Dass rechtsradikale Akteure Gewalt als Problemlösungsmittel für geeignet halten, ist hinlänglich bekannt. Dass sie Gewalt auch zur Begrüßung einsetzen, zur Begrüßung von Freunden, wohl gemerkt, ist neu. Aber Dank eines Vorfalls in der AfD Brandenburg nun auch bekannt.
Andreas Kalbitz, Ex-Mitglied einiger rechtsextremer Organisationen (HDJ, Witikobund, Junge Landsmannschaft Ostdeutschland, „Kultur- und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit“, vgl. Belltower.News), ehemaliger Vorsitzender der AfD Brandenburg, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der AfD im Brandenburger Landtag, musste zuletzt einige Bedeutungsverluste hinnehmen, u.a. einen Parteiausschluss (vgl. Belltower.News), gegen den er Widerspruch einlegte, der am Freitag in Berlin vor Gericht verhandelt wird, und den Verlust des Fraktionsvorsitzes. Wobei seine Fraktion ihn sogar als Vorsitzenden behalten wollte, obwohl er aus der Partei bereits ausgeschlossen war, doch um des inneren Friedens willen ließ Kalbitz den Vorsitz zunächst ruhen (vgl. Belltower.News).
Sein Nachfolger und kommissarischer Fraktionsvorsitzender, Dennis Hohloch, gilt als treuer Kalbitz-Anhänger. Die beiden trafen sich am 10. August, und zur Begrüßung – so zumindest die offizielle Darstellung – gab es einen freundlich gemeinten Klaps von Andreas Kalbitz, der wohl eher ein Faustschlag war.
Dennis Hohloch kam danach ins Krankenhaus. Mit einem Milzriss.
Er war danach immer noch loyal und sprach nicht davon. Andere aber doch. Deshalb:
Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Körperverletzung und Andreas Kalbitz gab gegenüber dem „Tagesspiegel“ bekannt, nun ganz vom Amt des Fraktionsvorsitzenden zurückzutreten, dass er bisher nur hatte ruhen lassen.
Widerspruch erhielt er dazu aus der AfD Brandenburg keinen mehr. Sie hatte bisher immer hinter ihm gestanden. Stattdessen sind Stimmen aus der AfD zu hören, die vermuten lassen, dass es sich bei dem Schlag nicht um einen Einzelfall handelte. Der „Flügel“, dem Kalbitz zugerechnet wird, schweigt zu den Vorkommnissen. Der Fraktionschef der AfD Berlin, Georg Pazderski, zeigte sich auskunftsfreudiger: „Ich bin erleichtert, dass sich das Buch Kalbitz nun endgültig schließt. Dieser Mann ist nicht politikfähig.“
In eine ähnliche Richtung gehen Vorwürfe, die Kai Laubach auf Facebook erhebt, ein Mitarbeiter des AfD-Abgeordneten Lars Hünich. Dabei hat Laubach selbst Kontakte zur rechtsextremen Szene, hier aber zur etwas weniger gewaltaffinen „Identitären Bewegung“.
Laubach stellt fest:
„Du hättest beinahe Dennis Hohloch fahrlässig getötet. Du verspottest ihn danach noch mir selbst gegenüber als „zerbrechliches Weichei“, nachdem mir Dennis schon enttäuscht davon erzählt hat, dass du überall genau so etwas verbreiten würdest. Du stehst also nicht ansatzweise zu deiner Verantwortung, sondern ziehst nebenbei auch noch den Jungen in den Dreck, der dir in den letzten stürmischen Wochen immer politischen Rückhalt, Freundschaft und Treue entgegengebracht hat. Zur schweren Verletzung kommt also auch noch herbe Beleidigung dazu. Um das alles dann nochmal zu toppen, versuchst du sogar, politisches Kapital aus deinem unkontrollierten, besoffenen Verhalten zu ziehen, indem du deiner Opposition eine Schmutzkampagne vorwirfst, obwohl alles wahr ist, was dein Fehlverhalten betrifft. Widerlicher, schäbiger, ruchloser und menschlich erbärmlicher kann ich mir nichts vorstellen.“
Damit wird noch klarer: Wer „Parteifreunde“ wie Kalbitz hat, braucht keine Feinde mehr. Laubach berichtet in seinem Post auch von einem weiteren Übergriff [Rechtschreibung wie Original]: „Es ist ja auch nicht das erste mal, dass dir ‚das Maß‘ abhanden gekommen ist. Du erinnerst dich sicher noch an die Fraktionsklausur im Jahr 2019, als du Kevin in die Fresse geschlagen hast, weil du angeblich beim Saufen wichtige Reden in der Hotellobby schwingen wolltest, während Kevin mich zu später Stunde noch dazu holen wollte und plötzlich das Gespräch abriss. Später entschuldigte sich Kevin sogar noch bei mir, dass er das Gespräch nicht so abrupt beenden wollte, aber sich das Telefon nach deiner gepfefferten Watschen ins Gesicht rücklings im hohen Bogen auf den Steinfußboden begeben hatte.“
Die restliche AfD-Brandenburg-Leitung habe diesen Vorfall ebenfalls gekannt, aber geschwiegen.
Auch dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ gegenüber sagen anonym bleiben wollende AfD-Mitglieder aus Brandenburg: „Der hat sich nicht im Griff.“
Andreas Kalbitz selbst spricht von einer politischen Kampagne – immerhin steht morgen die zivilgerichtliche Auseinandersetzung um die Annullierung seiner AfD-Mitgliedschaft bevor. Doch selbst seine „Freunde“ machen keine Anstrengungen mehr, den Mann mit der rechten Geschichte zu verteidigen.
Immerhin macht der Vorfall Grenzen in der AfD klar: Mitgliedschaft in rechtsextremen Vereinen scheint tolerierbar, Gewalt bis zu einem gewissen Maß offenbar auch. Jetzt aber heißt es:
Update 27.08.2020: Gegenüber dem ARD-Magazin Kontraste bestätigte das Bundesamt für Verfassungsschutz erstmalig, dass die Behörde über eine Mitgliedsliste der verbotenen HDJ verfügt, auf der unter Mitgliedsnummer 1330 ein „Familie Andreas Kalbitz“ geführt wird. Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagte dem ARD-Magazin, dass kein Zweifel bestehe, dass es sich dabei um den Ex-AfD-Politiker handele. (Andreas Kalbitz bestreitet Mitglied in der Heimattreuen Deutschen Jugend gewesen zu sein. Er soll diesbezüglich in einem Verfahren vor dem Landgericht Berlin eine entsprechende eidesstattliche Versicherung vorgelegt haben. Derzeit klagt Herr Kalbitz vor dem Verwaltungsgericht Köln auf Auskunftserteilung über die vom Verfassungsschutz genannte „Mitgliederliste der HDJ“ nebst Eintrag zur „Mitgliedsnummer 01330“.)