Wenn er ein Neonazi wäre, so Theo Zwanziger, dann würde er in den Sportverein gehen. Mit diesen Worten stellte der damalige DFB-Präsident im Januar 2011 die Kampagne der Bundesregierung gegen rechtsextremismus im Sport vor, die den Titel „Sport + Politik verein(t) gegen Rechtsextremismus“ trägt. Tatsächlich haben sich rassistische und rechtsextreme Einstellungen schon länger in Sportvereinen etablieren können, wie zuletzt das rechtsextreme Engagement Michael Fischers, ehemaliger Leistungssportler und Lebensgefährte Nadja Drygallas, zeigt. Fischer saß bei der Junioren-Weltmeisterschaft für Deutschland im Achter und gewann dabei Silber. Allerdings wurde er später auch bekennender Neonazi, kandidierte bei der Landtagswahl letztes Jahr für die NPD, ist Kopf der Kameradschaft „Nationale Sozialisten Rostock“ und schreibt darüber hinaus für das rechtsextreme Internetportal „MupInfo“.
„Janusköpfigkeit des Sports“
Die Erkenntnisse aus der Drygalla-Affäre sind nicht neu. In Deutschland gibt es 91.000 Sportvereine, seit Jahren beobachten Expert*innen, dass sich auch im Sport rechtsextreme Sportler*innen und Trainer*innen etablieren und ihre Weltanschauung weitergeben können. Das liegt laut Angelika Ribler, Referentin bei der Sportjugend Hessen und Gewinnerin des DFB Julius-Hirsch-Ehrenpreises 2010, auch an der Struktur des organisierten Sports. „Rechtsextremismus ist natürlich auch ein Lebens- und Aktionszusammenhang, eine Form der Beschäftigung und Zusammenhalt, die über den Sport und seine Vereinsstrukturen sehr gut geschaffen werden kann“, so Ribler. Hinzu kommt die „Janusköpfigkeit des Sports“: Einerseits bringe der Sport insgesamt große Chancen mit sich, was Völkerverständigung und Toleranz anginge. Andererseits biete er wie kaum eine andere Instanz einen Leistungsvergleich und eine Auslese von Leistungsschwachen an und berge dadurch auch Gefahren. „Man kann nicht davon sprechen, dass der Sport eine rechte Ideologie befördert, aber natürlich hat er aus der Sicht von Rechtsextremen bestimmte Attraktionen“, sagt Ribler und fügt hinzu: „Durch die Länder-Bezogenheit besteht auch immer das Risiko, dass die Stimmung in einen Nationalismus umschlägt“. Es seien daher einige Spezifika im Sport, die ihn für Rechtsextreme attraktiv machen würden.
Allerdings sind nach Meinung Riblers rassistische und rechtsextreme Inhalte und Personen in der Regel kein Resultat einer spezifischen Strategie der rechtsextremen Szene. „Ich bin keine Vertreterin, die von Unterwanderung spricht. Vereine bieten für alle Bürger gute Möglichkeiten, über ein soziales Netzwerk Menschen kennen zu lernen, Kontakte zu knüpfen und Meinungsbildung zu betreiben“. Rechtsextreme Personen sind Sportler*innen, Trainer*innen oder Schiedsrichter*innen und würden sich in erster Linie im Verein engagieren, um ihrer Freizeitbeschäftigung nachzugehen. Trotzdem haben sie dadurch gerade im Jugendbereich Einflußmöglichkeiten.
Vor allem im ländlichen Raum würden rechtsextreme Personen sich fest in Sportvereinen etablieren können, erklärt Ribler. „Wir beobachten ein starkes Stadt-Land Gefälle, es gibt einen sichtbaren Zusammenhang zwischen einem Zusammenbrechen von Jugendarbeit, einem Abziehen von Stellen und einer großen, sich ausbreitenden Langeweile.“ Genau wenn dadurch ein Vakuum entsteht, können Rechtsextreme in Vereinen Fuß fassen und Einfluß auf die Jugendlichen ausüben. „In manchen Regionen ist nichts los, wenn dann einer im Sportverein ein gutes Angebot macht, spricht er die Jugendlichen an und kann damit Erfolg haben“, meint Ribler.
Trennung zwischen „Innen“ und „Außen“
Trotz einer wachsenden Sensibilität seitens der Vereine gibt es bei der Auseinandersetzung mit Diskriminierung im Sport noch einige Lücken. So spricht Angelika Ribler von Unwissenheit, aber auch von Bagatellisierung, die in Vereinen betrieben wird. Die Trennung zwischen „Innen“ und „Außen“ würde diese Bagatellisierung vorantreiben: „Viele Personen im Sport sagen, ‚Was die Person im Verein macht, ist das, was uns interessiert. Solange die Person im Verein ein guter Trainer oder Spieler ist, kann sie außerhalb des Vereins machen, was sie will'“. Ribler ist es gewohnt, bei ihren Beratungen mit dem Begriff „Gesinnungsschnüfflerei“ konfrontiert zu werden, der für viele Vereine ein Tabu darstellt. Hinzu kommen Vereine, die den Sport als politisch neutral bewerten und damit rechtfertigen, dass sie keine klaren Positionen beziehen. Die wichtigere Frage ist aus Riblers Sicht allerdings, ob man „Innen“ und „Außen“ so klar trennen kann. „Kann ein Trainer, der in der NPD aktiv ist und sich dort ganz eindeutig zu Migranten verhält, in seiner Mannschaft tatsächlich alle Jugendlichen gleichberechtigt behandeln?“ Ribler bezweifelt das.
Die meisten Vorfälle im Fußball
Oft hört man im Zusammenhang mit Rassismus und Rechtsextremismus im Sport von Vorfällen im Fußball. Das liege vor allem an zwei Gründen, erklärt Ribler: Rein quantitativ sei Fußball in erster Linie ein Massenphänomen, das weit verbreitet ist. „Es gibt so viele Menschen, die irgendwas mit Fußball zu tun haben. In fast jedem Dorf gibt es einen Fußballverein, jeder hat ein Familienmitglied, das im Verein Fußball spielt oder trainiert. Dadurch kann auch jeder immer mitreden, wenn es um Fußball geht“. Hinzu komme, dass es keine andere Sportart gebe, die mehr Vielfalt aufweist als der Fußball. Fußball bringe viele Personen problemlos zusammen und biete viele Chancen für Toleranz im Sport. Aber er birgt auch Gefahrenpotenzial, das begünstigt wird durch eine Fußballkultur, in der gegenseitiges Provozieren und Ausleben der Emotionen bis zu einem gewissen Grad dazugehört. „Im Fußball ist es ja erlaubt, ein bisschen über die Stränge zu schlagen. In vielen anderen Sportarten würden die Spieler dafür mit härteren Strafen reihenweise vom Platz fliegen“.
Prävention, Früherkennung und Intervention
Angelika Ribler erkennt drei Bereiche, in denen Gegenstrategien entwickelt werden und mit denen Vereine gegen rechtsextreme Personen und Inhalte vorgehen können. Die Prävention setzt da an, wo rechtsextreme Personen noch keinen Einfluß auf Vereine haben. Der Früherkennungsbereich dagegen beginnt dann, „wenn Vereine beispielsweise in belasteten Gegenden liegen, wo Vereine gut beraten sind, sich mit Rechtsextremismus und Rassismus auseinander zu setzen“, erklärt Ribler. Sobald konkrete Vorfälle vorliegen, auf die der Verein reagieren muss, spricht man vom Interventionsbereich. In allen drei Bereichen sind Ansätze in der Sportjugend Hessen aufgebaut worden – Im Interventionsbereich agieren die „Mobilen Interventionsteams gegen Rechtsextremismus im Sport“ (MIT), die Vereine bei Vorfällen beraten und begleiten. Bei der Früherkennung arbeitet das Projekt „Erlebniswelt Sport: Wir bieten Respekt und ANerkennung!“ (RAN!), welches in Gebieten, in denen es außerhalb des Sports zu rassistischen und/oder rechtsextremen Vorfällen kam, Vereine fördert, die sich aktiv mit Rechtsextremismus und Rassismus auseinander setzen. Fortbildungen, Vorträge, Broschüren und Schulungen gehören dagegen zum präventiven Bereich – z.B. im Rahmen von Trainer-Lizenzausbildungen.
Den Erfolg dieser Gegenstrategien sieht Ribler teilweise gegeben. Auch deshalb spricht sie nicht gerne von einer Unterwanderung der Sportvereine, weil „das den Sport viel zu schwach dastehen lässt“. Im Verein würde es in den seltensten Fällen zu offen rechtsextremen Agitationen kommen: „Der Verein schützt schon seinen eigenen Laden und sagt dann ‚Stop‘. Allerdings erst, wenn es wirklich schwere Vorfälle gibt. Die Alltagsrassismen kommen eher durch und werden durch Bagatellisierungsstrategien begünstigt“. Es geht Angelike Ribler daher vor allem auch um eine breiteren Ansatz. Alltägliche Diskriminierungsformen, „die weit unter einem Michael Fischer aus Rostock ansetzen“, müssten ebenfalls energisch bekämpft und zu Kenntnis genommen werden.