Schon die Grundthese reizt viele zum Widerspruch: Antisemitismus in einem Land, in dem Antifaschismus Staatsdoktrin war? Das Grundprinzip des Ausstellungsprojektes der Amadeu Antonio Stiftung ist, nicht nur die Ausstellung selbst zu zeigen, sondern sie auch mit Veranstaltungen zu begleiten, um vor Ort eine Diskussion anzustoßen. Dies erwies sich nie als Schwierigkeit: Von erschütterten Erkenntnissen bis zu empörter Abwehr reichten die Reaktionen, wenn die Sprache darauf kam, dass in der DDR der Nationalsozialismus inhaltlich nicht wirklich aufgearbeitet wurde ? und so antisemitische Thesen schon kurze Zeit später wieder Zustimmung fanden.
Vom lokalgeschichtlichen Projekt zur Aufreger vor Ort
Wie aus einem lokalhistorischen Projekt für Schülerinnen und Schüler eine seit drei Jahren unermüdlich tourende Ausstellung wurde, die es jedes Mal wieder schafft, zum Teil heftigste Diskussionen zu erzeugen ? auch dies erzählt das frisch erschienene Buch zur Ausstellung ??Das hat?s bei uns nicht gegeben!? ? Antisemitismus in der DDR?. Es fasst die Themen der Ausstellung zusammen, ergänzt durch Artikel, die sich mit der Rezeption der Ausstellung vor Ort und in den Medien auseinandersetzen sowie Themen vertiefen, die in der Ausstellung angerissen, aber nicht ausführlich behandelt werden.
Die Ausstellung: Erweitert und morgen neu eröffnet
Dabei scheint dies kaum vorstellbar ? ist doch die Ausstellung selbst schon ein großer Quell vielfältigster Informationen. Recherchiert haben die lokalhistorisch verankerten Fallgeschichten 76 Jugendliche aus acht Städten in den Neuen Bundesländern: Wo befindet sich der jüdische Friedhof in unserer Stadt? Was wurde in der Regionalzeitung über Israel geschrieben? Die Ergebnisse sind in der Ausstellung , die am 24. August um 19 Uhr im Centrum Judaicum in Berlin feierlich wiedereröffnet wird, nach einer historischen Einführung unter Stichworten geordnet: Chronik antisemitischer Gewalttaten, Israelfeindschaft ? DDR zum Nahostkonflikt, Erinnerungskultur und Überformung aller Opfer als Widerstandskämpfer und Rechtsextremismus in den 1980er Jahren.
Neu dazugekommen sind Tafeln zur Verfolgung der Juden in der DDR der 1950er Jahre ? die heute kaum noch jemand im Gedächtnis ist – und zu geschichtsrelativierenden Vergleichen, die zum Teil in der Argumentation bis heute fortleben.
Das Buch: Betrachtung der Diskussionen, Vertiefung der Themen
Das Buch enthält die komplette Ausstellung und vertieft zudem Einzelaspekte: Zunächst erläutert es die Idee und Methodik, warum das Thema mit Jugendlichen erarbeitet wurde ? und welche Effekte das in den beteiligten Orten und Familien hatte, und betrachtet die Argumente der Pro-und-Contra-Debatte, mit der die Ausstellung seit ihrer Eröffnung begleitet wird. Anette Leo widmet sich dann der Frage, wie der Prozess gegen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann 1960 in Israel in der DDR-Berichterstattung instrumentalisiert wurde ? mit persönlichem Blick, war doch ihr Vater als Berichterstatter für die DDR-Nachrichtenagentur ADN dabei.
Thomas Heppener beschäftigt sich mit der Anne Frank-Rezeption in der DDR, deren Geschichte dort ebenfalls oft instrumentell eingesetzt wurde. Konstanze Ameer hat sich mit Antifaschismus in Literatur und Film der DDR befasst und konnte dort viele Geschichten von Widerstandskämpfern, aber wenige von jüdischen Opfern betrachten. Die durften zum Teil als Überlebende sogar ihre eigene Lebensgeschichte nicht veröffentlichen, weil die ?zu viel Leid? enthielte. Martin Jander beschäftigt sich mit den Opfern der Verfolgung von Juden in den 1950er Jahren im Zeichen des Kalten Krieges, als zwei Opfergruppen des Nationalsozialismus, die ?Westemigranten? und die ?Juden?, zu Feinden des Kommunismus ernannt wurden ? die Geflohenen als ?Werkzeuge des amerikanischen Geheimdienstes?, die überlebenden Juden in kommunistischen Staaten als ?unkontrollierte, böswillige Kosmopoliten, Profitjäger ohne Wurzeln und ohne Gewissen?.
Es gibt also genug Themen, die dem gesellschaftlichen Gedächtnis bereits entfallen sind oder zu entfallen drohen ? nicht ohne ihre Spuren, in gängigen Stereotypen und Argumentationen etwa, bis in die Gegenwart zu verbreiten. Ein großes Plus der Ausstellung ist ihre lokalhistorische Verankerung ? sie zeigt, dass Politik vor Ort passiert, nicht nur in wahren oder imaginierten Zentren der Macht – weshalb die Ausstellung weiter touren wird, um das Bewusstsein für Antisemitismus vor Ort zu schärfen.
Buchpräsentation und Diskussion
Am Dienstag, den 24. August 2010, um 19 Uhr wird die überarbeitete Ausstellung und das Buch im Centrum Judaicum in Berlin vorgestellt. Auf dem Podium anwesend sind Autorinnen und Autoren sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die zum Buch beigetragen haben, u.a. Anetta Kahane (Amadeu Antonio Stiftung), Marianne Birthler (Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR), Dr. Annette Leo (Historikerin), Jakob Hein (Schriftsteller), Andrej Hermlin (Pianist und Leiter des Swing Dance Orchestra), Thomas Heppener (Anne Frank Zentrum e.V.)
Buch oder Ausstellung bestellen
Das Begleitbuch kann gegen eine Versandkostenpauschale von 5 Euro bestellt werden, die Ausstellung gegen eine Nutzungsgebühr von 100 Euro (zzgl. Transport und Versicherung) ausgeliehen werden.
Informationen: heike.radvan@amadeu-antonio-stiftung.de
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