In allen Teilen der Gesellschaft finden sich auch heute noch tief verwurzelte genderbezogene Ungleichheitsvorstellungen. Um veranschaulichen zu können, was Männlichkeit als vermeintlich überlegen kennzeichnet, stellt sich zunächst die Frage, was Männlichkeit überhaupt ausmacht. Die australische Soziologin Raewyn Connell, die den Begriff der hegemonialen Männlichkeit geprägt hat, definiert folgendermaßen:
„Alle Gesellschaften kennen kulturelle Bewertungen des Geschlechts, aber nicht in allen gibt es das Konzept ‚Männlichkeit‘. In seinem modernen Gebrauch beinhaltet der Begriff, dass das eigene Verhalten davon abhängt, was für ein Typ von Mensch man ist. […] Ohne den Kontrastbegriff ‚Weiblichkeit existiert ‚Männlichkeit‘ nicht. Eine Kultur, die Frauen und Männer nicht als Träger und Trägerinnen polarisierter Charaktereigenschaften betrachtet, zumindest prinzipiell, hat kein Konzept von Männlichkeit im Sinne der modernen westlichen Kultur.“
Hegemonial bedeutet, dass Personen, die diesen Status Quo infrage stellen, abgewertet werden. Dies betrifft nicht nur Frauen, sondern erlaubt auch Abwertungen von effeminierten (also als „zu weiblich“ wahrgenommenen) Männlichkeitsinszenierungen – genauso wie Dominanzgebaren gegenüber Männern, die von Rassismus, Antisemitismus, Klassismus oder anderen Diskriminierungsformen betroffen sind. Das essentialisierende Verständnis von Mann und Frau zeigt auf, wie widersprüchlich es ist, davon auszugehen, dass alle Männer bestimmte Eigenschaften hätten – und gleichzeitig Angst zu haben, Männer könnten ihrem Männlichkeit (und nicht etwa ihren Vormachtsanspruch) aufgrund von Gleichstellungspolitik verlieren.
Studien über die Verbreitung von Ideologien der Ungleichwertigkeit zeigen, dass Menschen, die abwertenden Aussagen gegenüber einer Gruppe eindeutig zustimmen, mit großer Wahrscheinlichkeit auch andere Gruppen abwerten. Weil ein Merkmal also selten allein auftritt, wird die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) auch als Syndrom bezeichnet.
Connell schreibt: „Wenn es nur um die Unterschiede von Männern und Frauen als homogene Blöcke ginge, bräuchten wir die Begriffe ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ gar nicht. Wir könnten einfach von ‚Männern‘ und ‚Frauen‘ sprechen.“
Die Ressentiments, die sich in der GMF äußern, bieten rechtspopulistischen Mobilisierungen eine offene Flanke: Für eine Gesellschaft, in der es jahrzehntelang legitim oder sogar selbstverständlich war, bestimmte Gruppen (wie etwa Frauen) abzuwerten und von der eigenen Besserstellung zu profitieren, ist es vergleichsweise unbequem, die eigenen Vorurteile zu überwinden und entsprechend einer solidarischen, demokratischen Zivilgesellschaft (für die bspw. feministische Akteur*innen seit Jahrhunderten kämpfen) zu handeln.
Durch Selbstverharmlosung und das Verschleiern der menschenverachtenden Agenda versuchen rechte Akteur*innen, die Zustimmungsbereitschaft in der Mehrheitsgesellschaft zu steigern. Dies gelingt besonders leicht, wenn Menschen annehmen, dass die jahrelange Ungleichbehandlung, von der sie profitiert haben, gerechtfertigt gewesen sei.
Allein die Tatsache, dass Männer in Deutschland ihre Ehefrauen bis 1997 legal vergewaltigen durften, verdeutlicht, dass sexistische Gewalt zur Normalität gehört (hat). Auswirkungen hiervon zeigen sich auch heute noch in der Tatsache, dass es vor Gericht in vielen Fällen als strafmildernd gewertet wird, wenn Frauen durch ihre Intimpartner und nicht etwa durch Fremde
vergewaltigt wurden. Obwohl sexualisierte Gewalt größtenteils durch Männer aus dem sozialen Nahraum ausgeübt wird, ist also genau diese Tatsache ein Grund zu Strafmilderung.
Durch die Bezeichnung eines Femizides als „Ehedrama“ wird suggeriert, dass es sich hierbei um einen tragischen Einzelfall handle, der nichts mit gesellschaftlichen Strukturen zu tun habe. Die Thematik wird somit entpolitisiert – entgegen der feministischen Analyse, dass das Private politisch sei. Kommt eine Ebene hinzu, auf der Marginalisierung eine Rolle spielt – etwa, wenn der Tatverdächtige als Muslim oder als Migrant gelesen wird – ist eine rassistische Deutung („Ehrenmord“) keine Seltenheit.
In beiden Fällen wird vernachlässigt, dass auch einige Angehörige der Mehrheitsgesellschaft ihren cis männlichen Überlegenheitsanspruch mitunter gewaltvoll umsetzen. Das Beklagen einer verlorenen Geschlechterordnung kann demnach nichts anderes sein als eine sexistische Machtfantasie, in der cis Männer hierarchisch über anderen Menschen stehen.
Genau an dieser Stelle entsteht eine Brücke zwischen sexistischen Tendenzen in der Mehrheitsgesellschaft und sexistischen rechtsextremen Ideologien.
Die Studie „Alles Einzelfälle? Misogyne und sexistisch motivierte Gewalt von rechts“ gibt es hier zum Download.