Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Angriff auf Journalistin verurteilt

Von|

Vor dem Gerichtsgebäude stehen mehrere Polizeiautos, drinnen werden die Ankommenden penibel auf Waffen durchsucht. Erhöhte Sicherheitsstufe am Amtsgericht Zossen und so viel Publikum wie lange nicht mehr. Im Saal 1 sind alle Plätze belegt. Auch die rechtsextreme Politprominenz ist gekommen, wie der mecklenburg-vorpommerische NPD-Landtagsabgeordnete Tino Müller und Ragnar Dam, aus der Nord-Sektion der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ). Gegen deren Bundesvorsitzenden wird verhandelt. Sebastian Räbiger soll gemeinsam mit Friedrich T. am 4. November 2006 die Journalistin Andrea Röpke und einen Fotografen angegriffen haben. An diesem Tag veranstaltete die HDJ ihren „6. Märkischen Kulturtag“ in Blankenfelde, einem kleinen Ort in Brandenburg.

Röpke recherchiert seit 2005 zur HDJ. An diesem 4. November sind rund 200 Rechtsextreme dem Ruf gefolgt, sie treffen sich beim Gasthof „Zur Eiche?. Mit einem Fotografen wollte Röpke das Treffen dokumentieren. Mehrere Rechtsextreme erkannten die beiden Journalisten. Sogleich sollen Räbiger und T. auf Röpke und ihren Fotografen zugelaufen sein. „Wir rannten in einen Supermarkt“, berichtet die Journalistin. Zwischen den Regalen wurde sie mehrmals zu Boden gestoßen, schließlich traf sie ein Schlag ins Gesicht. Als ihr Fotograf zu Hilfe kommen wollte, sei auch er gestoßen und gewürgt worden. Von den Umstehenden habe den beiden niemand geholfen. Diese Erkenntnis schockiert die Journalistin immer wieder. Im Gerichtssaal bestätigt sich: Die vorgeladenen Zeuginnen aus dem Supermarkt wollen nichts gesehen haben, sondern haben weiter an der Kasse gestanden oder eingekauft. Irgendwann hat jemand die Polizei gerufen.

Räbigers Version ist eine andere. Geschlagen habe er die Journalistin nicht. Lediglich hinterhergelaufen sei er und habe gerufen: „Andrea, bleib stehen!“ Drinnen habe er sich nur vor ihr aufgebaut, dann sei sie plötzlich umgefallen. Ob er sie nicht doch ein klein wenig geschubst habe, fragt Richter Wolfgang Böhm. Und der Staatsanwalt verliest das ärztliche Attest: Kopf- und Oberkörperverletzungen aufgrund von „körperlicher Gewalt“. Räbiger kann sich das nicht erklären, er habe nur „die Kinder schützen wollen“ vor der Kamera.

Das hat ihm das Gericht nicht geglaubt. Nach fünf Verhandlungsstunden verkündet Richter Böhm das Urteil: Räbiger wird wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt. Damit gilt er als vorbestraft. Das Verfahren gegen den Mitangeklagten Friedrich T. wird abgetrennt. Ob er oder jemand anderes an Räbigers Seite war, muss noch geklärt werden. Weil da aber irgendjemand war, auf den der Neonazi sich verlassen konnte, wertet der Richter den Angriff als „gemeinschaftlich“.

In seiner Urteilsbegründung geht Richter Böhm auf die Bedeutung des Presserechts in dem Fall ein. Auch wenn die HDJ selber kein Interesse an Öffentlichkeit habe, müsse sich der Verein und damit auch seine Funktionäre gefallen lassen, wenn Journalisten recherchierten. Und der Staat habe die Aufgabe, diese Pressefreiheit zu verteidigen und Journalisten zu schützen. Eine „politische Motivation“ sah Böhm in Räbiger’s Angriff dennoch nicht, denn der Neonazi habe „nicht aus der Gesinnung heraus gehandelt“, so der Richter.

Diese Haltung verwundert auch, weil sich die Angriffe auf Journalisten häufen und Rechtsextreme offen gegen die angebliche „Systempresse“ hetzen. Röpke wurde in ihrer Rolle als Journalistin angegriffen, während sie ihren Beruf ausübte. „Das war doch keine persönliche Auseinandersetzung“, sagt auch Andrea Röpke nach dem Prozess. So kam es 1.Mai diesen Jahres aus einem Neonazi-Aufmarsch in Hamburg heraus von „Autonomen Nationalisten“ zu massiven Angriffen auf Journalisten. Mehrere Foto-Journalisten wurden verletzt und ihre Kameras geraubt.

Räbiger guckt währenddessen nur gelangweilt zur Seite, seine „Kameraden“ sitzen feixend auf den hinteren Bänken. Trotzdem, das Urteil dürfte ihnen wegen der Debatte um das Verbot der HDJ recht ungelegen kommen.

Etwa eine Woche nach dem Urteil ist Räbiger in Berufung gegangen.

Weiterlesen

20130513_zschaepe_a

„Harmlos, unpolitisch und unbedeutend“ Zur Wahrnehmung rechtsextremer Frauen

In einem offenen Brief hat das Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus dafür plädiert, im NSU-Prozess die Bedeutung von Frauen für die extreme Rechte nicht herunterzuspielen. Beate Zschäpes Rolle, aber auch die Beteiligung anderer Frauen müsse jenseits von Geschlechterstereotypen genau rekonstruiert werden. „Netz-gegen-Nazis.de“ dokumentiert den Brief.

Von|
Eine Plattform der