Beige Farben, Tutorials für dezentes Make-up, verträumte Inneneinrichtung. Der Hashtag #vanillagirl zählt auf TikTok mittlerweile 939,9 Mio. Aufrufe. Besonders junge Menschen lassen sich von solchen Trends beeinflussen. Welche Gefahren damit einhergehen und warum dem Trend Rassismus vorgeworfen wird, erfahrt ihr hier.
Was auf den ersten Blick wie ein weiterer Beautytrend unter vielen wirkt, hat eine hitzige Debatte ausgelöst. „Vanilla Girls“ sind Influencerinnen mit einer Vorliebe für cremefarbene Kleidung und Einrichtung. Der Trend soll Neutralität und Minimalismus ausstrahlen: dezentes Make-up und ein schlichtes Outfit. Nichts Aufwendiges. Doch dafür, dass sich der Trend als minimalistisch und mühelos in Szene setzt, existiert eine beachtliche Bandbreite an Videos mit Wunschlisten und „Must haves“, erstellt von Vanilla Girls für solche, die es werden wollen. Darin werden Hygiene- und Beautyprodukte, sowie Kleidung und Inneneinrichtung empfohlen. Wer Schlichtheit leben will, soll also zuerst konsumieren.
Der Trend geht jedoch über die beige Farbpalette hinaus: Vanilla Girls berufen sich auf einen häuslichen Lifestyle, Bodenständigkeit und Schlichtheit. Das erwünschte Image der Vanilla Girls ist unschuldig, verträumt und unauffällig. Warum auch nicht?
Auffällig hingegen ist, dass unter dem Hashtag #vanillagirls lauter normschöne, weiße cis Frauen zu sehen sind, die in wohlhabenden Verhältnissen leben. Sie haben ihre „Morning Routines“ (Morgenroutine), ernähren sich gesund, machen Yoga und betreiben „Selfcare“. Hinter der scheinbar mühelosen und minimalistischen Mentalität verbirgt sich eine große Portion Selbstoptimierung.
Sexistische Stereotype: Gute Frau – Schlechte Frau
Die Vanilla Girls sind immer top gestylt und jede Alltagssituation wird ästhetisch in Szene gesetzt: vom morgendlichen Kaffee bis zur abendlichen Entspannung auf der Couch, Tagebuch-schreibend im Kerzenlicht. Die Art der Ästhetik drückt Zurückhaltung, Unauffälligkeit und Natürlichkeit aus und entfacht damit alte Stereotype: Frauen sollen feminin, keusch und passiv sein. Sie müssen ihr Leben unter Kontrolle haben, bzw. dürfen sich nicht „gehen lassen“. Sie sollen hübsch aussehen, aber dabei „natürlich“ sein, ohne Manipulation ihres Äußeren. Sie sollen nicht laut oder auffällig, ergo: nicht „zu viel“ sein.
Dieses Ideal gefällt rechten Akteur*innen besonders gut. Ende letzten Jahres sorgte ein Instagram-Post des sächsischen Landesverbands der AfD für einen Aufschrei in den sozialen Medien. In einem Bild werden „Moderne ‘befreite’ Feministinnen“ mit der „traditionellen Frau“ verglichen. Die traditionelle Frau wird dabei auf ihre Rolle als Mutter reduziert. Es werden Charakteristika aufgelistet, die sich mit dem Vanilla Girl”-Trend stark überschneiden. Dabei hat die rechtspopulistische bis rechtsextreme Szene auch eigene Trends. Etwa das „Tradwife“: Junge Frauen, die traditionell leben und dies online propagieren – gemeint ist: Leben als Hausfrau und Mutter. Der „Tradwife“-Trend zählt auf TikTok mittlerweile 149,6 Mio. Klicks. Der „Vanilla Girl“-Trend fokussiert sich zwar stärker auf eine bestimmte Stilrichtung, hat in seinem Ausdruck jedoch Ähnlichkeiten mit den Tradwifes. Auch rechte Akteur*innen beziehen sich positiv auf den „Vanilla Girl“-Hype und echauffieren sich über aufkommende Kritik.
Können alle Frauen „Vanilla Girls“ sein? Zur Rassismus-Debatte rund um den Trend
Das Wort „Vanilla“ wird umgangssprachlich häufig als Metapher für Weiß-sein verwendet. Das Farbschema, als ausschlaggebendes Charakteristikum, bezieht sich nicht nur auf Kleidung und Design, sondern auch auf Make-up und hat somit einen exkludierenden Beigeschmack. Ein Großteil der Videos unter dem Hashtag zeigt weiße, meist blonde und normschöne junge cis Frauen. Da scheint kein Platz für Frauen zu sein, die davon abweichen. Das Problem sind weiße und eurozentristische Schönheitsideale. „Decolonize your beauty-standards!“ ist ein Ausruf aus BIPOC (Black, Indigenous, People of Colour)-Kreisen, der fordert, rassistische Schönheitsideale zu reflektieren, welche weit in die Kolonialzeit zurückreichen.
Die Kritik der fehlenden Diversität sollte jedoch nicht nur dem „Vanilla Girl“-Trend gelten. Die Influencerin Summer Charles sagt in einem ihrer Videos: „So white women being the center of an aestetic is a reflection of the world, not the aestetic itself“ (Übersetzt: „Also weiße Frauen, die im Mittelpunkt einer Ästhetik stehen, sind ein Spiegelbild der Welt, nicht der Ästhetik an sich“). Es wäre ein Trugschluss, die Kritik nur bei diesem spezifischen Trend zu bringen. Dies würde vermitteln, dass es sich dabei nicht um den Status Quo handelt. Die Influencerin macht darauf aufmerksam, dass die scheinbar anti-rassistische Kritik an dem Trend auch eine Kehrseite hat: Indem Kritiker*innen den Trend als exklusiv weiß definieren, würden sie bestätigen, dass Attribute wie Unschuld, Reinheit und Neutralität nicht durch schwarze Frauen verkörpert werden könnten.
Die Influencerin behauptet, jede*r kann minimalistisches Make-up oder beigefarbene Kleidung tragen. Die Frage ist: Ist dieser Trend wirklich nur weißen Frauen vorbehalten oder sind diese einfach nach wie vor überrepräsentiert, wie bei vielen anderen Trends auch? Und inwiefern spielt der Algorithmus der Plattform hierbei eine Rolle?
Filterblasen gegen Diversität
2020 wurde Kritik am TikTok-Algorithmus laut, da sich dieser am äußeren Erscheinungsbild der Creator*innen orientiere: Geschlecht, Ethnizität, Haarfarbe, Figur und Alter spielen hierbei eine Rolle. Durch kollaborative Filter werden ausgesuchte Nutzer*innengruppen ganzheitlich ausgewertet und somit auf vermeintliche Bevorzugungen einzelner Nutzer*innen geschlossen. Dies fördert einen wenig diversen Feed. 2019 hatten sich einige Nutzer*innen zusammengeschlossen und forderten mehr Repräsentation nicht-weißer Creator*innen auf TikTok.
Wissenschaftler und AI-Researcher Marc Faddoul legte 2020 in einem Experiment mehrere Accounts an, welche je einem Profil folgten. Die von der App generierten Vorschläge für weitere Accounts ähnelten alle den jeweils ersten Profilen hinsichtlich des Aussehens der Creator*innen. Inwiefern TikTok den Algorithmus dahingehend verändert hat, ist unklar.
Auswirkungen auf junge Menschen
Gerade Jugendliche lassen sich schnell von Schönheitstrends beeinflussen. Davon sind vor allem nach wie vor Mädchen betroffen. Trends wie #vanillagirl oder #cleangirl üben einen enormen Druck aus, diesen Idealen entsprechen zu müssen. Das kann sich negativ auf die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls auswirken. Sexistische Stereotype prägen sich schon im Kindesalter ein und können im Jugendalter zunehmen.
Auch die fehlende Repräsentanz von nicht-weißen Vorbildern kann einen negativen Effekt auf betroffene Kinder und Jugendliche haben. Nicht nur die Plattformen stehen hierbei in der Verantwortung, Diversität zu fördern und die Gefahr von unrealistischen Schönheitstrends ernst zu nehmen. Es ist wichtig, schon in der Kindheit anzusetzen, indem darauf geachtet wird, welche Bücher und Filme konsumiert werden. Wie werden die Protagonist*innen dargestellt? Sind die Jungen meist die Helden der Geschichte und die Mädchen die passiven Prinzessinnen, die gerettet werden müssen? Sind die Protagonist*innen meist weiß, dünn und able-bodied (=ohne Behinderung)? Natürlich kann von Außen nur bedingt beeinflusst werden, welche Inhalte Kinder und Jugendliche konsumieren. Doch wir können Impulse setzen, indem wir Alternativen aufzeigen und aufklären.
Der Text erschien zuerst im Newsletter des Projekts Visualising Democracy. Wenn ihr nichts mehr von den TikTok-Kolleg*innen verpassen wollt, dann abonniert ihren Newsletter:
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