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Antisemitismus im neuen Gewand Heavenly Jerusalem, Khasarische Mafia und Neu-Israel

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Die neue Verschwörungserzählung "Heavenly Jerusalem" behauptet, Juden*Jüdinnen planten, die Ostukraine zu besiedeln. (Quelle: Screenshot von Telegram)

Dabei wird auf Telegram immer wieder eine Karte der Ukraine gepostet, auf der verschiedene Städte wie Dnipro, Mykolaiv oder Zaporizhzhya unter den Namen „New Jerusalem”, „Solomons’k” oder „Moses City” eingezeichnet sind. Auffallend sind dabei nicht nur die stereotypischen Städtenamen, sondern auch das Wappen der Fantasieregion: ein Davidstern mit ukrainischem Wappen. Der Plan soll von einem ukrainischen Politiker namens Igor Vitalievich Berkut, manchmal auch als Harry Berkut zu finden, in Auftrag gegeben worden sein.

Entsprechend wäre Russlands Einmarsch in der Ukraine der perfekte Vorwand, um ethnische Ukrainer*innen durch jüdische Siedler*innen auszutauschen. Was wie ein wirrer Fiebertraum klingt, ist für viele Verschwörungsideolog*innen im Netz leider längst gesetzte Realität. Auch Rechtsextreme wie Nikolai Nerling, alias „Volkslehrer”, greifen das Narrativ auf, um ihre menschenfeindlichen Ideologien zu bestärken.

Der rechtsextreme Holocaustleugner Nikolai Nerling verbreitet in einem Video die Verschwörungserzählung über „Heavenly Jerusalem“ (Screenshot von Bitchute)

Der Ukraine-Krieg als Schauplatz für antisemitische Hetze

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar 2022 wird der digitale Raum regelrecht von Hass, Desinformation und Verschwörungserzählungen bombardiert. Antidemokratische Telegram-Akteur*innen streuen täglich unterschiedlichste Verschwörungserzählungen über die Ukraine, um damit die Legitimität des Landes als demokratischer Staat auszuhöhlen.

Doch vor allem geopolitische Falschinformationen erweisen sich als besonders hartnäckig und faktenresistent, da sie häufig mit einer Mischung aus Teilwahrheiten, aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten und falschen historischen Belegen arbeiten.

So ähnlich wird auch mit der Eingangs erwähnten antisemitischen Chiffre über die Khasaren-Mafia verfahren. Bei den „Khasaren“ oder „Chasaren” handelt es sich um ein nomadisches Turkvolk, das im Mittelalter ein Großreich in Osteuropa beherrschte. Die Verknüpfung zwischen Khasaren und Judentum wird zuerst 1977 von Arthur Koestler in seinem Buch „Der dreizehnte Stamm” geschaffen. So stellt Koestler die These auf, dass das östliche Judentum „eher chasarisch-türkischen als semitischen Ursprungs” sei. Stärker noch vertrat er die Idee, dass die Chasaren später zum Judentum konvertiert seien. Die Jüdische Allgemeine schreibt auch darüber, dass der Mangel an zuverlässigen historischen Quellen zur vermeintlichen Chasaren-Konversion nahelegt, dass es sich bei Koestlers Theorien mehr um eine Legende handele.

Von „Fake Juden” zu khazarischen Siedlungspolitiken

Koestler öffnet mit seinen Thesen das Tor zu einer neuen Form des Antisemitismus, der die Legitimität und Abstammung östlicher Jüdinnen*Juden bestreitet. Denn mittlerweile hat sich der Diskurs über die „Fake Juden Khasaren” verselbständigt und wurde durch neue rechtsextreme, verschwörungsideologische und antisemitische Narrative „angereichert”.

Xavier Naidoo teilte im März 2021, vor seinem angeblichen Ausstieg aus der Verschwörungsszene und fast ein Jahr vor der Eskalation des Russland-Ukraine-Kriegs Verschwörungserzählungen auf seinem Telegramkanal, in denen es heißt, dass der Begriff „Jude im 17.Jh. von den Khasaren erfunden wurde, um sich den Anstrich zu geben, von den alten Stämmen in Palästina abzustammen”. Weiter noch wäre der Begriff „antisemitisch” der „Witz des Jahrtausends”, da es überhaupt keine „echten” Juden und Jüd*innen gäbe.

Doch damit ist er nicht allein, auch der Volkslehrer fragt sich im März 2022 in seinem „Heavenly Jerusalem – Israel in die Ukraine”-Video auf Bitchute, ob nicht doch die Khasaren eine neue Siedlungspolitik in der Ukraine verfolgen würden.

Nikolai Nerling, der sich in der Vergangenheit immer wieder antisemitisch geäußert hat, spekuliert über eine geheime Verschwörung, die möglicherweise darauf abzielt „fünf Millionen Juden aus Israel in die Ukraine umzusiedeln”. Außerdem behauptet Nerling, dass man mittlerweile beweisen könne, dass Jüdinnen*Juden eigentlich keine „semitische” Abstammung hätten, nachdem er Koestler einen Exkurs in seinem Video widmet. Vielmehr sieht Nerling hinter dem erfundenen „Heavenly Jerusalem Project” die geheime Intention der khasarisch-ukrainischen Elite, aus der Ukraine Neu Israel zu machen. Auch fragt er sich, ob nicht der ukrainische „Heldenpräsident” Zelenskij, der bekanntlich jüdischer Abstammung sei, nicht auch seine Hand im Spiel habe: „Er ist ja Jude und kann sein, dass er sich doch mehr für sein jüdisches Volk interessiert, als für sein ukrainisches.“

Screenshot von Telegram

Ähnlich bei Anhänger*innen der QAnon-Verschwörung, die ebenfalls die Heavenly Jerusalem Karte multiplizieren. Auch hier liegt der Fokus auf der kommenden Umsiedlung zahlreicher Juden und Jüdinnen in das jetzige Gebiet der Ostukraine. Andere Verschwörungsideolog*innen wie AntiiluminatenTV sehen die vermeintliche „Rothschild-Dynastie” als Nachfahren der ostukrainischen Khasaren, die von teuflischen Mischwesen, den sogenannten Nephilim abstammen.

5D Schach, um Antisemitismus zu verschleiern

Da explizite antisemitische Hetze in Deutschland strafrechtlich verfolgt wird, arbeiten Rechtsextreme und Verschwörungsideolog*innen gerne mit plausibler Bestreitbarkeit, um sich selbst zu entlasten. Begriffe wie „Khasaren Mafia” oder „Heavenly Jerusalem” sind nur die neuesten Ausformungen einer altbewährten Taktik. Zum einen funktionieren solche Begriffe als Dog-Whistle, also eine Art mit Wiedererkennungssignal für eingeweihte Demokratiefeind*innen, zum anderen, werden genau solche kodierten Chiffren ähnlich wie „Globalisten” oder „Zionisten” als Umschreibungen eingesetzt, um antisemitische Äußerungen rechtlich zu relativieren.

Hinzu kommt, dass Heavenly Jerusalem als khazarisches Siedlungsprojekt im aktuellen Krieg in der Ukraine einen hohen Stellenwert vor allem für pro-russische Verschwörungsideolog*innen bekommt. Denn genau diese Akteur*innen versuchen, die russische Invasion und Kriegsverbrechen als heiligen Kampf gegen die Mächte des Bösen, die hier jüdisch codiert werden, zu gestalten.

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