Der Internationale Tag gegen Rassismus am 21. März geht auf das Massaker von Sharpeville in Südafrika zurück: 1960 erschossen Polizeieinheiten an diesem Tag 69 Menschen, als mehrere Tausend Schwarze vor einer Polizeiwache protestierten. 1966 riefen die Vereinten Nationen den Internationalen Tag aus und 1979 regten sie an, eine ganze Aktionswoche auszurichten. 1994 griff der Interkulturelle Rat in Deutschland e.V. die Idee auf und seit 2008 sind es dank der kontinuierlich steigenden Zahl an Aktionen mehrere Wochen, die der Auseinandersetzung mit jeder Form von Rassismus und Antisemitismus gewidmet sind.
Die späte Übernahme des Impulses der UNO 28 Jahre nach Ausrufung des Aktionstages wirft ein Licht auf die typisch deutsche Abwehr, Rassismus auch auf in der heutigen Zeit wahrzunehmen und nicht auf den Nationalsozialismus zu reduzieren. Erst mehrere Jahre permanenter Brandanschläge und alltäglicher rechtsextremer Gewalt seit dem Mauerfall, aber auch Akteur*innen einer zunehmend auf Einwanderung zurückgehenden Bevölkerung öffneten 1994 den Raum für die Ausrichtung einer Aktionswoche gegen Rassismus auch in Deutschland.
Die 1920er Jahre: Früher Höhepunkt rassistischer Agitation gegen Schwarze im Rheinland
Fragt man, wann in Deutschland ein Kulminationspunkt von Anti-Rassismus und Rassismus, insbesondere gegen Schwarze, auszumachen ist, ist ein Blick gute 100 Jahre zurück geboten: 1922/23 erreichte die heute fast vergessene Kampagne „Schwarze Schmach“, die staatliche und gesellschaftliche Mobilmachung gegen nordafrikanische und Schwarze Soldaten der französischen Besatzungstruppen im Rheinland, ihren Höhepunkt. Schon während des Ersten Weltkriegs dienten kolonialrassistische Bilder grausamer afrikanischer Männer, bezogen auf Schwarze Soldaten in französischen und belgischen Truppen zur Heraufbeschwörung der Gefährdung des angeblich so zivilisierten Europas. Ab 1920 wurde diese Narrative gezielt aktualisiert. Nun standen die Gefährdung und Überwältigung der deutschen Nation, verkörpert durch Frauen, im Vordergrund.
Die Kapitulation des Deutschen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg ging nicht nur mit der Revolution von 1918/19 und den Übergang in die Weimarer Republik einher, sondern im Friedensvertrag von Versailles wurde die Besetzung großer Gebiete am Rhein durch Frankreich, die USA und andere Siegermächte festgelegt. Die deutsche militärische und wirtschaftliche Macht sollte beschränkt und ein erneuter Überfall auf Frankreich verhindert werden. Auch die Abtretung der deutschen Kolonien an die Mandatsherrschaft des Völkerbunds wurde im Versailler Vertrag endgültig geregelt, nachdem die Deutschen in den Kolonialgebieten in Afrika, Samoa, Neuguinea und Kiautschou sukzessive die Kämpfe und Schlachten verloren hatten.
Propaganda gegen Schwarze Truppen aus französischen Kolonien
Unter den Besatzungstruppen, die bis 1927 im Rheinland blieben, befanden sich je nach Zeitpunkt auch Zehntausende Schwarzer Soldaten vor allem aus den französischen und belgischen Kolonien. Die Zahlen in der Literatur schwanken zwischen rund 20.000 und gut 40.000, wobei unterschiedliche Gesamtzahlen zu Grunde gelegt werden. Nicht nur die Besatzung selbst wurde als Schande erlebt, sondern dass Deutsche nun unter Kontrolle und Hoheit von Schwarzen standen, galt damals als besondere „Schwarze Schmach“. Der „Erbfeind“ Frankreich, so der Tenor der Propaganda, setze bewusst zivilisationslose „Wilde“ ein, um das deutsche „Kulturvolk“ zu demütigen. Der öffentliche und teils offizielle Protest richtete sich dabei an Politik und Bevölkerung in Frankreich, England und den USA und appellierte an das gemeinsame rassistische Selbstverständnis als europäische und weiße Nationen, die doch selbst im eigenen Land keine Vormacht von Schwarzen dulden würden.
Als Frankreich 1923 im Verbund mit Belgien auch in das Ruhrgebiet einmarschierte, führte dies scheinbar paradox zum Abflauen der offiziellen Propaganda gegen die Schwarzen Truppen: Nun richtete sich die Kritik direkt gegen Frankreich, dessen Aktion auch von den anderen Siegermächten verurteilt wurde. Es wird deutlich, dass nicht tatsächliche Gefahren durch Schwarze Soldaten den Ausgangspunkt der Kampagne gebildet hatten, sondern die rassistische Instrumentalisierbarkeit in der internationalen Diplomatie.
Die meisten Schwarzen Besatzungssoldaten kamen aus französischen Kolonien in Nord- und Westafrika sowie Madagaskar, wobei bald vor allem diejenigen aus Algerien, Marokko und Tunesien hier stationiert blieben. Parteien, hochrangige Politiker, Medien und andere Akteur*innen der deutschen, aber auch internationalen Öffentlichkeit nahmen einzelne Ereignisse zum Anlass, eine existenzielle Gefahr angesichts einer behaupteten unkontrollierten und naturhaften Gewalttätigkeit der Schwarzen Männer zu konstruieren. Sehr schnell stand die alte rassistische Zuschreibung eines tierhaften Sexualtriebs im Vordergrund. Auch wenn in kleinerer Zahl Soldaten aus Kolonien in Asien in Deutschland stationiert waren, richtete sich die Hetze weitgehend gegen Afrikaner. Teils wurden herkunftsbezogene Unterschiede zwischen Nord- und Westafrikanern gemacht oder einzelne Nationen benannt, meist leitete aber die rassistische Imagination ‚des Afrikaners‘ die Pamphlete.
Rassistische Bilderwelten
Einprägsame Bilder spielten eine besondere Rolle dabei, die rassistischen Phantasien plakativ und teils grotesk in Szene zu setzen. Illustrationen in Zeitschriften, Karikaturen in Zeitungen, Postkarten, Plakate, Briefmarken, sogar Filme und selbst Medaillen wurden genutzt, um abstoßende und erniedrigende Bilder von Schwarzen Männern zu zeichnen, die sich, aufbauend auf bestehenden Bildern der Kolonialliteratur, in das allgemeine Bildgedächtnis einschreiben sollten. Die Schwarzen Truppen wurden als gesichtslose, dunkle Masse beim Einmarsch fotografiert und gefilmt, in Fotos und Bildern verschwanden oft die Augen und damit gewissermaßen das menschliche Antlitz unter dem Schatten des Helmes und harte, kantige Züge sollten einen grausamen Charakter anzeigen. Andere Bilder zeigten eher kindhafte und dümmlich anmutende Gesichter, die Körper wurden entweder kräftig und stark maskulin, oft übergroß gezeichnet oder aber auch schlaff und geistlos im Ausdruck. Entweder trugen die Soldaten eine den Menschen und sinnhaft die Menschlichkeit verbergende Uniform oder Helm und Fell, oft waren die Figuren halb oder ganz nackt oder mit Lendenschurz versehen. Sehr oft wurden Gesichter und Körper als affenartig dargestellt, und eines der wichtigsten Bildmotive waren Schwarze als eine Art vorweggenommene Version von King Kong, der anmutige, wehrlose, teil auch widerständige weiß-deutsche Frauen und Mädchen angreift oder raubt.
Die sexuelle Gewalt wurde oft mehr als angedeutet, und Vergewaltigung, die Übertragung sexueller Krankheiten, Kriminalität sowie der kulturelle und „rassische“ Niedergang des deutschen Volkes standen im Zentrum unterschiedlicher Hetzschriften und -plakate, aber auch wissenschaftlicher Ausführungen. In Wort und Bild nehmen die Anfeindungen die NS-Sprache vorweg und erinnern daran, dass die nationalsozialistischen Ideologien auf vorherigen aufbauten. All diese Bilder sagen viel über ihre männlichen Gestalter, insbesondere eine Bronze-Medaille von 1920: Eine nackte Frau ist an einen phallusartigen Marterpfahl gefesselt, die Eichel ein Soldatenhelm. Die Prägung lautet „Die Schwarze Schande“. Wer will, kann heute eine solche Medaille für hunderte Euro im Internet erwerben.
Protest des Afrikanischen Hilfsvereins
Leider ist wenig bekannt darüber, welchen Widerstand Schwarze in Deutschland gegen die rassistische Hetze entwickelten, von der alle betroffen waren: „Ein Landsmann von uns, der vor ungefähr 14 Tagen ruhig auf der Straße ging, wurde plötzlich von Passanten überfallen und furchtbar beschimpft und geschlagen, da die Leute annahmen, dass es sich hier um einen Schwarzen aus dem besetzten Gebiet handelte,“ hieß es in einem Protestschreiben des 1918 in Hamburg gegründeten Afrikanischen Hilfsvereins, einer Schwarze Selbstorganisation. Auch wenn die Kampagne auf die Schwarzen Truppen im Rheinland abzielte, ließ sich damals wie heute eine rassistische Kategorisierung nicht auf eine bestimmte Personengruppe eingrenzen. Das Protestschreiben belegt aber auch, wie sehr Schwarze aus den deutschen Kolonien sich als Deutsche verstanden und so auch gesehen werden wollten:
„Wir möchten auch noch ganz besonders erwähnen, dass wir nicht die unmoralische und unkultivierte Rasse sind, wie in Deutschland jetzt allzu allgemein behauptet wird. Wir müssen die Deutschen auch daran erinnern, dass Lettow-Vorbeck den Krieg in Afrika nicht allein geführt hat, sondern dass die Eingeborenen teilgenommen haben, und dass sie ihr Leben mit Stolz für die deutsche Flagge einsetzten. Die Schwarzen, die sich in Berlin und in den nichtbesetzten Gebieten Deutschlands aufhalten, stammen aus den ehemaligen deutschen Kolonien und sind keine Gelben und Schwarzen aus dem besetzten Gebiet. Wir bitten deshalb die Deutschen, Rücksicht auf diese Schwarzen zu nehmen und nicht fortwährend durch Berichte über die schwarze Schmach gegen sie zu hetzen.“
Louis Brody, der das Schreiben 1921 verfasste, war ein bekannter und erfolgreicher Schauspieler, der auch angesichts der Kampagne zum politischen Aktivisten wurde und sich für Gleichberechtigung einsetzte. 1892 in Kamerun, damals Kolonie, als Ludwig M’bebe Mpessa geboren, kam er mit etwa 20 Jahren nach Deutschland und starb 1951 in Ost-Berlin. Vor wenigen Wochen, am 8. März, wurden an seinem letzten Wohnort in Berlin, wo er vor der Scheidung mit seiner Frau Erika Diek, Tochter eines eingewanderten Kameruners, lebte, Stolpersteine für beide verlegt. [Hier kann man ein Bild herunterladen: https://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Brody#/media/Datei:Stolperstein_Gaudystr_5_(Prenz)_Ludwig_M%E2%80%99bebe_Mpessa.jpg ]
Geächtet und behördlich erfasst: Die „Rheinlandkinder“
Besondere Gewalt erfuhren auch die Kinder der Schwarzen Soldaten. Während bürgerliche Frauenvereine sich an der rassistischen Hetze beteiligten und die „deutsche Frau“ zum kollektiven Opfer stilisierten, hatten Frauen anderer Klassen weniger Berührungsängste. Einige begannen ein Verhältnis mit den Soldaten of Color oder gingen ernste Beziehungen ein. Kinder, die aus diesen Verbindungen, in einzelnen Fällen auch Ehen, entstanden, wurden als Schande und Bedrohung des deutschen Volkes angesehen. Sie galten als „rassisch minderwertig“, man hielt sie besonders anfällig für Krankheiten und geistige Behinderungen und ächtete sie als „Rheinlandbastarde“ oder, unabhängig von der Herkunft des Vaters, als „Marokkanermischlinge“. „Mischling“ trug bereits die Konnotation, die aus dem Nationalsozialismus bekannt ist: Bei der Verbindung von „Rassen“ würden jeweils die negativen Eigenschaften beider Gruppen weitergegeben – Gleiches behauptet heute die sogenannte Neue Rechte in Bezug auf „Kulturen“. Zudem war es extrem geächtet, ein uneheliches Kind zu sein oder eines zu bekommen. „Bastard“ war zwar ursprünglich eine neutrale Bezeichnung für uneheliche Nachkommen, die die Kinder fast alle waren, aber der Begriff war schon lange zu einer erniedrigenden Beschimpfung geworden. Stärker noch als die Nachkommen Schwarzer Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg wuchsen die Kinder unter vielen Stigmatisierungen auf, oft in Kinderheimen. Es gibt aber auch Beispiel für ein liebevolles familiäres und nachbarschaftliches Umfeld. Die Behörden und andere Funktionsträger hingegen begannen sofort damit, die Möglichkeit einer Sterilisation auf legalem oder illegalem Weg zu diskutieren, und ab 1923 wurden die etwa 400 Kinder systematisch erfasst. 1927 war die Einschätzung noch, dass eine zwangsweise Sterilisation nicht geboten sei, da es sich angesichts der Mütter um Deutsche handele.
Geheime Sterilisation der Schwarzen Kinder und Jugendlichen im Nationalsozialismus
Im Nationalsozialismus änderte sich das sofort: Bereits im April 1933 wurden die Kinder durch das Innenministerium und unter Mithilfe der Caritas nochmals zentral registriert, wobei auch versucht wurde, Schwarze Kinder weißer Frauen oder Männer im gesamten Reich vollständig zu erfassen. Bürgermeister und andere lokale Stellen gaben die angeforderten Informationen nach oben weiter. 1935 wurde im „Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassefragen“ beraten, ob man die Kinder und Jugendlichen in afrikanische Länder deportieren oder im Rahmen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ sterilisieren sollte. Beides wurde vor allem wegen der Sorge um die außenpolitische Wirkung einer solchen rassistischen Maßnahme nicht umgesetzt.
Stattdessen wurde die Sterilisation ohne gesetzliche Regelung, aber auf Grundlage eines Führerbefehls vom April und Mai in einer von der Gestapo geleiteten Aktion 1937 geheim durchgeführt. Die Gestapo bzw. eine Sonderkommission in der Berliner Prinz Albert Straße war verantwortlich, weil im Nationalsozialismus „Rasse“ als politische Größe gesehen wurde und entsprechend „Mischlinge“ als politische Feinde im Inneren galten. Die Kinder und Jugendlichen oder ihre Sorgeberechtigten erhielten eine Vorladung in bestimmte Kliniken, unter anderem das Evangelische Krankenhaus in Köln. Die Amtsvormünder oder Mütter wurden zur Einwilligung in die Sterilisation gezwungen, teilweise unter Androhung von Konzentrationslagerhaft. Nachweisbar wurden 436 Minderjährige und Heranwachsende auf diese Art unfruchtbar gemacht.
Der Führerbefehl offenbart die zentrale Bedeutung der rassistischen Ängste vor einer „Vermischung“. Schon Mitte der 1920er Jahre hatte Adolf Hitler in Mein Kampf geschrieben: „Juden waren es und sind es, die den N**** an den Rhein bringen, immer mit dem gleichen Hintergedanken und klaren Ziele, durch die dadurch zwangsläufig eintretende Bastardierung die ihnen verhasste weiße Rasse zu zerstören, von ihrer kulturellen und politischen Höhe zu stürzen und selber zu ihren Herren aufzusteigen.“ In dieser antisemitischen Machtprojektion ist der Rassismus schon selbstverständlich.
Traurige Nachgeschichte
Die Nachgeschichte ist wie immer: Zwar wurden einige der durchführenden Ärzte sogar angeklagt, aber schlussendlich freigesprochen. Die sterilisierten Menschen erhielten nie eine Entschädigung und wurden nicht offiziell als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt. Eine Aufarbeitung erfolgte spät und bruchstückhaft: 1979 erschien das erste schmale Buch über das Verbrechen und derselbe Autor, Reiner Pommerin, publizierte 2003 für einen Sammelband eine Zusammenfassung seiner Forschungsergebnisse – andere Forschungsarbeiten gab es nicht. Die Schwarzen Rheinländer*innen hinterließen, vielleicht von einzelnen Personen abgesehen, die der Sterilisation entgangen waren, keine Kinder und Enkel*innen, die Fotos und Dokumente und Geschichten ausgraben können. Sie hatten Namen wie Hans Hauck, Gregor Bartz, Willi Barth, Susanne Kaiser. Namen, die in Klassenlisten und anderen Dokumenten keinen Hinweis auf einen Vater aus französischen Kolonialgebieten geben. Auch auf Fotos fallen die Kinder und Jugendlichen oft nicht auf.
Die Väter als Menschen sind in der Flut rassistischer Bilder von Schwarzen Männern verschwunden, und die Kinder finden sich vor allem auf Karteikarten, in der Fachliteratur zu NS-Verbrechen und in einzelnen Dokumentarfilmen. Es ist Herta Kaiser-Grimm zu verdanken, dass eine detailreiche, fundierte und einfühlsame Biografie ihres verstorbenen Mannes Josef Kaiser in Form der Graphic Novel Der schwarze Kaiser erscheinen konnte. Josef Kaiser wurde 1921 in Speyer geboren, sein Vater war ein französischer Offizier aus Madagaskar, den er nie kennengelernt hat. Die Biografie erschien 2022, 31 Jahre nach seinem Tod und 100 Jahre nach dem explosionsartigen Ausbruch des antischwarzen Rassismus in der Kampagne gegen die Besatzung des Rheinlands.