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5 Jahre NSU „Rückhaltlose Aufklärung“ sieht anders aus

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Ernüchternde Bilanz fünf Jahre nach Selbstenttarnung des NSU: Pressekonferenz mit Timo Reinfrank (Amadeu Antonio Stiftung), Carsten Ilius (Nebenklage-Anwalt), und Léonie Jeismann (Bühne der Menschenrechte). (Quelle: ngn / SR)

Vor fünf Jahren enttarnte sich der NSU. Seitdem ist zumindest die Existenz von Rechtsterrorismus in Deutschland nach der Wende nicht mehr zu leugnen. Seit 2013 läuft vor dem Münchner Oberlandesgericht gegen Beate Zschäpe, einzige Überlebende des NSU-„Trios“, und vier mutmaßliche Unterstützer. Wird damit dem Rechtsterrorismus in Deutschland genüge getan? Funktioniert die Aufklärung im Gericht und in den Untersuchungsausschüssen, die des im Bund und in sieben Bundesländern gab beziehungsweise gibt?  

Der Nebenklage-Anwalt: Aktenvernichtung statt Ermittlungsarbeit

Rechtsanwalt Carsten Ilius vertritt im NSU-Verfahren Elif Kuba??k, Witwe des ermordeten Mehmet Kuba??k, und ist über den Prozessverlauf  ernüchtert: „Gute Ermittlungs- und Strafverfolgungsarbeit hätte zumindest das Vertrauen der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland in die Ermittlungsbehörden wiederherstellen können, dass 2011 zerstört wurde. Doch diese Chance wird vertan.“ Er sieht keine ernsthaften Aufklärungsbemühungen bei Polizei, Verfassungsschutz und beim Generalbundesanwalt. „Weiterhin konzentrieren sich die Ermittlungen auf das NSU-Kern-Trio. In Richtung des offenkundig vorhandenen, weit größeren Unterstützer-Netzwerks etwa in den Städten, in denen die Morde passierten, sind nicht einmal Strukturermittlungsverfahren eingeleitet worden“, sagt Ilius.

Statt in rechtsextremen Strukturen etwa in Dortmund oder Zwickau zu ermitteln und zu den Beweisen, die der NSU selbst nicht zerstört hat, weitere Ermittlungsleistungen für die Verurteilung der aktuell vor Gericht Stehenden zu erbringen, tun sich Ermittlungsbehörden mehr durch das Verstecken und Vernichten von Aktenbeständen hervor – und das bisher ohne strafrechtliche Konsequenzen. Ein Verfahren wegen Zerstörung von Asservaten wurde bereits eingestellt – der Vorsatz war nicht nachzuweisen. Ein weiteres Verfahren gegen einen ehemaligen Referatsleiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit dem Tarnnamen „Lothar Lingen“ – denn der hatte 2014 selbst zugegeben, im Jahr 2011 Akten von V-Männern absichtlich vernichtet zu haben mit Blick auf den Prozess (vgl. Welt). Währenddessen lasse die Generalbundesanwaltschaft zu, dass Nazi-Zeugen dem Gericht offen ins Gesicht lügen, statt einmal Druck wegen der Falschaussagen auszuüben – auch dies auf Kosten der Aufklärung. 

„Alle großen Fragen sind nach wie vor unbeantwortet: Wie groß war diese rechtsterroristische Vereinigung wirklich? Wer hat sie unterstützt? Wie hat sie sich finanziert? Warum hatte der Verfassungsschutz so viele Informant_innen im Umfeld und wusste trotzdem nichts über die Morde? Hätten Morde verhindert werden können?“, sagt Carsten Ilius. Auch eine Sensibilisierung für rassistische Strukturen in Polizei und Justiz sieht er nicht gegeben: „Nicht nur, dass wegen der strukturelle Rassismus während der Polizeiermittlungen nicht reflexiv behandelt wird – im NSU-Prozess hat sich auch kein einziger Polizist bei den Angehörigen entschuldigt. Das sagt sehr viel aus“, sagt Ilius. Trotzdem bringe der Prozess natürlich auch Ergebnisse: Die bisher ermittelten Tatverdächtigen würden eine Strafe erhalten. Die Öffentlichkeit wisse nun mehr über die mitangeklagten Unterstützer, die Wahl der Tatorte, und auch darüber, dass der Verfassungsschutz Akten geschreddert und der Generalbundesanwalt offenbar kein Interesse and der Verfolgung des gesamten rechtsterroristischen Netzwerks habe. „Das heißt, mit dem Ende des NSU-Prozesses ist die Aufklärungsarbeit noch lange nicht vorbei. Wir werden weitere Aufklärung fordern – auch mit juristischen Mitteln.“ 

Die Angehörigen kommen in den „NSU-Monologen“ zu Wort

Den Angehörigen der ermordeten NSU-Opfer gibt das dokumentarische Theaterstück „Die NSU-Monologe“ der Theatergruppe „Bühne der Menschenrechte“ eine Stimme. Es hat am 03.11.2016 im Heimathafen Neukölln in Berlin Premiere auf Deutsch mit türkischen Untertiteln und am 05.11.2016 Premiere auf Türkisch mit deutschen Untertiteln und kann danach bundesweit aufgeführt werden, wie Projektkoordinatorin Léonie Jeismann erläutert. Grundlage der Texte sind Interviews mit den Witwen von Mehmet Kuba??k und Enver ?im?ek und Dokumente aus der Familie des ermordeten Halit Yozgat. „Es geht uns darum, die Familiengeschichten und Menschen sichtbar zu machen, die uns sonst maximal als „Opfer“ und „Angehörige“ präsentiert werden“, sagt Jeismann. Besonders ginge des darum, den Ehefrauen eine Stimme zu geben, die jenseits der Öffentlichkeit seit 2006 intensiv um eine Aufklärung der Morde kämpfen, aber wenig öffentlich wahrgenommen werden. Es ist nicht das einzige Theaterprojekt, dass sich aktuell mit der Aufarbeitung des NSU-Komplexes beschäftigt: Verschiedenste Stücke bringt dieser Tage das in Chemnitz und Zwickau stattfindende „Theatertreffen Unentdeckte Nachbarn“ auf die Bühne. Die Amadeu Antonio Stiftung fördert anlässlich des fünften Jahrestages außerdem die Veranstaltungsreihe „Der Nationalsozialistische Untergrund – der Mythos vom Trio“ in Dresden und in Frankfurt am Main eine interdisziplinäre Tagung zum fünfjährigen Öffentlichwerden des NSU. 

Gesellschaftspolitisch: Zumindest ist die Existenz von Rechtsterrorismus nun anerkannt

Denn zumindest gesellschaftspolitisch habe sich in den letzten fünf Jahren seit Enttarnung des NSU einiges getan, findet Timo Reinfrank, Projektkoordinator der Amadeu Antonio Stiftung. Immerhin gäbe es ein einstimmige Verurteilung der rechtsextremen Morde aus dem Bundestag, Untersuchungsausschüsse in sieben Landesparlamenten, die Neuzählung und Überprüfung der Zahl der Todesopfer rechtsextremer Gewalt durch die Landeskriminalämter, die Einrichtung des bundesländer- und behördenübergreifenden „Abwehrzentrums Extremismus“ in Köln, eine Verdopplung der Mittel für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus, die Einrichtung von Beobachtungs- und Dokumentationsstrukturen in verschiedenen Bundesländern. „Insgesamt hat die Verdrängung des Rechtsextremismus abgenommen, wenn es auch weiter viel Bedarf bei der Aufarbeitung rassistischer Strukturen und Routinen gibt – sei es bei der Polizei, in Schulen oder in den Medien“, sagt Reinfrank, „und angesichts der wachsenden rassistischen Mobilisierungen auf den Straßen und dem Erfolg einer rechtspopulistischen Partei mit Hetze gegen Geflüchtete ist weitere Aufmerksamkeit unbedingt angebracht, damit sich nicht gerade jetzt neue rechtsterroristische Strukturen entwickeln – zumal sich für die Opfer rechtsextremer Gewalt jeder Übergriff so anfühlt.“ 

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