Volker Beck, der Makkabi-Präsident Alon Meyer, der Sportwissenschaftler Manfred Lämmer und der Politologe Pierre Klapp sorgten für eine lebhafte Diskussion. Insbesondere Volker Beck zeigte auf, dass Antisemitismus im Sport nicht vom gesellschaftlichen Diskurs zu trennen sei: Der „erschreckend erstarkende Antizionismus“ sei der „Brandbeschleuniger für antisemitische Angriffe im Sport“. Die diversen Statistiken hierzu lieferten unterschiedliche Erkenntnisse und Interpretationen. Es gäbe zweifelsohne einen starken arabischen Antisemitismus in Deutschland, aber der „deutsche“ Antisemitismus existiere schon seit der Gründung der Bundesrepublik: „Er war nie weg. Heute ist er nur sichtbarer.“
Angriffe auf Synagogen keine antisemitische Tat?
Die Bürger seien im Alltag in ihrer Zivilcourage gefragt, betonte Volker Beck. Gerichte allein seien nicht ausreichend, wie das skandalöse Urteil in Wuppertal vor drei Jahren zeige, das einen Angriff auf die Wuppertaler Synagoge durch drei arabische Jugendliche nicht als antisemitisch erkannt habe, sondern als Zeichen des Protests gegen die Politik Israels.
Die 2002 eingeweihte Synagoge wurde am 29.7.2014 durch drei Jugendliche palästinensischer Herkunft mit Brandsätzen attackiert. Eine 13-Jährige hatte die Flammen entdeckt und die Polizei alarmiert. „Was hat die Wuppertaler Synagoge mit dem Nahostkonflikt zu tun?“ rief Beck unter starkem Beifall. Und: „Bürger sind im Alltag gefragt, nicht Gerichte.“
Aufgrund vergleichbarer Erfahrungen sehen viele Juden (wie auch Angehörige anderer gesellschaftlicher Minderheiten) von Strafanzeigen nach erlebten Übergriffen lieber ab, um sich zusätzliches Leid zu ersparen. Das wissenschaftliche Erforschen von antisemitischen Straftaten sei eine vorrangige Aufgabe, für die Personalstellen geschaffen werden müssten.
Insbesondere die Kirchen seien heute ein großes Problem, so Volker Becks Erfahrung, weil sie antisemitische Übergriffe zwar formal, in ihren Resolutionen, verurteilten, antisemitische BDS-Gruppen jedoch nahezu immer agieren ließen, wie sich am Beispiel der Akademie Bad Boll soeben erneut gezeigt habe.
Alon Meyer: „Wir müssen uns dem Rechtspopulismus entgegen stellen.“
Alon Meyer, seit 20 Jahren Vereinspräsident des jüdischen Sportvereins Makkabi Frankfurt und Präsident von Makkabi Deutschland, zeigte sich alarmiert durch das rapide Anwachsen antisemitischer Beleidigungen, Pöbeleien und körperlichen Angriffen im Sport. „Das hat in den letzten eineinhalb Jahren massiv zugenommen.“ Er müsse leider feststellen, an den Fällen oft arabische Spieler beteiligt seien. Heute komme es zu vier Vorfälle pro Monat, zu Beschimpfungen, Beleidigungen, aber auch zu gezielten körperlichen, hasserfüllten Angriffe gegen jüdische Vereine – „gerade wenn wir es wagen, auch einmal zu gewinnen.“ Antisemitismus sei und bleibe eine politische und gesellschaftliche Herausforderung in Deutschland. Seine in Miami lebende Mutter frage ihn in den letzten Monaten immer wieder, wie lange er das alles noch mitmachen wolle. Alon Meyer, im Auftreten gleichermaßen souverän wie engagiert, ließ solche Erwägungen für sich nicht gelten: „Wir müssen für unsere Werte kämpfen und bei antisemitischen Beleidigungen auf die Straße gehen.“ Die Demokratie sei heute in Gefahr: „Wir müssen uns dem Rechtspopulismus entgegen stellen.“ Sein enger Freund Peter Fischer, Präsident von Eintracht Frankfurt, habe dies eindrucksvoll demonstriert, gerade auch in seinem Engagement gegen die AfD. Fischer hatte die Wahl der AfD mit einer Mitgliedschaft bei der multikulturellen Eintracht Frankfurt für unvereinbar erklärt. Die Werte seines Vereins seien mit dem Agieren der AfD unvereinbar. Daraufhin hätten er und sein Verein Tausende von Hassmails erhalten. Aber: „Peter Fischer ist mit 99 Prozent wiedergewählt worden!“, betonte Alon Meyer.
„Gemeinsame Reisen nach Israel sind wegweisend“
Die soeben vermeldete Gründung einer Gruppe „Juden in der AfD“ sei absolut grotesk und Anzeichen einer ausgeprägten Dummheit. „Die AfD ist eine No-Go-Partei“ rief Meyer unter großem Beifall.
Turniere wie „Jugend gegen Rassismus“ seien der richtige Weg. Bei Makkabi sei der Anteil nicht-jüdischer Spieler sehr hoch. Gemeinsame Reisen nach Israel seien wegweisende, prägende Erlebnisse gegen Rassismus.
Der Kölner Politikwissenschaftler Pierre Klapp, der Fußballvereine und Schulen regelmäßig zu Antisemitismus und Rassismus berät, zeigte in seine Diavortrag zahlreiche gezielte antisemitische Beleidigungen auf Transparenten in Stadien. Diese träten ganz überwiegend in Ostdeutschland auf. Vereine wie Dynamo Dresden gälten als jüdisch, Vereine wie der linke, antifaschistischen Viertligist SV Babelsberg 03 würden regelmäßig massiv beleidigt, bedroht und attackiert. Transparente mit Parolen wie “Zecken“, „Judenschweine“, „Juden DSC – Euer Führer Ignatz“, über Auschwitz sowie über die Holocaustleugnerin Haverbeck seien in Stadien immer wieder zu sehen, auch in Dortmund und beim Fünftligisten SpVg Hamm. Schiedsrichter würden häufig mit Rufen wie „Zieh Dein Judentrikot aus“ beleidigt.
Manfred Lämmer: „Annäherung und wechselseitiges Verständnis ist die einzige Chance“
Manfred Lämmer, emeritierter Professor der Kölner Sporthochschule und Historiker, wurde als der eigentliche Gründer des Kölner Sport- und Olympiamuseums vorgestellt. In internationalen Sportgremien fest verankert hat er von der Kölner Sporthochschule aus über Jahrzehnte immer wieder stabile Beziehungen zu israelischen Sportmannschaften aufgebaut. Hauptgrund für die zunehmenden antisemitischen Gewaltausbrüche beim Sport seien oft einseitige Berichterstattung der Medien zum Nahostkonflikt. Bewusste Fouls und Beleidigungen seien ein Mittel der Provokation als Reaktion auf die Meldungen. Der deutsche Jude bleibe für die meisten Deutschen der „aggressive“ Israeli, der sich objektiv betrachtet in der Mehrzahl der Fälle gegen Angreifer wehre. Hiergegen sei kaum anzukommen. Hier lebende Juden würden immer wieder in Gesamthaftung für den Nahostkonflikt genommen. Annäherung und wechselseitiges Verständnis sei die einzige Chance. Von Becks couragierten Ausführungen zeigte er sich angetan: „Wissen Sie, ich war ja politisch nur selten Ihrer Meinung, wenn Sie im Bundestag gesprochen haben. Aber ich stimme Ihnen in allem zu, was Sie über Antisemitismus im Sport gesagt haben.“
Der internationale Sport sei auf einen verpflichtenden Ehrenkodex angewiesen. Wenn ein Land, sei es Kuwait, Katar oder Iran, bei internationalen Wettbewerben auch nur einen jüdischen Spieler nicht einreisen lasse, so dürften in diesen Ländern keine internationalen Turniere mehr stattfinden. Und wenn Ringkämpfer oder Boxer aus arabischen Ländern gezielt Kämpfe verlieren, nur um nicht gegen einen israelischen Sportler antreten zu müssen – und anschließend von ihrem Land hohe Gelder erhalten – so dürfe dies durch internationale Sportgremien nicht mehr länger hingenommen werden. Dies sei mit dem völkerverbindenden Geist von Olympia nicht vereinbar.
„Gezielte Regelverstöße müssen geahndet werden“
Unter den 45 Zuschauern war auch Ben Rajczyk vom Fußballverein Makkabi Köln. Auch sein Spieler seines Vereins müssten immer wieder antisemitische Beleidigungen bis hin zu konkreten körperlichen Angriffen erleben. Solche gezielten Regelverletzungen müssten nach den Spielen sofort in den Gremien gemeldet werden. Wenn ein einzelner Spieler einer Mannschaft antisemitisch agiert habe, sei die gesamte Mannschaft hierfür verantwortlich. Mediation sei da gefordert. Wenn die Mannschaft das Vergehen wirklich geklärt habe, seien Sanktionen nicht notwendig. „Nur im Wiederholungsfall“ seien sie unverzichtbar.
Dies bestätigte auch der Kölner Nahostexperte, Kolumnist und Fußballschiedsrichter Alex Feuerherdt – gemeinsam mit Florian Markl hat er kürzlich das Buch „Vereinte Nationen gegen Israel“ veröffentlicht – in der anschließenden Diskussion. Er erinnerte an die antisemitischen Vorfälle beim Spiel von Makkabi Köln gegen ESV Olympia in deren Köln-Ehrenfelder Spielstätte im September 2015: Bereits während des Spiels waren mehrere Spieler besonders aggressiv aufgetreten. Nach Spielende wurden die Makkabi-Spieler mehrere Minuten lang von einigen Gegenspielern mit Rufen wie „Free Palestine“, „Free Gaza“ sowie „Scheiß Juden“ beleidigt und körperlich bedrängt worden. In diesem Fall verhängte die Spruchklammer des Fußballverbandes Rheinland eine Geldstrafe von 800 Euro und eine sechswöchige Spielsperre für den Kapitän des ESV Olympia. Immerhin: Heute könnten Schiedsrichter diskriminierende Vorfälle nach Spielende in einer Spalte des Spielberichtes eintragen. Dies sei ein konkreter Fortschritt.