Im Februar 2023 wird die AfD zehn Jahre alt. Seit ihrer Gründung als angebliche „Professorenpartei“ sind die Rechtspopulist*innen zu Rechtsradikalen geworden. Mittlerweile beobachtet der Verfassungsschutz die gesamte Partei als rechtsextremen Verdachtsfall, Björn Höckes Thüringer Landesverband gilt den Behörden als „gesichert rechtsextrem“. In Thüringen gibt es deswegen aber nur wenige Probleme. Die nächste Landtagswahl findet im Freistaat zwar erst 2024 statt, in Umfragen steht die AfD aktuell aber auf Platz eins mit 25 Prozent der Stimmen, vor der Linken mit 23 Prozent. Und auch auf Bundesebene steigen die Umfragewerte der Partei wieder. Während die Rechtsradikalen während der Coronakrise nur wenige Erfolge erzielen konnten, sehen die Umfragen zur Bundestagswahl sie aktuell bei 15 Prozent und damit bei einem bedeutend höheren Wert, als zu den Wahlen 2017 (12,6 Prozent) und 2021 (10,3 Prozent).
Die Radikalisierung der Partei und das immer wahnhaftere Verhalten einzelner Vertreter*innen scheint viele Wähler*innen nicht zu stören. Vielmehr scheinen die Rechtsaußen-Eskapaden der AfD neue Stimmen zu generieren. Wie radikal die Partei zehn Jahre nach ihrer Gründung ist, zeigt sich ganz aktuell an zwei Fällen.
Das „freundliche Gesicht des NS“ in der Bundestagsfraktion?
Matthias Helferich wurde zwar 2021 für die AfD in den Bundestag gewählt, verzichtete aber auf einen Platz in der Bundestagsfraktion. Vor der Wahl, aber nachdem sich Helferich einen vielversprechen siebten Platz auf der NRW-Landesliste gesichert hatte, waren Facebookchats des Anwalts öffentlich geworden, in denen er sich als „das freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet hatte. Gegenüber einem Parteikollegen soll er damit geprahlt haben, beste Verbindungen in die Dortmunder Neonaziszene zu pflegen und sich selbst mit dem Vorsitzenden des Volksgerichtshofes, dem NS-Richter Roland Freisler, verglichen haben.
Helferich postete ein Bild, auf dem Kornblumen zu sehen waren, mit der Bildunterschrift, „Die kornblume: geheimes Symbol der nationalsozialisten während des verbots in österreich“ (sic!). Auch in der Öffentlichkeit zeigt sich der Politiker mit der Kornblume am Jackett. Zunächst äußerte sich der Politiker nicht zu den Vorwürfen, später drohte er rechtliche Schritte gegen die Veröffentlichung der Chats an und berief sich auf „informationelle Selbstbestimmung“. Schließlich sollten die Chat-Äußerungen nur ironisch gemeint sein. Von rechtsextremer Ideologie versuchte Helferich sich zu distanzieren.
Der damalige Parteichef Jörg Meuthen wollte Helferich aus der AfD ausschließen, scheiterte damit aber, weil der Landesverband und seine Vorstandskolleg*innen dagegen waren. Unter anderem stimmten Alice Weidel und Tino Chrupalla gegen Helferichs Ausschluss. Nach der Wahl verhängte die Partei eine Ämtersperre gegen ihn.
Jetzt könnte Helferich nach eineinhalb Jahren Fraktionslosigkeit doch wiederaufgenommen werden. In der AfD-Fraktionssitzung am 17. Januar steht auf Tagesordnungspunkt sieben der „Antrag des MdB Helferich auf Aufnahme in die Fraktion“. Ob mittlerweile Zeit genug vergangen ist, um über die Fehler des Parteikameraden hinweg zu sehen und ob die AfD auch weiterhin Wert darauf legt, den Anschein von Abstand zu Rechtsextremismus zu wahren, bleibt abzuwarten.
Beißattacke in Berlin-Mitte
Nachdem die Bundestagsfraktion über die Zukunft des Abgeordneten beraten hat, steht ab Mittwoch ein ehemaliger Bezirksverordneter der AfD in Berlin vor Gericht. Kai Borrmann soll eine Musikjournalistin rassistisch beleidigt und sie anschließend gebissen haben. Im Großen und Ganzen hat der AfD-Mann das auch bereits in einem Gespräch mit der Berliner Morgenpost eingeräumt.
Der Vorfall ereignete sich bereits im August 2021. Die Rap-Journalistin Steph Karl sitzt mit einer Freundin vor einem Café in Berlin-Mitte, als sich Borrmann mit einer Begleiterin an den Nebentisch setzt. Karl berichtet, dass sich Borrmann unaufgefordert in das Gespräch der beiden Frauen einmischte. Nachdem er sich als Sprecher der AfD bezeichnet, versuchen die beiden Frauen den Dialog zu beenden, wie der Tagesspiegel berichtet. Dann soll der damalige Bezirksverordnete die Frauen rassistisch beleidigt und sie als N**** bezeichnet haben, um dann das Wort ironisch zu gendern.
Karl ist verständlicherweise wütend und verlässt das Café zusammen mit ihrer Freundin. Doch Borrmann verfolgt die beiden und provoziert weiter. Der weinenden Journalistin soll er hinterher geschrien haben: „Na heult doch ihr N****“. Danach soll der Politiker die Frau mit der Hand ins Gesicht geschlagen und sie danach in den Schwitzkasten genommen haben. Doch Karl hat mehrere Selbstverteidigungskurse besucht, kann sich befreien und bringt den AfD-Mann zu Boden. Borrmann versucht sich offenbar zu wehren und beißt der Journalistin in den Arm. Fotos zeigen einen großflächigen Bluterguss an Karls Unterarm. Später wird festgestellt, dass der Mann mindesten ein Promille Blutalkohol hatte.
Nachdem die Polizei eintrifft, versucht sich der Bezirksverordnete als Opfer darzustellen. Der Angriff sei von den Frauen ausgegangen, soll er den Beamt*innen gesagt haben. Im Gespräch mit der Morgenpost gibt Borrmann zu, das N-Wort benutzt zu haben. Er habe aber nicht die Frauen selbst so bezeichnet, sondern: „Ich habe versucht, zu erläutern, dass es kein Schimpfwort ist“. Er sei den Frauen nicht gefolgt, sondern habe den gleichen Nachhauseweg gehabt. Doch Borrmanns Fahrrad blieb vor dem Café angeschlossen, außerdem liegt seine Wohnung in der entgegengesetzten Richtung. Auch den Biss gibt der Mann zu, der sei aber Notwehr gewesen, nachdem die beiden Frauen ihn angegriffen hätten.
Polizei und Staatsanwaltschaft scheinen die Version des AfDlers nicht zu stützen. Die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung gegen die Journalistin und ihre Begleiterin wurden eingestellt. Im November 2021 erhebt die Staatsanwaltschaft Klage gegen den Politiker. Es sei viel wahrscheinlicher, dass der Konflikt von ihm verursacht wurde. Am 18. Januar beginnt nun der Prozess gegen den ehemaligen AfD-Verordneten des Bezirks Mitte.
NS-Verherrlichung und Wahn
Die beiden Fälle zeigen: Die AfD hat immer weniger Berührungsängste nach Rechtsaußen. Was vor zwei Jahren noch Grund für einen Ausschluss aus der Fraktion war, ist mittlerweile diskutierbar. Der Beißer von Berlin-Mitte wird weiterhin auf der Website der AfD-Fraktion der Bezirksverordnetenversammlung als Fraktionsmitglied präsentiert. Eine Distanzierung wegen seiner rassistischen Äußerungen oder dem mutmaßlichen Angriff? Fehlanzeige.