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„Angst vor heute Nacht, morgen und übermorgen“ Eine Reportage aus Wolgast

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Die Flüchtlingsunterkunft in Wolgast am 9. November (Quelle: Felix Müller)

Im Neubaugebiet Wolgast-Nord herrscht an diesem Abend eine bedrückende Stille. Der Nebel, der vom Feld am Stadtrand nebenan herüberkommt, lässt die 7°C nur noch kälter werden. Vor einem der Wohnblöcke halten sich gegen 21 Uhr etwa 20 Menschen auf. Ein sichtbar angespannter junger Mann empfängt uns mit den Worten „Bleibt bitte hier. Überall im Ort laufen Nazihorden rum. Die Polizei hat sich hier bisher nicht blicken lassen.“ Er ist einer von bisher wenigen Engagierten, die sich an diesem Abend aufgemacht haben, um die Menschen, die seit Kurzem in einem der Häuser wohnen, zu unterstützen.

„Good people?“

Es ist der Abend des 9. November 2012. Die NPD hatte geplant, einen Fackelzug quer durch die Stadt zu veranstalten. Enden sollte dieser vor der neuen Flüchtlingsunterkunft; dem Wohnhaus, vor dem wir jetzt stehen. Die Rechtsextremen wollten ihre rassistischen Parolen in direkter Gegenwart der Flüchtlinge in die Nacht brüllen. In Gegenwart jener Menschen also, die hier nun jede_n Unterstützer_in mit „Good people?“ begrüßen, jedes Mal hoffend, dass es sich tatsächlich um Unterstützer_innen handelt. Zu diesem Zeitpunkt würden zwei Dutzend gewaltbereite Neonazis reichen, um das latente Bedrohungsgefühl in manifeste Gefahr umzuwandeln. Eine Flüchtlingsunterkunft an der Ostsee, scheinbar weit entfernt von der Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Polizei: Es ist naheliegend, hier an die massiven Angriffe von Rostock-Lichtenhagen 1992 zu denken.

Das Viertel im Wolgaster Norden scheint an diesem Abend sehr weit weg vom Geschehen im Stadtzentrum zu sein. Tatsächlich beträgt die Entfernung zehn Gehminuten. Dort, in der Umgebung der Chausseestraße, sind zu diesem Zeitpunkt bis zu 1.200 Menschen auf den Beinen, um sich dem nach juristischen Streitigkeiten stark verkürzten Aufmarsch der NPD in den Weg zu stellen. Der ursprünglich angemeldete Fackelzug wurde verboten. Die historischen Analogien, die dabei bewusst hergestellt werden sollten, sind unübersehbar: Es ist die denkbar widerlichste und gewaltvollste Art des Rekurrierens auf die Pogrome gegen Jüdinnen und Juden am 9. November 1938. Nun also verhindern – für eine Stadt mit 12.000 Einwohner_innen – verhältnismäßig viele Menschen, dass der Tag ein „erfolgreicher“ für die Neonazis wird. Deren Misserfolg kann auch der anwesende, für seine Hetzreden bekannte NPD-Bundesvize und Fraktionsvorsitzende im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern Udo Pastörs nicht wegreden.

Die Bündnisse, die zum Protest gegen die menschenverachtenden Positionen der NPD-Anhänger_innen aufgerufen hatten, haben gut mobilisieren können. Und sie hatten strategisch klug agiert. Verschiedene Gegenkundgebungen waren nahe der geplanten NPD-Route angemeldet worden. Die „nachträgliche“ weitere Verkürzung derselben war so gut zu organisieren.

Ein wichtiges Zeichen also, mag man meinen: Die Demokrat_innen sind deutlich in der Überzahl an diesem Abend. Der Raum, den sich die Neonazis nehmen wollten, bekamen sie nicht. Deshalb von einem Erfolg zu sprechen fällt aber schwer, wenn man sich die Situation der Menschen in der Flüchtlingsunterkunft in Wolgast-Nord vergegenwärtigt. Von Menschen wie Bently.

Resignation in jedem Blick

Bently ist 29 Jahre alt und kommt aus Ghana. Seit Jahren lebt er in Deutschland, hat schon in mehreren Einrichtungen wie der jetzigen gewohnt. Wobei „leben“ schon eine Übertreibung ist. Früher mochte er es, Musik zu machen. Doch der emotionale Antrieb dafür sei schon lange verflogen. Es ist Resignation, die aus jedem seiner Sätze, seiner Blicke spricht. Die Perspektivlosigkeit und Ausweglosigkeit seiner Situation haben ihm jegliche Lebensfreude genommen. Dass er als Schwarzer Einwanderer noch Chancen auf ein glückliches Leben in Deutschland hat, kann er sich nicht mehr vorstellen. Dabei haben wir doch alle dasselbe Blut, sagt er.

Dass dies jedoch offensichtlich nicht alle hier so sehen, haben die Bewohner_innen des Haues in den letzten Wochen erfahren müssen. Da wurden riesige Böller auf Balkone geworfen. Der Knall war derart laut, dass viele zunächst dachten, eine Bombe wäre eingeschlagen. Da ist die offene und hasserfüllte Ablehnung nicht weniger Deutscher, die den Asylbewerber_innen immer wieder das Gefühl geben, zu stören, hier nicht herzugehören. Und da war die denkwürdige Sequenz im „Panorama“-Bericht über die Flüchtlingsunterkunft, an deren Ende drei Kinder im Hof zur Musik, die aus einem der Nachbarhäuser schallt, tanzen. Dass der Text eine Huldigung Adolf Hitlers ist, verstehen sie noch nicht.

Bently wird vorerst hier bleiben müssen. Hier, das ist für ihn seit einigen Wochen nun Wolgast. Das Wohnhaus, vor dem wir stehen, ist erst seit zwei Monaten eine Unterkunft für Asylbewerber_innen. 180 Menschen aus dem Irak und der Türkei, aus Afghanistan, Syrien, Russland und Ghana leben hier. Es werden in den nächsten Wochen 280 werden.

Kein sicheres Leben mit Perspektive

Vor heute Nacht habe er Angst, vor morgen und übermorgen, sagt Bently. Vor Angriffen durch Nazis, die ihm auflauern. Vor Anfeindungen durch Menschen, von denen manche auch in seiner neuen Nachbarschaft leben. Vor den Blicken und Ausgrenzungen. Vor den Diskriminierungen, denen er als Asylbewerber am Arbeitsmarkt ausgesetzt ist. Die Angst, kein sicheres Leben mit Perspektive leben zu können. Kurz: Angst vor den Auswirkungen des Rassismus, an den er sich in Deutschland gewöhnt hat.

Szene aus dem Panorama-Beitrag "Hetze gegen Flüchtlingsheim" vom 18.9. (Quelle: ndr.de)

An diesem Abend wird die Sicherheit der Bewohner_innen des Hauses vor allem durch Unterstützer_innen gewährleistet. Die Zufahrt dorthin ist weiterhin problemlos möglich. Bis 22 Uhr sind ca. 50 Menschen gekommen, um sich mit den Hausbewohner_innen zu solidarisieren. Hier ereignet sich auch eine schöne Szene: Einige der Flüchtlinge haben zuvor in der Unterkunft Nostdorf-Horst nahe Hamburg gelebt. Von dort sind auch heute Menschen angereist. Sie erkennen sich wieder, waren schon gemeinsam auf Spielen des FC St.Pauli. Unterstützung für die Flüchtlinge geht vor allem von einigen ehrenamtlich Engagierten aus.

Die gibt es auch in Wolgast. Die Frauen, die sich nachmittags um die im Haus lebenden Kindern kümmern, stellen einen Draht zum Leben in der Stadt her. Ein Draht, der von politischer Seite massiv vernachlässigt wird. So waren es junge Frauen aus Greifswald gewesen, die den Bewohner_innen des Hauses heute Nachmittag erzählt hatten, dass Neonazis heute Abend in der Stadt demonstrieren. Den Flüchtlingen war das bis dahin unbekannt. Die Unsicherheit über das, was an diesem Tag vor sich geht, ist förmlich zu greifen. Eine Unsicherheit, die auch durch das Agieren der Polizei tendenziell verstärkt wird.

Unruhe durch die Polizei

Diese ist an diesem Abend mit fast 500 Beamt_innen im Einsatz in der Stadt. Erst gegen 22.45 Uhr taucht sie erstmals vor der Flüchtlingsunterkunft auf, weil der Leiter des Flüchtlingswohnheims sich durch unsere Präsenz bedroht fühlt und die Polizei gerufen hat, was wir aber erst später erfahren. Die Art und Weise ihres Erscheinens sorgt für Unruhe, nicht für ein Gefühl der Sicherheit: Behelmte Polizist_innen strömen aus den Einsatzwagen und bauen sich in einer Kette ca. 30 Meter entfernt vor dem Haus auf. Auf die Frage, warum die Polizei jetzt da sei, ob vielleicht Neonazis auf dem Weg hierher seien, wird harsch erwidert, wir sollen doch „entspannt weiterfeiern“. Auch der Leiter der angereisten Polizei aus Schwerin reagiert genervt, dass er wegen der Leute vor den Flüchtlingsunterkünften noch nicht wieder auf dem Heimweg sein kann. Als er daran erinnert wird, dass er wegen der Neonazis in Wolgast ist und nicht wegen der Leute die auf die Flüchtlinge aufpassen beharrt er auf seiner politischen Neutralität. Die Praxis, die sich daraus ergibt, ist jedenfalls nicht gerade geeignet, um den Flüchtlingen ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Auch die Unterstützer_innen fühlen sich zu Recht geprellt. Viele von ihnen wurden schon bei der Einfahrt nach Wolgast unverhältnismäßig lang durchsucht. Und nun, im Wolgaster Norden, wo die Polizei bis dato nur durch Abwesenheit auffiel, wird plötzlich der Eindruck vermittelt, ihre Sorge seien übertrieben. Dies sind sie aber keineswegs, wenn man den Flüchtlingen zuhört. Zugehört wurde offensichtlich bisher von offizieller Seite viel zu wenig.

Dass sie die systematische Abwertung und Verfolgung konstruierter Gruppen – also deren „Rassifizierung“ – entschieden ablehnen, haben die vielen Menschen, die sich der NPD heute in den Weg gestellt haben, deutlich gemacht. Doch in den nächsten Tagen und Wochen, wenn die kleine Ostseestadt nicht mehr so sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen wird wie in heute Abend, werden Bently und die anderen Flüchtlinge immer noch hier sein. Sie werden weiterhin Angst haben. Vor dem Alltag, wenn nur noch wenige hinschauen.

Das Gefühl, Menschen allein zu lassen

„It’s very dangerous to live in Wolgast. There are very dangerous people here“, sagt Bently. Und fragt mehrfach, was morgen, was übermorgen sein wird. Ihm ist klar, dass wir darauf keine Antwort haben. Gegen 1 Uhr nachts sind nahezu alle Unterstützer_innen verschwunden – die Polizei hat letztlich zugesichert, Streife zu fahren. Immerhin etwas Sicherheit, vorerst für eine Nacht. Einschneidend bleibt aber das Gefühl bei der Abfahrt, jetzt gerade tatsächlich nicht mehr machen zu können, nicht permanent vor Ort sein zu können. Das Gefühl, Menschen allein zu lassen.

Es ist überaus wichtig, neonazistischen Umtrieben mit aller Entschlossenheit entgegenzutreten, so wie es heute in Wolgast passiert ist. Fürs Erste sind damit die richtigen Zeichen gesetzt. Doch die Bedrohung für Menschen wie Bently bleibt. Nicht nur, weil die NPD für jeden verbleibenden Freitag dieses Jahres Kundgebungen in Wolgast angekündigt hat. Sondern auch, weil sich Rassismus eben nicht in direkter Anfeindung oder physischer Gewalt erschöpft. Um ihn jedoch in seiner ganzen Tragweite bekämpfen zu können, muss man den Betroffenen zuhören, sich wirklich mit ihren Sorgen und Situationen auseinandersetzen, um daraus gemeinsam entschlossenes Handeln abzuleiten.

„Was würdest Du machen, wenn Du in meiner Situation wärst?“ fragt Bently.

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