende Hetze und für den Versuch, Menschen gegeneinander auszuspielen, die Gesellschaft zu destabilisieren und Rassismus zu verbreiten“.
Faeser stellt dann kurz und knapp das Maßnahmenbündel der Bundesregierung vor (siehe unten): Die zehn Punkte gegen Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien fallen ausschließlich in den Aufgabenbereich des Innenministeriums, so Faeser. Ressortübergreifende Maßbahnen folgten noch.
Im Anschluss nennt Verfassungsschutzpräsident Haldenwang eine Reihe von Zahlen: Mehr als 13.300 gewaltorientierte Rechtsextreme gäbe es in Deutschland, 22.357 Straftaten seien alleine im Jahr 2020 verzeichnet worden, davon 1.023 Gewalttaten. Doch eine Zahl insbesondere spricht vielleicht für wenigstens eine kleine Wende in der Sicherheitsbehörden: „Wenn man sich vor Augen hält, dass seit 1990 nach einer Zählung der Amadeu Antonio Stiftung mehr als 200 Menschen durch rechtsextremistische Gewalt ums Leben kommen, so spricht das eine ganz eindeutige Sprache“, so Haldenwang. Dabei sind die Sicherheitsbehörden bisher stets auf eine wesentlich geringere Zahl von Todesopfer durch rechte Gewalt gekommen, etwa die Hälfte.
Haldenwang erwähnt insbesondere auch die „Grenzkontrolle“-Aktionen des „III. Weg“ gegen Geflüchtete und die sogenannte „neue Rechte“ von der „Identitären Bewegung“ über das „Institut für Staatspolitik“ um Götz Kubitschek bis zum Verein „EinProzent“ und dem Compact-Magazin. „Seit wenigen Tagen spreche ich hier auch von der AfD als Gesamtpartei als Verdachtsfall“, sagt Haldenwang. In Bezug auf den ersten Punkt von Faesers Aktionsplan, rechtsextreme Netzwerke zu zerschlagen, sagt Haldenwang, er wolle die Finanzströme von Rechtsrock-Konzerten, Kampfsportveranstaltungen und Merchandising unterbinden.
BKA-Präsident Holger Münch erklärt mithilfe von Fachjargon, wie die Bekämpfung von Rechtsextremismus ermittlungstaktisch erfolgen soll. Das BKA habe gemeinsam mit den Landespolizeien die Bekämpfungskonzepte im Bereich „Politisch-motivierte Kriminalität rechts“ und Hasskriminalität weiterentwickelt nach einem sogenannten „Drei-Ebenen-Ansatz“. „Erste Ebene ist, den personenbezogenen Ansatz zu intensivieren“, so Münch. Konkret heißt das die „intensive Überwachung des bekannten Personenpotenzials“. Dafür werde das Instrument „Radar“ eingesetzt, was bislang im Bereich Islamismus angewendet worden sei. „Das heißt, rechte Gefährder und relevante Personen hiermit bewerten und koordiniert mit Maßnahmen belegen“.
Die zweite Ebene des BKA-Ansatzes sei die Netzwerkerkennung, um bislang nicht erkannte Personen besser identifizieren zu können – vor allem in Bezug auf nicht-polizeibekannte Rechtsextreme. „Die dritte Ebene ist die intensive Bekämpfung von Hass und Hetze im Netz, den Nährboden für Radikalisierung und Impulsgeber für Gewalttaten“, so Münch weiter. Kernstück dieser Ebene sei die Einrichtung einer zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet, kurz: ZMI. Zu Telegram sagt Münch, vor allem mit Hinblick auf die steigende Gewaltaufrufe und Morddrohungen auf dem Nachrichtendienst seit Beginn der Covid-Pandemie: „Wir gehen nicht gegen Telegram vor, sondern gegen Straftaten auf dieser Plattform. Notfalls ohne, aber bestenfalls mit der Unterstützung von Telegram.“
Zum Schluss betont Thomas Krüger, Präsident der bpb: „Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist nicht nur Sache der Sicherheitsbehörden. Es gehört zur gesellschaftspolitischen Softpower, auch einer ganzen Reihe von anderen Aktivitäten, unter anderem der politischen Bildung.“ Das gelte insbesondere vor dem Hintergrund einer gar nicht mehr so neuen rechtsextremen Strategie der Metapolitik, sagt Krüger. „Dabei versuchen Rechtsextremisten im breiten gesellschaftlichen Diskurs, intellektuell Fuß zu fassen, um so etwas wie kulturelle Hegemonie aufzubauen“. Dabei seien auch Bildungs- und Kultureinrichtungen, aber auch der schulische Unterricht ins Fadenkreuz von Rechtsextremen geraten. „Es wird von ihnen abgefordert, so etwas wie Neutralität zu wahren. Dabei ist politische Bildung in der Geschichte nie neutral gewesen, sondern immer an den normativen Leitplanken des Grundgesetzes orientiert: Meinungsfreiheit, Menschenwürde, Wissenschaftsfreiheit, Kunstfreiheit.“
Nach der Pressekonferenz begrüßte Timo Reinfrank, Geschäftsfrührer der Amadeu Antonio Stiftung, den Aktionsplan als „wichtiges Signal“. Doch er bemängelt: „Noch besteht der Aktionsplan…aus Ankündigungen, eine wirkliche Repression muss sich an vollstreckten Haftbefehlen, verbotenen Organisationen und eingezogenem illegal erworbenen Vermögen messen. Diese konkreten Maßnahmen bleibt uns das Innenministerium bislang schuldig“. Zudem betonte Reinfrank, dass sich Rechtsextreme oft in der Illegalität bewegen, etwa im „Rocker“-Milieu. „Ein wirkliches Umdenken in den Sicherheitsbehörden wird nur gelingen, wenn der Bund verstärkt auf die Länder Druck ausübt und auch diese stärker gegen die rechtsextreme Szene vorgehen“, so Reinfrank weiter in einer Pressemitteilung.
Der Aktionsplan gegen Rechtsextremismus im Überblick:
1. Rechtsextreme Netzwerke zerschlagen
„Dafür müssen wir Netzwerke schneller und besser identifizieren“, sagt Nancy Faeser. Finanzaktivitäten rechtsextremer Netzwerke werden aufgeklärt und ausgetrocknet. „Denn ohne Finanzmittel gibt es keine Propaganda und keine Aktivitäten, um Menschen zu radikalisieren und zu rekrutieren.“ Das Bundesamt für Verfassungsschutz werde daher die Aufklärung und Analyse rechtsextremer Finanzaktivitäten deutlich ausweiten. „Ziel ist es insbesondere, wesentliche Netzwerke, Akteure und Geschäftsfelder zu identifizieren und zu bekämpfen. So werden beispielsweise über Konzerte, Festivals, Musikprodukte, Kampfsportveranstaltungen und E-Commerce/Ladengeschäfte für Szenebekleidung und Merchandise teilweise beträchtliche Einnahmen erzielt.“
2. Rechtsextreme konsequent entwaffnen
Rund 1.500 mutmaßliche Rechtsextreme verfügen laut Sicherheitsbehörden über mindestens eine waffenrechtliche Erlaubnis. „Das wollen wir ändern“, sagt Faeser. Dazu werden Verfahrensweisen erarbeitet, um den Entzug und die Versagung waffenrechtlicher Erlaubnisse besser durchsetzen zu können. „Wir werden für einen engen Austausch von Verfassungsschutz, Waffen- und Polizeibehörden sorgen“.
3. Hetze im Internet ganzheitlich bekämpfen
„Dass wir das können, haben wir mit unserem deutlichen Vorgehen gegen Morddrohungen auf Telegram schon gezeigt“, so Faeser. Das Bundeskriminalamt werde dazu die Entwicklungen im Bereich strafbarer rechtsextremer Online-Inhalte ganzheitlich angehen, heißt es. Hierzu werde aufbauend auf der „Taskforce Telegram“ gezielt die sozialen Netzwerke beobachtet, um aktuelle Entwicklungen frühzeitig zu erkennen.
4. Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst entfernen
„Wer den Staat ablehnt, kann ihm nicht dienen“, macht Faeser deutlich. Dafür werde das Disziplinarrecht geändert. „Wir werden ein einheitliches und konsequentes Handeln gegen die wenigen Extremisten im öffentlichen Dienst sicherstellen.“ Der nächste Lagebericht „Rechtsextremisten, Reichsbürger und Selbstverwalter in Sicherheitsbehörden“ soll in Kürze vorgestellt und schrittweise auf den gesamten öffentlichen Dienst ausgeweitet werden. Dass dieser Bericht aber selbst von den Sicherheitsbehörden erstellt wird, wird erst auf Nachfrage kurz, aber unkritisch kommentiert.
5. Verschwörungsideologien entkräften – Radikalisierung vorbeugen
Auf Bundesebene soll ein zentrales Beratungsangebot für Menschen geschaffen werden, die in ihrem persönlichen Umfeld eine Radikalisierung aufgrund eines wachsenden Verschwörungsglaubens beobachten. Auch das Aussteigerprogramm des Bundesverfassungsschutzes werde ausgeweitet, heißt es.
6. Prävention gegen Extremismus – demokratische Streitkultur fördern
„Wir werden Prävention gegen Extremismus stärken und die demokratische Streitkultur fördern“. Dafür soll das erfolgreiche Programm der bpb „Miteinander Reden“ ausgebaut werden, um Gesprächsräume zu schaffen und kontroverse Positionen und Meinungen zusammenzubringen, heißt es.
7. Politische Bildung im Kampf gegen Rechtsextremismus stärken
„Mit einem neuen Förderschwerpunkt politische Bildung zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Verschwörungsideologien fördern wir gezielt Bildungseinrichtungen, wir qualifizieren Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für die Arbeit an Schulen, in der Jugend- und Erwachsenenbildung“, so Faeser. Zivilgesellschaftliche Akteure wolle die Bundesregierung verstärkt unterstützen.
8. Medienkompetenz im Umgang mit Desinformation, Verschwörungsideologien und Radikalisierung stärken
„Mit dem Förderprogramm ‚Demokratie im Netz‘ schaffen wir neue und weitergehende Angebote der politischen Bildung“, sagt Faeser knapp.
9. Schutz von Mandatsträgern
„Wir wollen für einen besseren Schutz von Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sorgen.“ Denn die Zahl der polizeilich registrierten Angriffe habe sich in den letzten Jahren mehr als verdreifacht. „Deshalb will ich ganz klar sagen: Wir stellen uns den Bedrohungen gegen Menschen, die sich tagtäglich für unser Gemeinwohl engagieren, entschieden entgegen“. Der starke Anstieg dieser Taten zeige eine Verrohrung und Verachtung von Staat und Demokratie, die konsequentes Handeln erfordert. Konkret heißt das: Eine „Allianz zum Schutz kommunaler Mandatsträger“ werde ins Leben gerufen. Diese Allianz werde innerhalb eines Jahres konkrete Vorschläge zum verbesserten Schutz erarbeiten.
10. Opfer von Rechtsextremismus nicht allein lassen
„Wir wollen mehr Empathie und mehr Unterstützung für Betroffene“, sagt Faeser. Die Polizeiausbildung werde deshalb gestärkt. Interkulturelle Kompetenzen sollen besser vermittelt werden, die Bundesregierung will auch für Schulungen für sensiblere Erstkontakte und mehr Transparenz gegenüber Betroffenen sorgen.