Im Januar 2021 zählte die Bundesregierung noch 174 von Rechtsextremen genutzte Immobilien. Mittlerweile, Stand Februar 2023, sind es schon 210. Das ergab die Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken Abgeordneten Martina Renner.
„Die extreme rechte Szene kann auf eine stetig wachsende Zahl von Immobilien zurückgreifen“, konstatiert Renner. „Es geht um Objekte, die von Neonazis unter anderem als Probe-, Veranstaltungs- und Schulungsort genutzt werden und die Angsträume in den betroffenen Städten und Gemeinden schaffen.“
Von rechtsextremen Orten geht immer Gewalt aus
Szeneeigene Immobilien sind für die extreme Rechte wichtig. Sie bieten die notwendige Infrastruktur, damit politische Arbeit organisiert werden kann. Für Rechtsextreme sind es sicherere Räume – für alle anderen nicht. Hier können sie ungestört den Hitlergruß und verfassungsfeindliche Symbole zeigen. Hier kommen sie zusammen, um live Neonazi-Musik zu hören, um holocaustleugnenden Zeitzeugen-Vorträgen zu lauschen, um politische Aktionen zu planen, um Strategien zu besprechen, um sich auszutauschen, um ihren Kindern völkische Ideen einzutrichtern, um sich in Gewalt zu üben oder einfach um sich zu besaufen. Mitunter dienen solche Orte auch zur Lagerung von Waffen und Sprengstoff. Welche Zwecke rechtsextreme Immobilien auch verfolgen, von ihnen geht immer eine Gefahr aus.
Daher erschreckt, dass in nur knapp zwei Jahren 36 extrem rechte Objekte neu hinzugekommen sind. Mittlerweile zählt die Bundesregierung 210 rechtsextreme Immobilien. Demnach sollen sich 33 Immobilien in den Händen von Rechtsextremen in Sachsen-Anhalt befinden, 28 in Sachsen, 23 in Thüringen, 22 in Brandenburg, 18 in Bayern, 16 in Baden-Württemberg, je 15 in Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen, neun in Schleswig-Holstein, acht in Berlin und Hessen, fünf in Rheinland-Pfalz, vier in Niedersachsen und je zwei in Bremen, Hamburg und im Saarland. Seit 2021 wurde keine durch Rechtsextreme genutzte Immobilie beschlagnahmt.
Großer Anstieg der von der Regierung geheim gehaltenen Orte
Die tatsächliche Zahl an Szene-Objekten dürfte allerdings wesentlich höher sein. Es gibt etliche Fälle, in denen eine Nutzung von Immobilien durch Neonazis zwar den aufmerksamen Menschen vor Ort, nicht aber Polizei oder Verfassungsschutz auffällt. Hinzu kommt, dass Teile der rechtsextremen Szene von Behörden nicht als Rechtsextreme eingeschätzt werden – wie beispielsweise Teile der Reichsbürger-Szene oder Gruppen aus dem demokratiegefährdenden verschwörungsideologischen Milieu.
Erstaunlich ist dabei, dass die Orte, die geheim gehalten werden, von 82 auf 112 gestiegen sind. Das sollen laut Antwort der Bundesregierung auch solche Orte sein, zu denen die Behörden durch V-Leute Kenntnis und Zugang haben, die aber aus Sicherheitsgründen nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollen.
Ein Argument, das stutzig macht. Schließlich sind der Öffentlichkeit doch bereits deutlich mehr rechtsextreme Orte bekannt, als jene in der Liste der Bundesregierung. Da ist beispielsweise der brandenburgische Ort Grabow. Hier baut ein Ehepaar ein völkisches Siedlungsprojekt auf. Sie sind Teil der rechtsesoterischen Anastasia-Bewegung, hetzen gegen Geflüchtete, laden rechtsextreme Jugendlager auf ihr Grundstück ein und kündigten die Gründung einer Bürgerwehr an, mit der sie das Dorf verteidigen wollen. Trotz zahlreicher Medienberichte wird keine Immobilie der gefährlichen Anastasia-Bewegung erwähnt, eventuell, weil die Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall erst vergangene Woche geschah.
Im thüringischen Schmölln existiert seit 213 der extrem rechte Kampfsport-Verein „Barbaria Sportgemeinschaft e.V.“. Ein mit NS-Ideologie aufgeladener Verein mit besten Kontakten zur neofaschistischen Kleinstpartei „III. Weg“. Auf mehreren Hundert Quadratmetern trainieren Neonazis hier Kinder und Jugendliche. Wie es bei rechtsextremen Immobilien häufig üblich ist, werden auch hier die Räumlichkeiten für vielfältige rechtsextreme Vernetzungstreffen genutzt. So fand dort beispielsweise Anfang Dezember 2022 ein Rechtsrock-Konzert mit etwa 70 Teilnehmer*innen statt. Auch dieser Ort wird nicht erwähnt, genau wie das sächsische Leisnig. Ein Ort, der regelrecht von völkischen Neonazis übernommen wird. Oder der Sitz der menschenverachtenden „Artgemeinschaft“, eine religiös-völkische, deutschgläubig-neuheidnische, rechtsextreme und neonazistische Organisation, die auch dem verurteilten NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben ein neues Zuhause nach dem Gefängnis bot. Eins ihrer regelmäßigen Treffen findet im „Hufhaus Harzhöhe“ im thüringischen Ilfeld statt, ein Ort, der in der Antwort der Bundesregierung unerwähnt bleibt.
„Noch immer fehlt eine Strategie im Umgang mit rechtsextrem genutzten Immobilien“
Die Verschwiegenheit der Bundesregierung macht es schwierig, einzuschätzen, welche Orte sie nun der rechtsextremen Szene zuzählt. Auch Martina Renner kritisiert: „Statt mit einem Konzept der beteiligten Behörden und Gemeinden gegen diese Immobilien bis hin zur Beschlagnahme vorzugehen, fällt der Bundesregierung nichts Besseres ein, als die Hälfte der Objekte vor der Öffentlichkeit geheim zu halten.“
Auch der Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, Timo Reinfrank, fordert ein entschiedenes Vorgehen gegen rechtsextreme Szeneobjekte: „Es kann nicht sein, dass unter den Augen der Sicherheitsbehörden die rechtsextreme Szene gezielt nationale Siedlungen und eine rechtsextreme Infrastruktur aufbaut. Noch immer fehlt eine Strategie im Umgang mit rechtsextrem genutzten Immobilien, auch im Vereinsrecht.“ Jüngst war die Einziehung eines durch die Neonazi-Vereinigung „Freies Netz Süd“ genutzte Grundstück „Oberprex 47“ vor dem Bundesverwaltungsgericht gescheitert.