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Antisemitismus in der Schule „Der eine Vorfall“ ist die falsche Reaktion

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(Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

 

Worum es geht: An der Friedenauer Gemeinschaftsschule in Berlin hat ein in England geborener jüdischer Junge nach verbalen und einem Angriff gegen ihn die Schule verlassen. Der 14-Jährige war seit vier Monaten auf der Schule und wurde schon zu Beginn von einem Mitschüler beleidigt, nachdem dieser erfahren hatte, dass der Junge jüdischen Glaubens ist: „Du bist ja eigentlich ein cooler Typ, aber ich kann nicht mit dir befreundet sein. Juden sind alle Mörder.“ Der Fall wurde in der Schule besprochen, doch vor rund zwei Wochen wurde der 14-Jährige dann von zwei anderen Mitschülern an einer Bushaltestelle angegriffen. Sie nahmen ihn in den Schwitzkasten, richteten eine täuschend echt aussehende Spielzeugpistole auf ihn und schossen Plastikteile auf ihn. Die Eltern nahmen ihren Sohn von der Schule (vgl. Tagesspiegel).

 

Die Schule insgesamt hat hier versagt und nicht nur die Täter: Schulleiter, Lehrer_innen, Eltern und Mitschüler_innen. Das larmoyante Klagen darüber, wie dieser eine „Vorfall“ der Schule das Image versaue, ist eine Schande. Die Begründung, dass auf dem Schulhof der Abklatsch des Nahostkonflikts seine Opfer gefordert habe, beschreibt die Herzlosigkeit der deutschen Eltern, die den Brief schrieben. Der ganze Vorfall zeigt, wie wenig der Antisemitismus die Menschen in dieser Schule berührt, ob Deutsche oder Muslime. Es ist ja nicht so, dass man den Muslimen den Antisemitismus einfach durchgehen ließe, weil sie diskriminiert wären und daher vor Rassismus in Schutz genommen werden müssten. Das zeigte ja wenigstens ein wenig Empathie – selbst wenn es sich um Empathie für die Angreifer handelte. Nein, es ist ihnen schlicht und einfach egal. Antisemitismus erzeugt keine Empathie mit dem Opfer. Bestenfalls kann man solches Handeln als Gleichgültigkeit bezeichnen. Und das ist der beunruhigende Kern dieses Falls.

 

Deutschland hat ein Problem mit Rassismus. Die Reaktion der Gesellschaft darauf wirkt hilflos und oft heuchlerisch. Viele Menschen wollen etwas tun und auch wieder nicht, sie finden Rassismus unmoralisch, verhalten sich aber oft selbst rassistisch. Sie sehen Probleme in Einwanderungscommunitys, aber wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, weil sie vor dem kleinen Rassisten Angst haben, der auch in ihnen steckt. Das ehrt die Menschen durchaus, denn Unsicherheit und Selbstreflexion sind wichtig für das Erwachsenwerden. In den letzten zwanzig Jahren hat sich hier viel getan hat, aber das reicht noch nicht. Um weniger Angst vor dem eigenen Rassismus zu haben, müssen wir das Engagement gegen Rassismus nicht als Theorie, sondern als alltägliche Praxis leben.

 

Was das mit Antisemitismus zu tun hat? Wer so souverän ist, Rassismus zu verstehen, muss Menschen nicht in Schutz nehmen, die sich antisemitisch verhalten. Dabei hilft auch zu wissen, was Antisemitismus ist und wie er sich heute ausdrückt. Doch vor allem anderen, vor Theorien und Definitionen, reicht es vollkommen, einen Sinn für Recht und Unrecht zu haben. Es ist Unrecht, einen 14-Jährigen zu prügeln, besonders wenn das aus Hass auf die Juden geschieht. Hinterher, wie im Elternbrief an den an den Tagesspiegel geschehen, das ganze Geschehen und damit auch das Opfer zu relativieren, zeigt keinerlei Sinn für Anstand. Die Eltern, die den Brief verfassten, meinten, der Vorfall würde die ganze schöne Schule mit den vielen schönen interkulturellen Errungenschaften schlechtmachen. Und die bösen Medien würden einseitig berichten. Nur wegen diesem einen Jungen, nur wegen dem bisschen Antisemitismus, der am Ende vielleicht gar keiner ist, sondern nur irgendwas mit Religionen und dem leidigen Nahostkonflikt zu tun hat. An dem, Du-Weißt-Schon-Wer, schuld ist. Die Täter hätten es ja auch so schon schwer genug.

 

Wer Rassismus verstünde und auch auf die eigenen, tiefsitzenden antijüdischen Stereotypen verzichten könnte, der könnte in dieser Situation einfach und klar reagieren. Nicht das Opfer hat die Schule zu verlassen, sondern die Täter. Ansonsten hätte ein guter Schulleiter nicht Schadensabwehr betrieben, sondern klare Standards gesetzt und verlangt, dem Antisemitismus auch in den eigenen Reihen ins Auge zu blicken. Antisemiten als Angestellte oder gar Beamte des öffentlichen Dienstes gehören ebenso wenig in deutsche Schulen wie Rassisten. Beides ist Grund für Entlassung oder zumindest eine Disziplinarstrafe. Auf Fortbildung zu setzen, wäre dann zusätzlich möglich, jedoch nicht anstatt.

 

Es wird oft behauptet, Antisemitismus wäre eine Art Unterform des Rassismus und folglich reiche es, den Rassismus zu bekämpfen, alles andere erledige sich quasi von selbst. Gewiss: es gibt einen Zusammenhang zwischen beidem, doch eine Unterform ist Antisemitismus keinesfalls. Er war und bleibt der Lackmus-Test für die Moderne. Er steht für Gleichwertigkeit ohne Wenn und Aber, für die komplexe Vielfalt des Lebens, für die Gleichzeitigkeit verschiedenster, manchmal auch einander widersprechender Entwicklungen, also für das Unbequeme an der Demokratie.

 

Wir alle sind Teil der Einwanderungsgesellschaft und wir alle tragen Verantwortung. Abwertung sollte hier keinen Platz haben. Und niemandes Hintergrund ob mit oder ohne Einwanderungsgeschichte darf die Rechtfertigung für Derartiges sein. Trotz der Erfahrungen vieler Menschen mit Rassismus sind sie dennoch Personen, die selbst entscheiden, was sie tun. Wann immer sie rassistisch angegriffen werden, haben wir alle sie zu verteidigen. Doch sie sind keine Objekte, keine kleinen Kinder oder unmündigen Menschen, auf die man als Opfer herabblickt und die „nichts dafür können“, wenn sie sich falsch verhalten. Das wäre Rassismus. Und Antisemitismus wird dadurch auch nicht besser oder erklärlicher. Wer so tickt, ist beides – ein Rassist und ein Antisemit.

 

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