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Anklage gegen Rechtsterroristen Nur die Unfähigkeit des Halle-Attentäters verhinderte ein größeres Massaker

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Gedenken an der Tür der Synagoge in Halle am 18.10.2019 (Quelle: picture alliance/Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa)

Gegen den Attentäter von Halle, Stephan B., hat der Generalbundesanwalt am 21. April 2020 Anklage erhoben. Allerdings ist wegen der Einschränkungen, die die Coronavirus-Pandemie mit sich bringt, noch unklar, wann der Prozess am Landgericht in Magdeburg beginnen kann.

Mit der Anklageschrift, die der Generalbundesanwalt als Pressemitteilung veröffentlichte, ist zumindest klar, dass der rechtsextreme Attentäter Stephan B. nicht nur wegen der zwei vollendeten Morde am 09. Oktober 2019 angeklagt wird, sondern auch wegen 68-fachem versuchten Mord. Dazu kommen bei zwei der Morderversuche u.a. eine gefährliche Körperverletzung und eine räuberische Erpressung mit Todesfolge sowie eine weitere Anklage wegen schwerer räuberischer Erpressung, Volksverhetzung und fahrlässiger Körperverletzung. Explizit benennt die Anklage auch die Motivation des Attentäters: „Stephan B. plante aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens. Zu diesem Zweck rüstete er sich mit insgesamt acht Schusswaffen, mehreren Sprengsätzen, einem Helm und einer Schutzweste aus und fuhr am 9. Oktober 2019 kurz vor 12:00 Uhr zur Synagoge in der Humboldtstraße in Halle (Saale). Der Angeschuldigte wollte sich zu dem Gotteshaus Zutritt verschaffen und möglichst viele der dort Anwesenden töten. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich in der Synagoge anlässlich der Feierlichkeiten des höchsten jüdischen Feiertags Jom Kippur 52 Gläubige auf.“ Dabei streamte der Täter große Teile der Tat live im Internet – mit dem Ziel, Öffentlichkeit und Nachahmer für seine Mordtaten zu gewinnen.

Attentatsversuche, ein Mord und zwei versuchte Morde an der Synagoge

Dieser Livestream dokumentieren größtenteils, was entsprechend auch die Anklageschrift beschreibt: Wie B. unter Holocaustleugnung und NS-Verherrlichung versucht, die verschlossene Eingangstür der Synagoge in Halle zu öffnen und daran trotz Sprenggranaten und Waffen scheitert. Wie er daraufhin die 40-jährige Jana L. mit einer vollautomatischen Waffe rücklings erschießt, die als Passantin vorbeikommt und ihn anspricht. Erneut versucht B., die Synagogentür zu sprengen. Als dies scheitert, feuert er erneut auf die bereits tote Jana L. Brutalität und Unvermögen treten deutlich zutage.

Die Anklageschrift beschreibt, wie B. daraufhin mit der Maschinenpistole auf eine weitere Passantin schießt. Sie ist allerdings weiter weg und kann fliehen – auch, weil B.‘s Waffe eine Ladehemmung hatte. Als B. auch über den Hinterhof nicht auf das Gelände der jüdischen Gemeinde gelangen kann, will er auf den Fahrer eines Kleinlieferwagens schießen, der ihn ebenfalls angesprochen hat. Auch dieser Mann überlebt nur, weil B.s Waffe nicht funktioniert – und der Fahrer sich in Sicherheit bringt, bevor B. stattdessen zu einer anderen Waffe, einer Schrotflinte, gegriffen hat. Er konzentrierte sich hiernach wiederum auf die jüdische Gemeinde, schoss auf die Tür, trat gegen den Türgriff, warf fünf selbst hergestellte Molotowcocktails – aber gelangte so nicht aus Gelände.

Ein Mord und sieben versuchte Morde am und im Döner-Imbiss

„Frustriert über diesen weiteren Misserfolg fasste der Angeschuldigte den Entschluss, den Ort des Geschehens zu verlassen und Menschen mit Migrationshintergrund zu töten. Nach einer kurzen Fahrt durch die Stadt hielt er vor einem Döner-Imbiss an, den er für ein geeignetes Anschlagsziel hielt.“, heißt es in der Anklageschrift.

B.s Unfähigkeit verdanken dort weitere Menschen ihr Leben. Der Täter versucht, den Imbissbesitzer und seine vier Gäste mit einer Sprenggranate zu töten – verfehlt aber die Eingangstür. Der Sprengsatz explodiert ohne tödliche Wirkung auf dem Bürgersteig. Dann läuft B. in den Laden, schießt im Eingangsbereich zweimal auf einen 20-Jährigen und verfehlt ihn – es ist sein späteres zweites Opfer, Kevin S.. Der flieht in den Laden, versteckt sich hinter zwei Kühlschränken. Ein weiterer Gast versteckt sich in den Toilettenräumen, ihn verfolgt B. nicht. Stattdessen versucht er, einen weiteren Gast im Gastraum zu erschießen, doch die Ladehemmung der Maschinenpistole gibt auch diesem potenziellen Opfer genug Zeit, um zu fliehen. Ebenso fliehen die übrigen Anwesenden – außer Kevin S.. Stephan B. schießt nun mit einer Einzelladerpistole auf Kevin S., verletzt ihn damit, aber tötet ihn nicht. B. läuft dann zu seinem Auto, holt eine Schrotflinte, schießt unterwegs noch auf drei weitere Passanten, ohne diese zu treffen. Danach steigt B. in sein Auto, fährt auf der Straße hin und her – und kehrt dann in den Döner-Imbiss zurück, um den bereits angeschossenen Kevin S. endgültig zu ermorden: Dazu benötigte er drei weitere Schüsse. Die Qualen für das Opfer sind kaum vorstellbar.

Die Flucht – Schüsse auf Polizisten, zwei weitere versuchte Morde, ein Frontal-Crash mit einem LKW

Stephan B. flieht daraufhin in seinem Auto. Allerdings versperren ihm zwei Polizeifahrzeuge mit fünf Polizisten den Weg. B. feuert viermal auf die Beamt*innen, ohne sie jedoch zu treffen. Ein Polizist schießt auf B., trifft ihn am Hals. B. setzt sich wieder in sein Auto und flieht über die Gegenfahrbahn. Er streift auf der Fluchtfahrt mit seinem Außenspiegel einen Fußgänger, der dadurch verletzt wurde. In Landsberg-Wiederdorf will sich Stephan B. dann ein neues Fluchtfahrzeug besorgen. Er bedroht einen Anwohner mit seiner Pistole, fordert dessen Autoschlüssel. Der Mann weigert sich – da schießt B. ihm in den Nacken und seiner Lebensgefährtin in den Oberschenkel. Beide überleben, aber B. hat den Tod klar in Kauf genommen. Die Schlüssel bekommt B. trotzdem nicht, er flieht zu Fuß weiter. In einer KfZ-Reparaturwerkstatt versucht er es erneut, verlangt, mit der Pistole in der Hand, einen Wagen. Hier hat er Erfolg, er gelangt an ein Taxi. Seine Flucht endet, als er um 13.40 Uhr auf der Bundesstraße 91 frontal mit einem Lastwagen zusammen stößt. Stephan B. wird festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Wie es weitergeht

In der Anklageschrift ist also deutlich zu erkennen, wie skrupellos, aber auch wie wenig koordiniert der Täter seinen rechtsextrem motivierten Terrorplan verfolgte. Seine Verrohung Menschenverachtung, das zeigt vor allem die Flucht, war außerdem offenkundig groß genug, auch Personen zu bedrohen und auf sie zu schießen, die nicht einmal seinen Feindbildern entsprachen. Mit welchem Ziel? Das wird der Prozess ergeben müssen.

Ende März hatten NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung berichtet, dass Stephan B. inzwischen ein ausführliches Geständnis abgelegt habe. Darin bereute er die Tat – aber nur deswegen, weil er zu wenige Menschen getötet habe und auch noch die falschen. Seine Opfer waren keine Juden, keine Migranten. Als er ihre Namen hörte, Jana Lange und Kevin Schwarze, zuckte er zusammen. So notierten es die BKA-Beamten. Er hatte es nach eigenen Aussagen in erster Linie auf Juden abgesehen und war danach auf Menschen in dem Dönerladen ausgewichen, die er abschätzig „Nahöstler“ nannte. Stephan B., so stellten die Ermittler fest, lebte nach einer schweren Operation sehr zurückgezogen im Haus seiner Eltern und pflegte seine Kontakte zur Welt praktisch ausschließlich über das Internet. Hier tauschte er sich mit Gleichgesinnten, die er „unzufriedene weiße Männer“ nennt, auf Imageboards aus, und fand vermeintlich Schuldige für seine missliche Lebenssituation: „Die Juden“, Muslime, Feminismus – und entwickelte so ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild. Er erzählt den Ermittler*innen, der habe 2015 zunächst überlegt, Muslime zu töten, denn die Ankunft vieler Geflüchteter 2015 sei für ihn eine „Zäsur“ gewesen. Er habe sich entschieden, sich zu bewaffnen, wenn keiner etwas tue, dann müsse er es tun. Schließlich habe er sich aber für einen Anschlag gegen Juden entschieden, diese seien schließlich für Leute wie ihn das größte Problem.

Im Internet findet Stephan B. auch die Anleitungen, Waffen selbst zu bauen – Waffen, die er dann bis zur Tat im Bettkasten in seinem Zimmer versteckt. Er speicherte auf seinem Computer Videos, die brutalste Ermordungen von Menschen zeigen – etwa Hinrichtungen durch Terroristen des „Islamischen Staates“.

Stephan B. zielte mit seiner Tat und ihrer Live-Übertragung auf die rechtsextreme Akzelerationist*innen-Community online, wollte dort auch als „Heiliger“ verehrt werden wie rechtsextreme Attentäter vor ihm, die als „Saints“ bezeichnet werden. Schon während der Tat entschuldigte sich Stephan B. bei seinen rechtsextremen Online-Bekannten: Er habe zu wenige Tote erzeugt. Das sieht die rechtsterroristische Gemeinschaft online genauso:  Stephan B. ist dort kein „Saint“ geworden. Zwar werden Ansätze wie die selbstgebaute Waffe mit 3D-Drucker-Teilen diskutiert, doch durch die dilettantische Ausführung wurde nach seiner Terrortat etwas anderes zum Meme: Die Tür der Synagoge, die ein größeres Blutbad verhindert hat.

Meme aus einer an Rechtsterrorismus interessierten Telegram-Gruppe.

 

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