Geschändete Gräber, Schmierereien an Synagogen und Hetze auf Schulhöfen: Die Zahl antisemitischer und antiisraelischer Vorfälle ist im Vergleich zum Vorjahr wieder leicht gestiegen. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf schriftliche Fragen des Grünen Bundestagsabgeordneten Volker Beck. Danach wurden bereits im ersten Halbjahr 2017 insgesamt 681 Delikte erfasst. Das sind 27 Taten und vier Prozent mehr als im Vergleichszeitraum im Vorjahr. 339 Tatverdächtige konnten ermittelt werden. 2016 waren es bei 654 Straftaten noch 400 ermittelte Tatverdächtige. Einen leichten Anstieg verzeichneten die Fälle von Gewaltdelikten (von 14 auf 15) und Volksverhetzung (von 425 auf 434).
Volker Beck weist darauf hin, dass diese Straftaten nur die Spitze des Eisbergs darstellen. Denn hier sind lediglich die Fälle erfasst, bei denen Betroffene den Gang zur Polizei gewagt haben. „Die Dunkelziffer – so steht es zu befürchten – ist wohl deutlich höher“, so Beck.
Die Bundesregierung geht in 93 Prozent der Fälle von einem rechten Tatmotiv aus
Nach Angaben der Bundesregierung wurden 93 Prozent (632 von 681 Delikten) von Rechtsextremen begangen. Nur bei 23 Fällen wird ein religiöser Hintergrund oder “politisch motivierte Kriminalität, ausländische Ideologie” unterstellt. Also Extremismus, der durch Themen ausserhalb Deutschlands motiviert ist, beispielsweise der Israel/Palästina-Konflikt. 25 Delikte lassen sich nicht zuordnen, in nur einem Fall wird ein linksextremes Motiv angenommen.
Problem der Motivklärung
Zweifel an der Einordnung der Bundesregierung äußert Benjamin Steinitz, Leiter der „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“ („RIAS“), gegenüber „Welt Online“. Unter Bezugnahme auf den Bericht des „Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“ vom April 2017, weist er auf Probleme der Erfassungspraxis antisemitisch motivierter Straftaten hin.
Antisemitische Straftaten werden grundsätzlich immer dann als rechts motivierte Taten angesehen, wenn keine weiteren Spezifika erkennbar sind. So taucht der Schriftzug „Juden raus“ in der Statistik als politisch rechts motivierte Straftat auf, obwohl dieser Schriftzug auch bei antisemitischen Muslim_innen beliebt ist. „Damit entsteht möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild über die Tatmotivation und den Täterkreis“, heißt es in dem Expertenbericht. Der islamische Anteil an antisemitischen Straftaten wird in den Polizeistatistiken offenbar nicht richtig erfasst und ist damit unterbewertet.
Doch dieser Punkt sollte in keinem Fall das Problem des Antisemitismus unter Deutschen herunterspielen. Denn, 312 der 339 Tatverdächtigen waren Deutsche.
Laut der FES-Mittestudie von 2016 liegt der antiisraelische Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft bei 40 Prozent. Israelbezogener Antisemitismus vertritt etwa die Auffassung, „bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat.“ 25 Prozent der Deutschen stimmen Aussagen des sekundären Antisemitismus zu. Hierbei handelt es sich um Schuldabwehr-Antisemitismus oder Erinnerungsabwehr. Dazu wird oft Pauschalkritik am Staat Israel in Form von NS-Vergleichen geübt, und als Antizionismus ausgegeben.
Wir sehen also, dass Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und nicht etwa nur eines von Muslimen, Migranten oder Geflüchteten. Volker Beck fordert daher: „Wir müssen alle Formen des Antisemitismus gleichermaßen durch Aufklärung, Kritik und Verurteilung bekämpfen und nicht immer nur den der Anderen.“
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