„Wir haben hier ein Problem. Wir haben in Deutschland ein ganz großes Problem. Wir haben hier die Blöcke, einmal haben wir die Christen, dann haben wir nochmal einen Block, der sehr viel Einfluss hat. Wirtschaftlich, kulturell. Das sind die Menschen des Blocks der Juden. Des jüdischen Glaubens. Dann haben wird die Muslime,“ sagt Herold Peters-Hartmann, der Vorsitzende der AfD in Würzburg in die Kamera. Dabei handelt es sich nicht um verdeckte Aufnahmen. Peters-Hartmann steht auf einem öffentlichen Platz in Würzburg und verbreitet seine Ansichten in aller Öffentlichkeit. Auf die ungläubigen Nachfragen des YouTubers bekräftigt er seine These dann auch gerne nochmal: „Nein, die haben sehr viel Macht, sehr viel Einfluss.“
Die Geschichte, die der AfD-Funktionär erzählt, ist nicht neu. Es geht um die angebliche „jüdische Weltverschwörung“, die hinter allem steckt. Diese Geschichte findet sich schon in den „Protokollen der Weisen von Zion“, dem wohl wirkmächtigsten antisemitischen Werk des 20 Jahrhundert. Erschienen ist es 1903 in Russland. Das Pamphlet gibt vor, aus geheimen Protokollen eines Treffens von jüdischen Verschwörern zu sein. Schon wenige Jahre später wurden die Protokolle als Fälschung entlarvt, aber bis heute gelten sie Antisemit*innen als wahr. Der Historiker Wolfgang Wippermann sagte dazu im Deutschlandfunk: „Die Verschwörungstheorie über die Weisen von Zion ist zur zentralen Ideologie des weltweiten Antisemitismus gemacht worden. Die Deutschen haben das aus Russland importiert.“
Das Verschwörungsmärchen war äußert „erfolgreich“. Es grassierte in der frühen Sowjetunion und wurde zu einer Grundlage des eleminatorischen Antisemitismus des Nationalsozialismus. Bis heute wird es weitererzählt: Juden und Jüdinnen kontrollieren angeblich die Medien, die Finanzbranche, Immobilien, Politiker*innen und so weiter. Mit der Realität hat das alles nichts zu tun.
Wie offen der AfD-Funktionär seine Thesen vor der Kamera präsentiert, zeigt auch, wie „normal“ diese Form des Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft ist. Alle zwei Jahre belegt die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, dass ein signifikanter Teil der Bevölkerung judenfeindliche Ansichten vertritt. So stimmen etwa im Jahr 2019 21,6 Prozent der Befragten der Aussage zu, „Viele Juden versuchen, aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen.“ Und auch gut acht Prozent glauben, dass „Juden in Deutschland zuviel Einfluss“ hätten.
Das Problem mit Antisemitismus in Deutschland ist groß, noch größer ist es aber offenbar in der Alternative für Deutschland. Erst vor wenigen Tagen, am 25. Februar, veröffentlichte die Universität Leipzig Zahlen, die belegen, dass Wähler*innen der AfD antidemokratische Aussagen stärker unterstützen, als Wähler*innen der demokratischen Parteien – die Studie steht hier zum Download bereit. Zum Beispiel die Zahlen zum Thema Verschwörungsglauben. So stimmen etwa 35 Prozent der AfD-Wähler*innen der Aussage zu, dass „die meisten Menschen nicht erkennen, in welchem Ausmaß unser Leben durch Verschwörungen bestimmt wird, die im Geheimen ausgeheckt werden.“ 43 Prozent glauben, dass es „geheime Organisationen“ gäbe, „die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben.“ Sogar 60 Prozent der Wähler*innen der rechtsradikalen Partei stimmen zu, wenn es heißt „Politiker und andere Führungspersönlichkeiten sind nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte.“ Verschwörungsideologien haben praktisch immer eine antisemitische Komponente, meist steht die „jüdische Weltverschwörung“ irgendwo im Hintergrund.
Aber auch wenn es um offenen Antisemitismus geht, sind AfD-Wähler*innen weit vorne, vor allen anderen Wähler*innen. Über 50 Prozent können „gut verstehen, dass manchen Leuten Juden unangenehm sind.“ Fast 60 Prozent stimmen zu, dass „durch die israelische Politik“ Juden und Jüdinnen „immer unsympathischer“ werden. Und auch bei antisemitischer Täter-Opfer-Umkehr sind die Zahlen eindeutig. Über 70 Prozent der AfD-Wähler*innen stimmen dieser Aussage zu: „Es macht mich wütend, dass die Vertreibung der Deutschen und die Bombardierung deutscher Städte immer als kleinere Verbrechen angesehen werden.“
Die Aussagen des Würzburger AfD-Vorsitzenden passen in dieses Bild. Auch er reproduziert die uralte Erzählung von den mächtigen Juden und Jüdinnen, die im Hintergrund die Fäden in den Händen halten. Dass sich die Parteiführung als „einzig großes Bollwerk gegen Antisemitismus“ bezeichnet, ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis.