Es stand zu befürchten: Nachdem es in letzter Zeit ruhig geworden war um die neofaschistische „Identitäre Bewegung“ (IB), musste diese mal wieder eine aufsehenerregende Aktion durchziehen, um ihren Daseinszweck als avantgardistische und dezidiert aktivistische Speerspitze der „Neuen Rechten“ zu erfüllen. Umso mehr, als das vergangene Jahr endlich die lang erwartete „patriotische“ Wende bringen sollte ― so der Chefideologe und de facto-Sprecher Martin Sellner euphorisch nach der Frankfurter Buchmesse 2017 ―, diese aber schuldig blieb. Im Gegenteil, zum vergangenen Jahresende gaben die Rechtsextremen von der IB Deutschland auf Twitter sogar freimütig zu, dass 2018 „eines der schwierigeren Jahre“ war. Die „Identitären“ standen also unter Zugzwang, wollten sie im Gespräch bleiben.
Eine konzertierte Propaganda-Aktion ― und ein Zwischenfall
Vor diesem Hintergrund muss man die bundesweit durchgeführte Aktion der IB vom 14. Januar bewerten, die unter dem Motto „Schreibtischtäter benennen ― Gegen linke Gewalt“ verschiedene Medienhäuser sowie Einrichtungen von linken Parteien zum Ziel hatte. In den frühen Morgenstunden des 14. Januars spielten sich in zahlreichen Städten in ganz Deutschland die gleichen Szenen ab. Gruppenweise suchten Aktivist*innen Gebäude auf, in denen Redaktionen und Parteieinrichtungen untergebracht sind, und beklebten diese mit meist kleinformatigen Plakaten, hingen Banner auf und verteilten Flugblätter, was natürlich fleißig in den sozialen Medien, d. h. auf Twitter, dokumentiert und kommentiert wurde (auf Facebook ist die IB ja schon seit Längerem nicht mehr willkommen).
Vom Stil her also eine typische „Identitären“-Aktion, die sich jedoch von früheren durch ihre konzertierte großräumige Durchführung abhebt ― und durch einen für die IB unangenehmen Zwischenfall. Betroffen waren allein in Berlin das ARD-Hauptstadtstudio, das Redaktionsgebäude der taz und die Bundeszentralen der SPD und der Grünen (vgl. tagesschau, Tagesspiegel, rbb24). Besonders die Vorgänge vor der taz-Redaktion in der Berliner Friedrichsstraße haben für ein gewisses Aufsehen in den Medien gesorgt, da es dort zu einem kurzen Handgemenge zwischen einem Aktivisten, dem Berliner Führungskader Robert Timm, und einer Redaktionsmitarbeiterin kam. Der Staatsschutz der Berliner Polizei ermittelt in diesem Zusammenhang nun wegen gefährlicher Körperverletzung und Hausfriedensbruch (vgl. taz)
Über Berlin hinaus nahmen sich die IB-Faschisten auch das Redaktionsgebäude der Frankfurter Rundschau in Frankfurt am Main vor, wurden dort aber von der im Vorfeld darüber informierten Polizei beim Anbringen der Plakate erwischt und mit Verweis auf das Versammlungsrecht an der weiteren Ausführung gehindert (vgl. FR). In zahlreichen anderen Städten in ganz Deutschland ― u. a. Lüneburg, Ulm, Stuttgart und Konstanz ― waren Parteibüros der Grünen, der SPD und der Linken Ziel der Propaganda-Aktion, darunter auch Wahlkreisbüros von Katja Kipping (Linke) in Dresden (vgl. Neustadt-Geflüster) und Claudia Roth (Grüne) in Augsburg.
Ziel der Aktion: „Schreibtischtäter benennen!“
Das Thema war dabei überall dasselbe: Angeblich grassierende „linke Gewalt“, die das Land in Geiselhaft nehme und von den „etablierten Parteien und Mainstreamjournalisten ignoriert, verharmlost und unterstützt“ würde. Dies in einer „bundesweiten Aktion […] gegen Linksextremismus“ anzuprangern und die angeblichen „Schreibtischtäter [zu] benennen“ war das erklärte Ziel der Aktion, wie in einer offiziellen Stellungnahme der „Identitären Bewegung“ verlautbart wurde. Es ist darin von den „ideologischen und moralischen Verantwortlichen in den Parteibüros und Redaktionsstuben“ die Rede, die „keinerlei Hemmungen“ hätten, mit Linksextremen zusammenzuarbeiten, um „Patrioten […] in existenzielle Gefahr“ zu bringen. Gegen diese sich „zum Normalzustand“ entwickelnde „linke Gewalt […] gegen Patrioten und andere kritische Akteure in unserem Land“ wolle man ein Zeichen setzen.
Diesem abwegig-hysterischen Ton entsprechend fiel die Propaganda auf den Plakaten und Bannern aus, mit denen man die Arbeitsstätten der „Schreibtischtäter“ heimsuchte: „Linksextremismus ― Wir brechen euer Schweigen“, war dort beispielsweise zu lesen, garniert mit dem Foto einer blutigen Kopfwunde, die einem AfD-Politiker in Bremen zugefügt worden ist – wobei die Täter und ihre Intention noch nicht ermittelt sind. „Gewalt und Terror von links“ wurden angeprangert und immer wieder tauchte die offensiv formulierte Frage auf „Wann reden Sie endlich über linke Gewalt?“
Es wurden außerdem Utensilien vor den Eingängen platziert, die die IB als „klassisch links“ ansieht: vornehmlich rote Antifa-Fahnen, Pflastersteine und Holzlatten. Flankiert wurde das alles von markigen Kommentaren auf Twitter, in denen auf die vermeintlichen „geistigen Brandstifter in den Redaktionsstuben und im Establishment“ (IB Schwaben) aufmerksam gemacht wurde und insbesondere die Politiker*innen der Grünen und Linken beschuldigt wurden, „Hass gegen Patrioten“ zu säen und „nicht selten zu Gewalt“ aufzurufen (IB NRW).
Bestandteil einer „neurechten“ Strategie
Es ist kein Zufall, dass die „Identitären“ diesmal die vermeintliche Verharmlosung „linker Gewalt“ durch Politik und Medien thematisiert und nicht, wie in der Vergangenheit meistens der Fall, gegen Muslim*innen oder Geflüchtete als potentielle Terrorist*innen gehetzt haben. Mit diesem Leitthema knüpft die IB ganz unmittelbar an die aktuelle und hitzig geführte Debatte um den Bremer Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz (AfD) an, der am 7. Januar Opfer eines tätlichen Angriffs wurde und sich seitdem als eine Art Märtyrer der Rechten inszeniert (vgl. welt).
Die Hintergründe dieser Tat, die von der Polizei als gefährliche Körperverletzung eingestuft wird, sind noch immer weitgehend unklar und die Täter*innen noch nicht ermittelt, was die AfD und andere Akteure der politischen Rechten allerdings nicht daran hindert, hysterisch von einem politisch motivierten „Mordversuch“ durch linke „Terroristen“ zu sprechen. Von Beginn an schlachtete die AfD dieses Verbrechen propagandistisch aus und konstruierte mittels Unwahrheiten und dramatisch aufgebauschter bzw. hinzuerfundener Details das Zerrbild eines von staatlich alimentierten und medial protegierten Linksextremen bedrohten Landes (vgl. Volksverpetzer).
Die „Identitären“ greifen dieses AfD-Narrativ einer enthemmten und systematisch verharmlosten terroristischen Gewalt von links nun auf und konfrontieren die angeblichen Übeltäter des „politisch-medialen Komplexes“ unmittelbar mit diesen Vorwürfen ― man versteht sich schließlich als „neurechte“ Avantgarde. Selten wird die Milieu-übergreifende Strategie der „Neuen Rechten“ im Sinne einer „Mosaikrechten“ (Benedikt Kaiser) so deutlich wie hier: Die „Identitäre Bewegung“, die sich als außerparlamentarische Opposition von rechts versteht, übersetzt die politischen Parolen der AfD, des parlamentarischen Arms der „Neuen Rechten“, unmittelbar in avantgardistischen Aktivismus und ergänzt deren Arbeit komplementär.
Diffamierung der freien Presse ― politische Akzentverschiebung?
Das übergeordnete Ziel des Ganzen ist offensichtlich: Jegliche Stimmen links von der CDU sollen als antidemokratisch und gewaltverherrlichend diffamiert werden, indem ihnen pauschal das Gutheißen und böswillige Verschleiern linksextremer Gewalttaten unterstellt wird. Es ist daher kein Zufall, dass neben den üblichen politischen Lieblingshassobjekten SPD, Grüne und Linkspartei mit der taz und der Frankfurter Rundschau dezidiert linke Zeitungsmedien, und nicht etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung oder die BILD, im Fokus der „identitären“ Faschisten standen. Diese kritischen Presseorgane, die regelmäßig und kompetent über rechtsextreme Entwicklungen berichten, sollen auf perfide Weise gezielt diffamiert, eingeschüchtert und im besten Falle zum Schweigen gebracht werden.
Es zeigt sich in diesem Zusammenhang womöglich eine Akzentverschiebung in der politischen Agitation des völkisch-nationalistischen Lagers von AfD, IB und Konsorten. Da die Problematik der „Flüchtlingskrise“, die der „Neuen Rechten“ seit 2015 als wichtigstes Zugpferd diente, die Gemüter der breiten Massen heute nicht mehr in derselben Weise zu bewegen vermag, verlagert man den Fokus der Propaganda auf den politischen Gegner in Parteien und Medien. Der bedrohe, wenn nicht durch unmittelbare Mittäterschaft oder Verschleierung so doch durch seine „moralische Legitimation“ linksextremer Gewalt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, als deren Verteidiger die IB sich mit der „Schreibtischtäter benennen“-Aktion inszenierte.
Eine solche perfide Strategie der Diffamierung der freien Presse hätte verheerende Konsequenzen für unsere offene demokratische Gesellschaft, sollte sie in der Bevölkerung fruchten. Jede ausgewogene Berichterstattung, die nicht vorschnell Gewalttaten dem linksextremen Milieu zuordnet und im hysterischen Tonfall verurteilt ― wie im Fall Magnitz vielfach geschehen ― oder die sehr viel bedrohlichere rechte Gewalt zum Thema macht, sähe sich diesem Verdacht ausgesetzt.
Das Ergebnis dieser jüngsten Aktion der IB lässt allerdings hoffen. Die mediale Resonanz war zwar beachtlich, in die Abendnachrichten schafften es die IB-Faschisten aber zum Glück nicht. Auch auf Youtube ist bis dato nichts darüber zu sehen (erstaunlicherweise nicht einmal auf dem Kanal des IB-Lautsprechers Martins Sellner). So bleiben vom antidemokratischen Spuk des 14. Januars nur einige Fotos auf Twitter und zwei Anzeigen bei der Berliner Polizei. Hoffen wir, dass dem so bleibt.