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Anettas Kolumne Franco und die Documenta

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Anetta Kahane (Quelle: picture alliance/dpa | Michael Kappeler)

Im Moment habe ich gar keine Lust, über Antisemitismus zu sprechen. Die Diskussion ist hartleibig und ideologisch geworden. Wann immer der Antisemitismus die Sphären des Rechtsextremismus verlässt, wird er geleugnet, relativiert, als „nicht strafrechtlich relevant“ wegdefiniert oder zur Stimme des „globalen Südens“ gemacht. Die Shoa wird zu einem Verbrechen unter vielen, das nur deshalb so große Aufmerksamkeit bekommt, weil die Opfer weiße Menschen waren. Bilder wie antisemitische Karikaturen auf der Documenta, das Böse der Welt, die doch so schön sein könnte, symbolisiert durch den israelischen Soldaten mit Davidstern und SS-Runen. Alles halb so schlimm, wäre da nicht der Zentralrat der Juden mit seiner Israel-Lobby, die alles kontrollieren wollen und die Wahrheit nicht zulassen. Die Abwehr gegen Aufklärung und Vernunft nimmt bizarre Züge an, wenn es schließlich um das Gegenbild zum Bösen geht. Da wird es traditionell, das Volk ist ethnisch und gut, die Luft sauber, die Äcker bestellt und die Dorfgemeinschaft teilt sich alles. Nach den Vorstellungen einiger Künstlerkollektive sollte die Realität aussehen wie ein romantisches Gemälde, das allein vom bösen Westen aka Israel gestört wird. So sehen gerade die Debatten rund um die Documenta aus. Und darüber zu reden ist mir dieser Tage sehr schwer.

Antisemitismus hat in der Gedankenwelt des Documenta-Milieus da zu bleiben, wo er hingehört: bei den Nazis. Alles andere kann gar kein Antisemitismus sein. Na schön, dann schauen wir uns den Nazi-Antisemitismus mal an. Bei Franco A. beispielsweise. Er wurde gerade zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Er wollte Menschen umbringen. Claudia Roth, Heiko Maas und mich. Mein Leben hat sich verwirkt, wie er offenbar fand, weil ich den Großen Austausch plane. Mehr Schwarze Menschen in den Osten. Juden wollen immer das Volk zersetzen mit Durchmischung, um es so zu schwächen. Das Gedankengebäude von Franco A. dreht sich auch um Reinheit. Das Deutsche Volk hätte es viel besser ohne den westlichen Mist, die jüdischen Welteliten und die Kontrolle der Medien. Auch dafür macht er mich verantwortlich. Löschkommandos auf Facebook und Twitter: meine Schuld – ganz nach Stasi-Manier. Umvolken, umerziehen, kontrollieren und das subversiv. Dafür wollte er mich erschießen. Er ist ein Antisemit.

Einige Journalisten haben mich gefragt, wie ich mich bei all dem gefühlt hätte. Bei all dem? Die wenigsten hatten dabei den Antisemitismus im Kopf. Sie meinten, ob ich Angst hätte und ob es nun besser sei, da er verurteilt wurde. Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Vielleicht hätte es mich berührt, wenn in dem Zusammenhang wenigstens der Antisemitismus ernst genommen würde. Doch das ist nicht geschehen. Verschwörungserzählungen und Rechtsextremismus, ja, darüber gibt es viel Wissen. Doch wird der Antisemitismus nicht einfach nur dahinverwaltet? Da gehört er hin, dort verurteilen wir ihn, ohne ihn wahrnehmen zu müssen? Wer identifiziert sich schon mit einem Nazi? Wer kann also deren Antisemitismus reflektieren und dann an sich ranlassen? Er wird stattdessen kategorisiert, verortet und in die Vergangenheit gepackt, in der alle „dummen“ rechten Nazis verharren. Das kann Nicht-Nazis natürlich nicht passieren. Sie brauchen sich über diesen NS-Vergangenheitsschmutz keine Gedanken machen.

Die Nachfragen, ob ich das gruslig fand, dass mich Franco A. ermorden wollte, kann sich sparen, wer nicht bereit ist, über Antisemitismus nachzudenken. Ja, es ist schwer in einem Land zu leben, das meine Großeltern und Millionen anderer Menschen ermordet hat. Es ist schwer zu ertragen, dass immer wieder in anderer Form – neuerdings auch von linker Seite – ein Schlussstrich gefordert wird unter das Kapitel Shoah und Antisemitismus. Das Schwerste daran ist die Ignoranz, die den Antrieb des Antisemitismus nicht begreifen will, den Hass auf alles Jüdische. Vielleicht sollte man fragen, was denn eine Welt ohne das Jüdische so toll macht. Ist es die ländliche Idylle? Ist es, dass dann angeblich Frieden auf der Welt herrscht, besonders im Nahen Osten? Ist es vielleicht eine Welt ohne lästige Fragen? Ohne Umweltschmutz, Krieg und Ausbeutung? An all dem soll das Jüdische Schuld sein? Oder Israel?

Im Ernst: Ich habe das alles schon gehört. Darüber kann man nicht ernsthaft diskutieren. Ich bin ein Kind von Holocaustüberlebenden. Wir sind zweifelsohne sehr sensibel, auch traumatisiert. Aber wir werden auch das überleben. Franco A. oder den Unsinn auf der Documenta.

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