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AfD im Thüringer Landtag Zerstörung von innen

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Während der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags führt das Verhalten des AfD-Alterspräsidenten Jürgen Treutler zum Eklat. (Quelle: Wikimedia / Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0)

Um die Art des Angriffs der AfD auf das Parlament zu verstehen, muss man mit eigenen Augen gesehen haben, was sich bei der konstituierenden Sitzung des achten Thüringer Landtages in Erfurt abgespielt hat. Ein Alterspräsident der AfD, der seine Macht missbraucht. Der offenkundig instruiert ist, die Konstituierung des Landtags zu sabotieren. Der dem parlamentarischen Geschäftsführer der CDU, Andreas Bühl, nach dessen Forderung, ordnungsgemäß die vorläufige Tagesordnung abzuarbeiten und einen Antrag auf Änderung der Geschäftsordnung zu behandeln, nicht nur das Wort entzieht, sondern ihn mit zwei Ordnungsrufen maßregelt. Woraufhin der Christdemokrat entgegnet, das sei eine „Machtergreifung“. Man muss gesehen haben, mit welch autoritärem Gestus Jürgen Treutler als Alterspräsident der AfD mehrfach willkürlich die Sitzung unterbricht, wie er die Landtagsverwaltung irgendwann sogar anweist, dem CDU-Mann Bühl das Mikrofon abzustellen. Wie Treutler auf die empörten Forderungen aus den demokratischen Fraktionen, er solle endlich das Selbstverwaltungsrecht des Parlaments achten, mit der Androhung weiterer Ordnungsrufe reagiert. Wer dieses schmutzige Schauspiel ansieht, begreift: Auf dem Platz des Alterspräsidenten, ausgestattet mit einer kleinen Glocke und eng bemessenen Befugnissen, befindet sich ein Zerstörer.

Inhaltlich hat die AfD für ihren Coup eine Schwäche der Geschäftsordnung des Landtags ausgenutzt. Mit dem Ziel, die rechtskräftig wegen Betrugs zulasten der Landtagsverwaltung verurteilte AfD-Kandidatin Wiebke Muhsal als Landtagspräsidentin durchzudrücken. In Artikel 57 Absatz 1 der thüringischen Verfassung steht: „Der Landtag wählt aus seiner Mitte den Präsidenten.“ In der Geschäftsordnung wiederum: „Die stärkste Fraktion schlägt ein Mitglied des Landtags für die Wahl vor.“ Findet dieser Vorschlag keine Mehrheit, könnten „neue Bewerberinnen beziehungsweise Bewerber vorgeschlagen werden“.

Die AfD hat die unklare Regelung so ausgelegt, dass der stärksten Fraktion ein Exklusivrecht auf Vorschläge zusteht. Damit wollte sie die eigene Kandidatin gegen die parlamentarische Mehrheit durchsetzen. Schon im Vorfeld hat der Thüringer AfD-Chef Höcke das Szenario unter dem Titel „Demokratiedämmerung“ auf X angedroht: „Wenn Morgen (sic!) im Thüringer Landtag nicht der Kandidat der stärksten Fraktion gewählt würde, wäre das ein elementarer Regel- und Tabubruch in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte.“ Mit anderen Worten: Stimmt eine Mehrheit gegen eine rechtsextreme Kandidatin, ist das in den Augen der AfD undemokratisch. Die parlamentarische Attacke der AfD wurde also nicht nur geplant und orchestriert, sondern auch propagandistisch vorbereitet. O-Ton Höcke: „Was gegen die AfD in Stellung gebracht wird, ist das Partikularinteresse einer Beutegemeinschaft“. Bei seinem Geraune über „Souveränität“ und „Ausnahmezustände“ bezieht sich Höcke dabei ausgerechnet auf jenen Staatsrechtler Carl Schmitt, der den Nationalsozialisten rechtsphilosophisch den Weg bereitet hat.

Mittlerweile hat der von der CDU angerufene Thüringer Verfassungsgerichtshof in Weimar in seinem Beschluss eindeutig festgestellt, dass AfD-Alterspräsident Treutler seine Kompetenzen überschritten und die Rechte der Abgeordneten mehrfach verletzt hat. Die Richter mahnten die „dienende Aufgabe“ des Alterspräsidenten gegenüber dem Parlament an und gaben klare Anweisungen. Darüber hinaus hat das Gericht in dem Eilverfahren wichtige Grundsatzentscheidungen getroffen: Aus der Thüringer Verfassung ergibt sich demnach weder ein exklusives Vorschlagsrecht einzelner Fraktionen noch das Recht auf die Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer Kandidatin.

Die AfD hat also auch als stärkste Fraktion kein Recht auf irgendein Amt. Schließlich haben Abgeordnete eine Wahlfreiheit. Dass die Verfassungsrichter die Blockade-Strategie kassieren würden, war der AfD klar. Wichtiger als ein juristischer Erfolg ist für die Rechtsextremisten der Stoff für die eigene toxische Erzählung: Wonach die AfD als stärkste politische Kraft von einem „Machtkartell“ der „Altparteien“ ihrer Rechte beraubt werde. Höcke hat am Vortag jener Farce den Ton gesetzt. Sein politischer Komplize Treutler hat dann seine Eröffnungsrede als Alterspräsident dazu missbraucht, die giftige Legende ins Parlament zu tragen. Zynischerweise beschwor er dabei den „Geist der Demokratie“. Moderne Demokratieverächter treten gern als die wahren Hüter der Demokratie auf.

Politikwissenschaftler Oliver Lembcke hat die Aufführung der AfD im Thüringer Landtag „legalistische Obstruktionspolitik“ genannt. Das beschreibt treffend den Versuch, die parlamentarischen Abläufe mithilfe juristischer Alibi-Argumente lahmzulegen. Kritische Beobachter wie das Verfassungsblog warnen seit langem vor genau diesem Szenario und haben frühzeitig eine Änderung der Geschäftsordnung empfohlen. Die CDU von Mario Voigt lehnte das seinerzeit ab. Ein schwerer Fehler, wie sich jetzt zeigt. Der Thüringer Parlaments-Skandal legt schonungslos die naive Sorglosigkeit im demokratischen, allen voran im konservativen Lager bloß. Vielstimmige Warnungen, Institutionen und Abläufe endlich gegen genau solche Attacken zu schützen, sind kein Alarmismus. Vielmehr sollten nun auch die letzten politischen Beschwichtiger verstanden haben, dass sich die AfD im parlamentarischen Betrieb nicht einhegen lässt, sondern dass sie jede Chance nutzen wird, den Parlamentarismus vorzuführen, anzugreifen und sich selbst als Opfer eines vermeintlichen „Altparteienkartells“ zu stilisieren.

Die Ereignisse in Erfurt zeigen, dass zwischen die Bewegungspartei, die auf der Straße Seite an Seite mit Neonazis und Reichsbürgern marschiert, und die parlamentarische AfD kein Blatt passt. Auf der Straße hat Höcke der Bundesrepublik abgesprochen, in ihrem aktuellen Zustand überhaupt eine Demokratie zu sein. In Mitarbeiterbüros arbeiten ultraradikale Szene-Kader für die AfD. Die parlamentarische Arbeit der Partei besteht nicht aus konstruktiver Opposition, sondern primär aus Agitation. Die AfD ist der parlamentarische Arm des deutschen Rechtsextremismus.

Es ist ein gefährlicher Trugschluss zu glauben, die AfD werde durch Wachstum an Radikalität einbüßen. Im Gegenteil: Die Wahlerfolge der gesichert rechtsextremen Landesverbände in Thüringen und Sachsen dienen als Bestätigung für die Erfolgsformel „AfD pur“. Völkischer Nationalismus und Antipluralismus, der versucht, demokratische Parteien als „Altparteienkartell“ zu delegitimieren und damit auch das parlamentarische System. Der Kampf gegen den „Parteienstaat“ ist in der AfD ein geflügeltes Wort. Die Partei wird jede Machtposition ausnutzen, um demokratische Abläufe zu stören, auch im Parlament. Das Ziel der Rechtsextremisten ist nicht Kompromiss und Zusammenarbeit, sondern Zerstörung. Erfurt sollte allen Demokrat*innen Warnung sein: Diesmal war es „nur“ der Alterspräsident. Was aber, wenn die rechtsextreme Partei Ausschussvorsitzende, Minister oder gar den Ministerpräsidenten stellt?

Nach den Wahlen verfügt die AfD in Brandenburg und Thüringen über eine Sperrminorität. Spätestens jetzt ist klar: Sie wird diese aggressiv nutzen. Beispielsweise um missliebige Richter*innen zu verhindern und den anderen Parteien Zugeständnisse abzupressen. Die wichtigste Lehre lautet: Schützt die demokratischen Institutionen! Auf allen Ebenen. Dafür müssen Demokrat*innen zusammenstehen und stimmen. Die systematischen Angriffe der radikalen Rechten auf die obersten Gerichte in Polen und den USA zeigen beispielhaft, wie fragil diese wichtigen Verfassungsorgane sind. Struktur und Praxis des Bundesverfassungsgerichts werden derzeit nur durch ein einfaches Gesetz geregelt. Die Anzahl der Richter*innen, Senate sowie die Länge der Amtszeit können aktuell mit einfacher Mehrheit im Bundestag geändert werden. Ein Primärziel für Angriffe von rechts. Es ist höchste Zeit, die Struktur des obersten Gerichts im Grundgesetz festzuschreiben.

Alles steht und fällt mit der Erkenntnis, dass überhaupt Gefahr droht. In den Kommunen beginnen sich immer mehr Demokrat*innen mit der AfD zu arrangieren. All denen seien nicht nur die Szenen der Selbstermächtigung aus dem Thüringer Landtag ans Herz gelegt, sondern auch die Worte der bayerischen AfD-Aussteigerin Freia Lippold-Eggen: „Die AfD wird vor niemandem haltmachen, der nicht genau das macht, was die AfD von ihm will.“ Noch ist es möglich, die Demokratie vor Angriffen von innen zu schützen. Noch.

Foto: Wikimedia / Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0


Michael Kraske lebt und arbeitet als Journalist und Buchautor in Leipzig. Kürzlich hat der Autor mit Dirk Laabs im Verlag C.H.Beck das Buch „Angriff auf Deutschland – Die schleichende Machtergreifung der AfD“ veröffentlicht. Darin geben die Autoren auch konkrete Handlungsempfehlungen an Politik und Zivilgesellschaft für einen wirksamen Schutz der demokratischen Institutionen.

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