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Antisemitische Vorurteile gestern und heute

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(Quelle: flickr/cc-Lizenz/mkorsakov)

Julius Hermann

Antisemitismus ist ein häufig verwendeter Begriff, doch was ist Antisemitismus vor allem heute und in Bezug auf potenzielle „Trägermilieus“? Genau diese Frage bildete den Auftakt für die Podiumsdiskussion „Antisemitische Vorurteile gestern und heute, im Kontext von Nachbarschaft“, die am 15. August im Berliner Nachbarschaftshaus Urbanstraße stattfand. An der Debatte nahmen Sarah Hiron vom Jüdischen Museum Berlin, Aycan Demirel von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, Jan Riebe von der Amadeu Antonio Stiftung sowie Historiker Alexander Hasgall teil.

Hasgall stellte auch die Eingangsfrage, die die Diskussion weit öffnete: Was also ist Antisemitismus heute? Für Hasgall ist dies nicht pauschal zu beantworten: Indikatoren, so der Schweizer Historiker, seien tiefe geschichtliche wie auch religiöse Verwurzelungen, aber auch die Idee des Fremden – obwohl das Judentum immer Teil der europäischen Geschichte gewesen sei. Ferner könne Antijudaismus in drei Teilbereiche kategorisiert werden. Erstens die Kritik an der Moderne: Bekannt aus der Rhetorik der Nationalsozialisten, die sowohl von der „Zinslobby“ der jüdischen Kapitalisten schwadronierten als auch gegen den Kommunismus als jüdische Idee zur Welteroberung hetzten, und heute bei den Neonazis in ähnlicher Form wieder zu finden ist. Zweitens herrsche die Vorstellung eines sehr archaischen Bilds des Judentums vor – eine Tatsache, die angesichts des ersten Punktes paradox wirkt. Dritter Ansatz von Antisemitismus sei die Dämonisierung des israelischen Staates, indem oft Bilder brutaler israelischer Soldaten gezeigt würden und der Nahost-Konflikt mit dem Holocaust gleichgesetzt würde.

Was ist israelbezogener Antisemitismus?

Auf die Frage, wie sich der Antisemitismus seit 1945 verändert habe, antwortete Jan Riebe, dass sich besonders bei der Linken eine starke Wandlung vollzogen hätte. Den Wendepunkt markierte, so Riebe, der Sechs-Tage-Krieg, als sich Israel gegen die arabischen Nachbarn behauptete. Dass ein kleines Land diesen Krieg gewann, habe nicht zur antiimperialistischen Weltsicht vieler Linker gepasst.

Das Problem, was denn nun israelbezogener Antisemitismus sei, lasse sich nicht eindeutig lösen, betonte Riebe. Die bekanntesten Kriterien zur Unterscheidung zwischen Kritik und israelbezogenem Antisemitismus habe der israelische Autor Natan Sharansky im 3D-Test entwickelt: Israelbezogener Antisemitismus liege dann vor, wenn sich antisemitische Ressentiments auf den Staat Israel bezögen. Im 3D-Test gehe es entsprechend darum, Kriterien zur Erkennung von Judenhass, die aus dem klassischen Antisemitismus bekannt seien, auf den israelbezogenen Antisemitismus anzuwenden – anhand der 3Ds Dämonisierung, Doppelstandards und Delegitimierung.

Dieser 3D-Test funktioniere aber nicht wie ein Schwangerschaftstest, so Riebe, wo innerhalb kurzer Zeit sehr zuverlässig gesagt werden könne: schwanger oder nicht schwanger bzw. antisemitisch oder nicht antisemitisch. Stattdessen riet Riebe, im Einzelfall nachzufragen, um zu klären, ob es sich um israelbezogenen Antisemitismus handele.

Aycan Demirel von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus ging auf das Vorurteil ein, Antisemitismus sei stärker unter Muslimen verbreitet als bei Herkunftsdeutschen. Dies könne nicht nachgewiesen werden, so Demirel. Signifikante Unterschiede gebe es oft nur bei den Themenschwerpunkten. Deshalb sei die Suche an dieser Stelle nach der Schuldfrage lediglich der Versuch, die eigene Verantwortung von sich zu schieben.

Perspektivwechsel als Ziel

Nach einer belebten und teilweise persönlichen Debatte unter den Zuhörerinnen und Zuhörern wurde der zweite Teil des Abends eingeleitet. Der Fokus sollte dabei auf die mögliche und aktuelle Bildungsarbeit gelegt werden. Laut Sarah Hiron sei der Ansatz wichtig, um zu sehen, wie es in der Mehrheitsgesellschaft aussehe, und dabei die Vergangenheit in die Gegenwart zu transportieren. Das Jüdische Museum habe deshalb ganz bewusst seine Ausstellung unter den provozierenden Titel „Die ganze Wahrheit“ gestellt. Fragen würden dort zurückgespielt mit dem Hintergedanken, dass sich jeder selbst Gedanken machen sollte und schließlich ein Perspektivenwechsel stattfinde.

Abschließend stellte Jan Riebe den aus seiner Sicht wichtigen, selbstreflexiven Ansatz in den Fokus. Projekte, die bereits von der Amadeu Antonio Stiftung initiiert wurden, hätten eine vertrauensvolle Atmosphäre für die Beteiligten geschaffen, mit den Themen umzugehen. Knackpunk, so Riebes Erfahrung sei, dass Antisemitismus häufig sehr viel abstrakter sei als etwa Rassismus. Die Problematik solcher Projekte bestehe zudem darin, dass oft nicht die erreicht würden, die man erreichen müsste.

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