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500 Seiten Anklageschrift, 600 Zeugen Daten und Fakten zum NSU-Prozess

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Jede Menge Akten (Symbolbild) (Quelle: flickr/Maeuse/CC-Lizenz)

Worum geht es im Prozess?

Die Bundesanwaltschaft erhebt am 8. November 2012 vor dem Oberlandesgericht München Anklage gegen das mutmaßliche Mitglied des „Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)“ Beate Zschäpe sowie vier mutmaßliche Unterstützer der terroristischen Vereinigung. Sie geht davon aus, dass neben den toten Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auch Beate Zschäpe an den Morden der Terrorgruppe beteiligt gewesen ist.  

Wer sind die Angeklagten?

Die Hauptangeklagte

Beate Zschäpe (38) ist Gründungsmitglied und einzige bekannte Verbliebene des NSU-Trios. Zusammen mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt bildete sie den inneren Kern der Terrorzelle, die sich den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) gaben und 1998 gegründet wurde. Mundlos und Böhnhardt hatten am 4. November 2011 in einem Wohnmobil in der Nähe von Eisenach Suizid begangen. Zschäpe wird von ihrer alleinerziehenden Mutter aufgezogen. Sie lernt Gärtnerin und wird als freundlich, fleißig und zuverlässig gelobt. In der Nachwendezeit lernt sie erst Uwe Mundlos kennen, der sie in die rechtsextreme Szene mitnimmt. Später lernt sie dessen Freund Uwe Böhnhardt kennen. Bis heute schweigt Beate Zschäpe zu den Taten und den Tod der beiden Terroristen.

Die Mitangeklagten

André E. (33), Holger G. (39), Carsten S. (33) und Ralf Wohlleben (38) werden als mutmaßliche Unterstützer der Terrorgruppe angeklagt.

André E. gilt als wichtigste Vertrauensperson des Terrortrios. Der aus Johanngeorgenstadt stammende André E. gehörte zu den Anführern der Naziszene im Westerzgebirge.

Holger G. gehörte in den 1990er Jahren zum Kern der Jenaer Neonazi-Kameradschaft. Er hatte regelmäßigen Kontakt zur Terrorgruppe, nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt auch weiter mit Zschäpe.

Carsten S. gilt als Kronzeuge der Ankläger. Vor zwölf Jahren ist er aus der Neonazi-Szene ausgestiegen und befindet sich im Zeugenschutzprogramm. Carsten S. hat zugegeben, die Tatwaffe, eine Ceska 83, Kaliber 7,65 Milimeter samt 50 Schuss Munition besorgt und in Chemnitz an Mundlos und Böhnhardt übergeben zu haben.

Ralf Wohlleben ist einer der Gründerväter des Jenaer Kreisverbandes der NPD. Zusammen mit Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gründete er die „Kameradschaft Jena“ und schloss sich dem „Thüringer Heimatschutz“ an. Ein Aussteiger charakterisiert ihn als „absoluten Rassisten mit hohem Gewaltpotential“.  Wohlleben sitzt zur Zeit in Untersuchungshaft. Er wird von Nicole Schneiders vertreten, einer einschlägig bekannten Szene-Anwältin, die in der Jenaer NPD aktiv war.

Was wird ihnen genau vorgeworfen?

Beate Zschäpe wird folgendes zur Last gelegt:

Zwischen 2000-2006: Beteiligung am Mord von neun Menschen, davon acht türkischer und einem griechischer Herkunft2007: Beteiligung an einem Mordanschlag auf zwei Polizeibeamte in Heilbronn, dem eine Polizistin zum Opfer fällt.2001 und 2004: Vorwurf der Mittäterschaft an Sprengstoffanschlägen in Köln, bei denen 23 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt worden sindBeteiligung an 15 bewaffneten Raubüberfällen.Vernichtung von Beweismittel durch vorsätzliche Brandstiftung der Zwickauer Unterkunft.

Den Mitangeklagten wird folgendes zur Last gelegt:

Die Bundesanwaltschaft wirft André E. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung sowie Beihilfe zum Mord vor. Er versorgte die Gruppe mit gefälschten Bahncards und war für die Beschaffung verschiedener Unterschlupfmöglichkeiten verantwortlich.Holger G. wird der Unterstützung einer terroristischen Organisation beschuldigt. Holger G. unterstützte die Gruppe nach ihrem Abtauchen in den Untergrund mit Geld.Carsten S. ist zur Beihilfe des Mordes angeklagt. Er besorgte die Tatwaffe.Ralf Wohlleben ist zur Beihilfe des Mordes in neun Fällen angeklagt. Weiter soll er zwei Waffen für die Gruppe besorgt haben. Er gilt, nach Informationen der Bundesanwaltschaft, als „steuernde Zentralfigur der gesamten Unterstützerszene“.

Konkret wird gegen acht weitere mutmaßliche Helfer ermittelt. Dabei wird auch geprüft, ob die Taten bereits verjährt sind.

Wer sind die Opfer?

Enver Simsek

Abdurrahim Özüdogru

Süleyman Tasköprü

Habil Kilic

Mehmet Turgut

Ismael Yasar

Theodoros Boulgarides

Mehmet Kubasik

Halit Yozgat

Michèle Kiesewetter

Was sind Besonderheiten in diesem Prozess?

Die Beweisführung der Anklage wird dadurch erschwert, dass die beiden mutmaßlichen Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht mehr am Leben sind und die Hauptangeklagt von ihrem Recht gebraucht macht, zu den Vorwürfen zu schweigen.

In diesem Prozess gibt es eine vergleichsweise hohe Zahl von 71 Nebenklägern, unter denen auch viele Angehörige der Mordopfer zu finden sind. Nach dem 2. Opferrechtsschutzgesetz aus dem Jahr 2009 sind Nebenkläger auch Prozessbeteiligte. Das bedeutet, dass sie oder ihre insgesamt 49 Anwälte jederzeit Erklärungen abgeben, Fragen stellen sowie das Gericht auffordern können, einen bestimmten Beweis zu erheben.

Zahlen und Fakten zum Prozess

Für den Prozess sind offiziell 86 Verhandlungstage angesetzt, gerechnet wird mit einer Verfahrensdauer von mindestens anderthalb JahrenDie Anklageschrift umfasst ca. 500 Seiten mit mehr als 1.600 FußnotenDavon sind 27 Anklagepunkte einzeln zu verhandelnDie Verfahrensakte umfasst mehr als 300.000 Seiten in 700 OrdnernEtwa 600 Zeugen werden zum Prozess angehörtDie Angeklagten werden durch zwölf Anwälte vertretenDie Nebenkläger werden durch 49 Anwälte vertreten110 von 230 Plätzen im Schwurgerichtssaal sind für Medienvertreter und Öffentlichkeit vorgesehen

Mehr Infos:

Warum schweigt Beate Zschäpe? (der Freitag)Mutmaßlicher NSU-Helfer André E.: Der Vertrauensmann (Spiegel Online)Vor dem NSU-Prozess (Bundeszentrale für politische Bildung)NSU: Wie die Terrorzelle entstand und unterging (Spiegel Online)NSU-Prozess: Medienplätze ausgelost (Tagesspiegel)

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Von Redaktion

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