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Alltäglicher Rassismus Falsch verbunden!

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„Brandanschläge bei uns? Nein, das gab’s nicht. Da sind sie falsch verbunden“, so reagieren die öffentlichen Stellen der Stadt Eilenburg auf eine Anfrage zu den Brandanschlägen auf Imbisswagen, die in den letzten Monaten dort verübt wurden: „Unterstützung für die Betroffenen? Naja, finanzielle Unterstützung nicht … aber, wie heißt das nochmal? Moralische Unterstützung, ja, die geben wir.“ Wie die moralische Unterstützung aussieht, darauf kann man uns keine Antwort geben. Karim*, den Besitzer des Imbisswagens, hat sie bis jetzt zumindest noch nicht erreicht.

Niemand sieht’s – niemand interessiert’s

„Falsch verbunden“ – Das dachte Karim sicherlich auch als die Polizei morgens bei ihm anrief, um ihn zu informieren, dass sein Imbisswagen ausgebrannt war. Doch leider waren sie richtig verbunden. Mitte Juni wurde Karims‘ Imbiss in den frühen Morgenstunden von bisher unbekannten Tätern angezündet. Am Abend zuvor hatte das Spiel Deutschland gegen Ghana der Fußballweltmeisterschaft stattgefunden – danach brannten nicht nur der Imbiss, sondern auch drei Papierkörbe in der Stadt. Augenzeugen haben sich nicht gemeldet, obwohl der Imbiss auf einem Parkplatz vor einem Hochhaus stand und es zur Tatzeit bereits hell war. Niemand hat etwas gesehen – niemand will etwas gesehen haben. Vielleicht aus Angst, vielleicht weil es manchen Leuten auch nicht unrecht war. Karim hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Dass die Täter gefunden werden, ist jedoch unwahrscheinlich: Es gibt keine Augenzeugen und keine Spuren. Vermutlich stammen die Täter aus der Neonazi-Szene, denn an die Rückseite des Imbisses war ein Hakenkreuz geschmiert Ob das Hakenkreuz tatsächlich etwas mit dem Brandanschlag zu tun hat, ist allerdings unklar.

Aufräumarbeiten – selbst bezahlen

Vor drei Jahren hat sich Karim den Imbisswagen gekauft. Drei Monate lang hatte er den Wagen komplett renoviert, damit dieser den Anforderungen des Gesundheitsamtes entspricht: „Ich habe den Laden mit meinen eigenen Händen renoviert. Ich wollte mir etwas Eigenes aufbauen. Es war wie mein Kind und mit einem Mal wurde alles zerstört“, erzählt Karim mit leiser Stimme. „Bis vor zwei Monaten habe ich täglich in meinem Imbiss gestanden. Und jetzt?“ Jeden Tag fährt Karim zu seinem Imbisswagen und räumt auf. Alles was verbrannt ist, räumt er raus, putzt und versucht noch zu retten, was zu retten ist. Die Müllsäcke muss er mit dem Fahrrad zur Deponie bringen, ein Auto besitzt er nicht. Für jeden Müllsack, den er dort hinbringt, muss er Geld bezahlen – hinzu kommt die Platzgebühr, die er für den Stellplatz seines ausgebrannten Imbisswagens bezahlt. Seit dem Brandanschlag auf seinen Imbiss hat er keine Einnahmen mehr. Nicht einmal den vollen Hartz IV Satz bekommt er – die Bürokratie braucht zu lange. Aber Karim will auch nicht von Hartz IV leben: „Ich will wieder arbeiten! Es macht mich verrückt, nicht arbeiten zu können – ich kann nicht einfach zu Hause sitzen“ sagt Karim mit erstickter Stimme. Das Geld vom Arbeitsamt wäre zumindest eine erste Hilfe; er kann jeden Cent dringend gebrauchen – um sich Lebensmittel zu kaufen, die Kosten für die Aufräumarbeiten in seinem Imbisswagen zu tragen und sich eine neue Existenzgrundlage zu schaffen.

Die Banalität des alltäglichen Rassismus

Der Brandanschlag ist lediglich der Tiefpunkt einer Reihe von rassistischen und diskriminierenden Ereignissen, denen Karim in seiner Zeit in Deutschland ausgesetzt war: Schon vor zwei Jahren hatten Unbekannte probiert seinen Imbiss anzuzünden. Damals brach das Feuer allerdings nicht aus und Karim konnte den Schaden beheben. Sprüche wie „Ausländer raus“ bekommt er oft zu hören. Er hat sich daran gewöhnt Neonazi-Aufkleber von seinem Imbiss zu beseitigen. Die Diskriminierungen beschränken sich jedoch nicht auf gewalttätige Angriffe oder rassistische Beleidigungen. Verletzend ist auch der Rassismus, von Seiten der öffentlichen Stellen, von denen sich der Betroffene Hilfe erhofft: Die Stadtverwaltungen und Ausländerbehörden. Für Betroffene ist ein rassistischer Übergriff oft nur ein Erlebnis in einer Kette von diskriminierenden Ereignissen: „Unsere Erfahrung zeigt, dass es für Betroffene oft keine Trennung zwischen so genannter „bürgerlicher Mitte“ und „Neonazis“ gibt, da sie von allen Seiten rassistische Diskriminierung erfahren“, so Juliane Wetendorf von der Opferberatungsstelle der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) in Chemnitz. „Es ist nicht ein einzelnes Ereignis, sondern die Menge von Ereignissen, die den Rassismus ausmachen.“ Auch Karim sind diese Erlebnisse bekannt: Schon als er vor 10 Jahren nach Deutschland kam, mit einem Universitätsabschluss in Informatik in der Tasche, wurde sein Abschluss von den deutschen Stellen nicht anerkannt. Das Umschreiben konnte er sich damals nicht leisten. Deshalb fing er an in Imbissen zu arbeiten.

Keine rückläufigen Zahlen bei den Gewalttaten

Sein Fall ist leider nur einer von vielen. Wöchentlich wurden der RAA 2009 ein bis zwei rassistisch motivierte Gewalttaten bekannt. Allein in der ersten Hälfte diesen Jahres registrierte die RAA 120 Angriffe mit rassistischer oder rechter Motivation. Dabei ist die Dunkelziffer weitaus größer: „Viele Betroffene melden die Angriffe nicht. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass ihrem Bericht nicht geglaubt wird oder die Polizei, städtische Vertreterinnen und Vertreter oder ihr soziales Umfeld ihnen eine Mitschuld zuschreiben. Manche sehen die Diskriminierungen schon als „Normalität“ an“ so Frau Wetendorf. Einen Rückgang bei rassistischen und rechtsmotivierten Angriffen könne man nicht sehen, lediglich eine Verlagerung auf verschiedene Landkreise. Dabei werden von der RAA die so genannten Propagandadelikte, die in der offiziellen Statistik auftauchen, nicht registriert. Auch die alltäglichen Diskriminierungen, denen Menschen mit Migrationshintergrund und people of colour ausgesetzt sind, sind schwierig zu erfassen: Die Nicht-Anerkennung von Abschlüssen durch staatliche Stellen bis hin zu offen rassistischen Beleidigungen auf der Straße – die nicht nur von Anhängern der Neonazi-Szene ausgesprochen werden. Rassismus ist auch in weiten Teilen der Bevölkerung ein Problem.

Reaktionen bleiben aus

„In diesem Zusammenhang ist es wichtig, wie institutionelle und öffentliche Personen auf die Angriffe reagieren“ so Frau Wetendorf. „Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aber auch Initiativen und Vereine geben dem lokalen Umfeld eine Orientierung für den Umgang mit Rassismus.“ Dass die Betroffenen verzweifelt und wütend über die Ignoranz oder Nicht-Beachtung ihrer Situation sind, ist nur selbstverständlich: „Wenn jemand mit Migrationshintergrund einen Stift klaut, ist er sofort dran. Wenn jemand einen Brandanschlag macht, wie in meinem Fall, dann schaut die Polizei weg. Dabei zahle ich Steuern wie jeder andere. Die Polizei ist doch dazu da um uns zu schützen! Warum tut sie das dann nicht?“ fragt Karim. Die Verzweiflung und die Wut, die aus seiner Stimme sprechen, sind nur verständlich.

„Das Leben geht weiter“

Doch Karim wird nicht aufgeben, trotz aller Rückschläge will er weitermachen. Er möchte einen Imbissladen eröffnen, diesmal in der Innenstadt. Dort sind mehr Geschäfte, es herrscht auch nachts mehr Betrieb – es besteht die Hoffnung, dass sein Geschäft dort in Ruhe gelassen wird: „Das Leben geht weiter. Ich werde nicht aufgeben“, erklärt Karim mit festerer Stimme. „Ich möchte meinen Führerschein machen. Wenn ich erstmal ein Auto hätte, dann wäre vieles einfacher.“ Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg: Einen Kredit für die Eröffnung zu bekommen ist schwer. Leider kostet alles Geld, leider ist es genau das, woran es ihm gerade mangelt.

In Sachsen gab es in den letzten zwei Monaten viele Brandanschläge und Angriffe. Einen Monat nach dem Brandanschlag auf Karims Imbiss wurde in Eilenburg ein weiterer Imbisswagen in Brand gesetzt, diesmal von einem aus Vietnam kommenden Besitzer. In Freiberg wurden innerhalb von wenigen Tagen Brandanschläge auf Lokale verübt, deren Betreiber Migrationserfahrung haben. Aber auch alternative Wohnprojekte und Kultureinrichtungen sind in den letzten Monaten Ziel von Übergriffen gewesen. Alle Betroffenen brauchen unsere Unterstützung!

*Name von der Redaktion geändert.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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