Interessiert es uns eigentlich noch? Wir überlesen es ab und zu in der Zeitung. Der Name Lampedusa sagt uns was – wieder ist irgendwo zwischen Afrika und Europa ein völlig überfülltes Flüchtlingsboot abgesoffen. Wie viele Tote? Wir wollen es eigentlich gar nicht wissen. Die können doch sowieso nicht alle zu uns kommen – das Boot ist voll, wir müssen uns erstmal um uns selbst kümmern. Es tut uns zwar irgendwie leid, aber wir können doch auch nichts machen. Wirklich?!
Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge wagt die AG Asylsuchende den Spagat: Durch interkulturelle Begegnungen zwischen Einheimischen und Asylsuchenden wirkt sie in einer latent fremdenfeindlichen Atmosphäre Vorurteilen entgegen. Es darf nicht vergessen werden, dass Asylsuchende Menschen sind, die gezwungen waren ihre Heimat zu verlassen, weil sie etwa aus politischen oder religiösen Gründen um ihr Leben fürchten mussten. Diese Menschen und ihre Belange müssen vorurteilsfrei wahrgenommen werden ? und dafür gründete sich die Initiative. Bei einem Ausländeranteil von gerade einmal zwei Prozent in der Region fehlen den Leuten die persönlichen Kontakte. Deshalb organisierte die Initiative seit 2008 zahlreiche Freizeitveranstaltungen wie zum Beispiel Feste, Workshops, Podiumsdiskussionen, Theaterstücke, Fußballturniere und internationale Tage der Flüchtlinge und Menschenrechte, um den Dialog zwischen Asylsuchenden und Einheimischen zu fördern.
Nach mehreren Bränden im abgelegenen Asylbewerberheim Langburkersdorf gilt der Hauptfokus der Arbeitsgruppe momentan zudem einer besseren Unterbringung der BewohnerInnen in zentral gelegenen Wohnungen. Dieses Engagement wird jedoch von geschürten Ängsten bei Pirnaer BürgerInnen begleitet. Die Pirnaer Initiative bildet die lauteste Gegenstimme zu der von der NPD initiierten Unterschriftenliste, auf der sich besorgte BürgerInnen und Firmen gegen ein zentral gelegenes Asylbewerberheim in Pirna aussprachen. Erschreckend waren für die AG Asylsuchende aber nicht allein die vielen Unterschriften, sondern auch das Fehlen von öffentlichen Stimmen gegen dieselben, zum Beispiel von anderen Vereinen und Initiativen oder der Kirche. ?Wir haben erlebt, wie sich die Atmosphäre in Pirna in den letzten zehn Jahren verändert hat. Alltagsrassismus macht das Leben hier inzwischen für Asylsuchende wie auch für viele Afrodeutsche unerträglich. Das hat kaum jemand im Blick?, sagt Petra Schickert von der AG Asylsuchende. Mit ihr hat es die Initiative inzwischen aber auch in die zuständige Arbeitsgruppe des Kreistages geschafft. Hier setzt sich Schickert für kleinere Heime und für die dezentrale Unterbringung in günstig gelegenen Wohnungen ein, so dass es den Asylsuchenden möglich ist, soziale Angebote vor Ort anzunehmen.
Ist das Boot voll?! Nein – das ist ein populistischer Spruch, der schlichtweg falsch ist. Sieben Milliarden Menschen leben mittlerweile auf unserer Erde, und ein kluger Mensch hat errechnet, dass all diese Menschen, wenn sie nebeneinander sitzen würden, theoretisch Platz auf Mallorca hätten. Ein – zugegebenermaßen – hinkender Vergleich, aber er verdeutlicht, dass definitiv genug Platz für alle da ist. Unabhängig davon sollten wir immer wieder mal daran denken, dass wir Menschen sind, dass wir ein soziales Gewissen haben, eine moralische Ader ? aber es geht gar nicht vordergründig darum, samariterhaft Gutes zu tun. Es geht viel mehr darum, endlich zu verstehen, dass Asylsuchende uns weniger wegnehmen als sie uns geben können. Kulturen vermischen sich mehr und mehr, das werden wir nicht aufhalten und das ist auch gut so. Eine andere Möglichkeit gibt es sowieso nicht. Wir könnten eine Mauer um Pirna bauen, um Dresden, Sachsen, Deutschland oder Europa, aber das kennen wir doch schon und wir haben aus der Geschichte gelernt, dass das eine total bescheuerte Idee ist.
*Sebastian Krumbiegel ist Sänger der Prinzen und sitzt in der Jury des Sächsischen Förderpreises für Demokratie.
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