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Annalena Baerbock Anfeindungen und Hetze von rechts

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Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), Kanzlerkandidatin, kommt zu einer Kundgebung des DGB auf den Bassinplatz. (Quelle: picture alliance/dpa | Jörg Carstensen)

Baerbock ist eine junge, ambitionierte Frau, Vorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Sie und ihre Partei liegen derzeit – je nach Institut – bei den Umfragen vor oder zumindest mit der Union (CDU/CSU) gleich auf. Nachdem sich die Partei entschied, Baerbock statt Habeck ins Rennen um die Kanzler*innenschaft zu schicken, haben frauenfeindliche und hetzerische Reaktionen nicht lange auf sich warten lassen.

AfD: Antisemitische Legenden im neuen Gewand

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Sichert aus Nürnberg ist sich sicher, hinter Baerbock stehe eigentlich George Soros, der seine „Umweltdiktatur“ durchsetzen möchte. George Soros ist als Sohn jüdischer Eltern in Ungarn geboren und lebt nun in den USA. Er ist Gründer der Open Society Foundations (OSF), die Initiativen und Organisationen, die sich für Demokratie und eine offene Zivilgesellschaft einsetzen, finanziell unterstützen. Soros und sein Engagement werden immer wieder zur Zielscheibe und für die Verbreitung von antisemitischen Verschwörungserzählungen instrumentalisiert. 

Für Sichert besteht kein Zweifel daran, dass Baerbock eine „Marionette“ von Soros ist. Eine Beweis dafür ist für ihn, dass die Parteivorsitzende Mitglied im „Young Global Leaders“-Netzwerk des Weltwirtschaftsforums (World Economic Forum) ist. Es soll (angehende) Führungspersonen unterstützen, die sich für eine starke Zivilgesellschaft, übergreifende Kooperationen und den Schutz der Umwelt einsetzen. Und hier kommt für die Verschwörungserzähler*innen auch schon George Soros ins Spiel, schließlich hat er schon mehrere Reden auf Treffen des WEF gehalten. 

Die Verbindung zu Soros soll auch ein Fotos beweisen, auf dem beide gemeinsam zu sehen sind. Quelle hierfür ist das Profil von Annalena Baerbock auf Twitter. Soros und Baerbock nahmen 2019 an der Münchner Sicherheitskonferenz teil. 

Martin Sichert untermauert seine Statements auf Facebook & Co. mit Collagen. Dementsprechend hat er auch für diese Verbindung eine gebastelt, um zu demonstrieren, dass die beiden unter einer Decke stecken: „Wer Baerbock wählt, wählt Soros“. 

Anhand eines von Baerbock selbst hochgeladenen Instagramfotos, will der Bundestagsabgeordnete will den geheimen Plan über die Schaffung einer „weltweiten Öko-Diktatur“ aufgedeckt haben. Die Geschichte von der jüdisch gesteuerten „Weltverschwörung” ist nicht neu. Es handelt sich um antisemitische Narrative, die seit Jahrhunderten bestehen und nun reproduziert werden. Zuletzt vom abgetauchten, per Haftbefehl gesuchten Vegankoch Attila Hildmann, der sich in kaum einer Mitteilung auf Telegram nicht antisemitisch äußert.

Das Weltwirtschaftsforum ist auch in der Erzählung des „Great Reset“ das zentrale Feindbild. Demnach berät sich hier eine reiche Elite, geheimnisvoll und intransparent über die Zukunft der weltweiten Politik und Wirtschaft. Nationale Politiker*innen seien lediglich die Marionetten, die ihre Ideen und Pläne letztendlich umsetzen. Basis ist die antisemitische Legende um die angeblich reichen und mächtigen Juden und Jüdinnen, die im Hintergrund die Fäden in der Hand halten. 

Trotz mehr Sensibilität und angeblich gestiegenem Bewusstsein für Antisemitismus, werden antisemitische Erzählungen immer wieder reproduziert und auf subtile Art an die jeweiligen aktuellen Ereignisse angepasst. Verbreitet wird die Erzählung des „Great Reset” von Medien wie Epoch Times, dem von Jürgen Elsässer geführten COMPACT-Magazin oder PI-News, letztere werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Artikel aus diesen rechtsalternativen Medien werden wiederum in unzähligen Telegram-Gruppen geteilt.

Woher kommt der Hass auf Baerbock?

Für diese vielen Anfeindungen gegenüber Annalena Baerbock gibt es mehrere Erklärungen. Zwei zentrale Aspekte sind ihr Geschlecht und ihre Parteizugehörigkeit. Sie ist eine junge, einflussreiche Frau, Parteivorsitzende und steht für progressive Politik. Dieser Tatsache begegnen ihre Gegner*innen zum einen mit Misogynie: Sie verbreiten Nacktbilder eines russischen Models und verkaufen sie als Jugensünde Baerbocks, sie hinterlassen frauenfeindliche Kommentare auf ihren Social-Media-Kanälen oder drohen mit Gewalt. Die Parteisprecherin Nicola Kabel teilte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit, die Partei hätte in den letzten zwei Wochen 15 Meldungen im Rahmen des Netzwerksdurchsetzungsgesetz (NetzDG) getätigt. 

Eine starke Frau, die auch noch zweifache Mutter ist, passt nicht in ein Weltbild „klassischer Geschlechterrollen”, wo Frauen doch lieber für Erziehung, Haushalt und die Bespaßung der Männer zuständig sein sollen. Aber sicher nicht für verantwortungsvolle Positionen in der Politik, die mit Macht verknüpft sind. Martin Sellner nannte in einem Video-Statement, die Ernennung Baerbocks zur Kanzlerinnenkandidatin statt Robert Habecks müsse für diesen einen „unheilbaren Mackel seiner Männlichkeit” darstellen. 

Ohnehin sind die Grünen seit geraumer Zeit Lieblingsfeinde rechtspopulistischer und rechtsextremer Akteur*innen in der Öffentlichkeit. Vor allem ihre Ziele wie Klima- und Umweltschutz, weniger Fleischkonsum, die Förderung einer starken demokratischen Gesellschaft verursachen bei ihren Gegner*innen Angst. Sie fürchten sich davor, ihnen könnten wichtige deutsche Kulturgüter abhanden kommen, wie Autofahren, Fliegen und Fleisch essen. Martin Sellner attestiert den Grünen aber auch einen „totalen Selbsthass in der Identitätspolitik” und „Ethno-Masochismus” sowie eine „Turbo-Ersetzungsmigration”. Seiner Meinung nach erzielten die Grünen mit ihrer linken Politik mittlerweile aber nur deswegen so gute Ergebnisse, weil sie von den angeblich linken Medien und ihrer „Meinungsklimaanlage” geschaffen wurden. 

Auf dem rechtskonservativen Portal „Tichy’s Einblick” wird die Partei mit der SED oder China verglichen, Klimaziele und Umweltschutz als „Kult” und „neue Staatsreligion” bezeichnet und erneut auf George Soros und seine geplante „Ökodiktatur” verwiesen. Auch der bereits oben erwähnte AfD-Politiker Sichert sieht in den Grünen eine Bedrohung für Deutschland und schreckt nicht vor NS-Verharmlosungen zurück, wenn er das Bild des Reichsadlers postet, bei dem das Hakenkreuz durch eine Sonnenblume ersetzt ist.

Die Erfolge der Grünen an sich, aber vor allem der Erfolg einer jungen Frau scheinen in konservativen und rechtsextremen Kreisen eine Welle an Empörung und Unverständnis auszulösen. Ihre Wut lassen sie in so frauenfeindlichen und hasserfüllten Kommentaren und Androhungen raus, dass Annalena Baerbock mittlerweile Personenschutz braucht.

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