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„Antisemitismus ist Verrat an den Werten des HipHop“

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Kollegah und Farid Bang bei der Echo-Verleihung. (Quelle: (c) dpa)

Judenhass im Deutschrap wird regelmäßig zum Thema. Selten war dabei die Öffentlichkeit empörter als im April 2018, als Kollegah und Farid Bang mit dem Echo ausgezeichnet wurden. Eine Textzeile stand dabei im Vordergrund. Im Track 0815 auf dem Album „JBG3“ der beiden, rappt Farid Bang, dass sein Körper „definierter als von Auschwitz-Insassen“ sei. Eine Ethikkommission wurde eingesetzt, die offenbar keine Einwände hatte, der Preis wurde schlussendlich an die beiden verliehen. Die Hoffnung, dass der Skandal danach abebben würde, wie in den vergangenen Jahren, als die umstrittene „rechtsoffene“ Band Freiwild ausgezeichnet wurde, erfüllte sich diesmal allerding nicht. Der Echo wurde kurzerhand abgeschafft.

Auf Einladung der Amadeu Antonio Stiftung diskutierten Expert*innen im Berliner Lido am 12. Juli über Vorfälle wie diesen und darüber, wie tief Antisemitismus im deutschen Rap verwurzelt ist. Dabei machte Antisemitismus-Experte Jakob Baier schon zu Anfang klar, wie sehr Antisemitismus in der deutschen Kulturproduktion zu Hause ist. Schon in Werken der Gebrüder Grimm findet sich Feindschaft gegenüber Juden und Jüdinnen, das setzt sich fort zu Richard Wagner, Rainer-Werner Fassbinder und heute schließlich auch im Deutschrap.

Die Journalistin Viola Funk hatte pünktlich zum Echo-Skandal im WDR eine aufsehenerregende Doku zum Thema veröffentlicht, für die sie mit mehreren Vertreter*innen der „Rap-Industrie“ über Hass auf Juden und Jüdinnen sprach. Dabei fand sie ein „Unverständnis darüber, was Antisemitismus ist und wie er sich äußert.“ Unverständnis, das sich auch auf dem Podium widerspiegelte. Auf der einen Seite Marcus Staiger, Gründer von Royal Bunker und ehemaliger Chefredakteur von Rap.de, der glaubt, dass die Antisemitismus-Diskussion, ein „deutsch-jüdischer Dialog, der eigentlich oft nur ein deutscher Monolog“ sei, der überhaupt nicht bei denjenigen ankomme, die Deutschrap konsumieren. Gerade migrantischen Jugendlichen, die von Rassismus, aber nicht von Antisemitismus betroffen seien, müsse man klar machen, dass die beiden Formen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit  einander ähneln, wenn nicht gar identisch seien.

Dem widersprachen Jakob Baier und der Rest des Podiums auch aus wissenschaftlicher Perspektive. Rassismus äußert sich durch Abwertung einzelner oder ganzer Gruppen. Antisemitismus dagegen durch eine bizarre Überhöhung. Rassistisch ist es, wenn alle Geflüchtete als faul, feige oder sexuell übergriffig dargestellt werden. Juden und Jüdinnen wird dagegen eine jüdische Weltverschwörung angedichtet. Sie kontrollieren nach dieser Erzählung zum Beispiel Politik, Medien und den Finanzsektor. Vorurteile, die sich so auch immer wieder im Deutschrap finden und die dazu führen, dass Hass auf jüdische Menschen gerechtfertigt erscheint. Der Rapper form, der eigentlich David Häußer heißt und Herausgeber des Ficko-Magazins ist, war der Moderator des Abends und bekräftigte dass es in der Deutschrap-Szene zwar einen „antirassistischen Konsens gibt”, einen vergleichbaren Kodex zu antisemitischen Lines aber fehle: “Die Szene  schafft es nicht, sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen.“ Dadurch wird der Antisemitismusvorwurf zum eigentlichen Skandal und nicht der Hass auf Juden und Jüdinnen. Dazu kommt, dass die Rap-Szene sich im Ganzen eher als links verstehe. Antisemitismus wird allerdings oft als exklusiv rechtes Phänomen gesehen: „Viele verstehen nicht, dass Antisemitismus auch aus einer anderen Richtung kommen kann“, so Funk. Eine Lösung dafür könnte mehr Bildung sein, wie sie Staiger forderte: “Gesellschaftliche Probleme werden nicht thematisiert”. Er geht davon aus, dass die Mehrheit der bürgerlichen Gesellschaft am Ende genauso denkt, wie Kollegah oder andere Protagonist*innen.

Ohnehin wurde die Diskussion kontrovers geführt. Ben Salomo ist ein jüdischer Rapper, der jahrelang „Rap am Mittwoch“ veranstaltete, das wichtigste Battlerap-Format Deutschlands. Im April 2018 gab er bekannt, dass er sich aus der deutschen Rap-Szene aufgrund von grassierendem Antisemitismus zurückzieht. Im Lido sagte Salomo, dass Antisemitismus „Verrat an den Werten des HipHop“ sei, der auf emanzipatorischen Ansichten fuße und inklusiv und tolerant sei. Dem widersprach Funk, die darauf hinwies, dass Deutschrap und Rap im allgemeinen immer wieder frauen-, homo- und transfeindlich sei. Für Frauen und Homosexuelle also gleich viel weniger offen.

Salomo entzauberte allerdings auch das vielfach vorgebrachte Argument, dass in der Szene immer wieder gebraucht wird, um Kritik im Keim zu ersticken: „Ist doch nur Rap.“ Er erklärte, dass der Ausspruch sich in der Berliner Szene entwickelt hatte, die vor allem in ihren Anfangsjahren extrem brutal sozialisiert wurde. Deswegen kam es auch immer wieder zu Schlägereien bei Battles. Mit „Ist doch nur Rap, haut euch nicht auf die Fresse“, entwickelte sich ein Aufruf, sich selbst nicht ganz so ernst zu nehmen. Über die Jahre verwandelte sich dieser allerdings zu einer gern benutzen Entschuldigung, die dazu diente, Vorwürfen wegen Frauen-, Homo- und Transfeindlichkeit und eben auch Antisemitismus einfach den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nach einem Battle gibt man sich die Hand und alles ist vergessen. Aber auch nur manchmal. Ben Salomo bestätigte, was bereits in der Doku von Viola Funk anklang: Antisemitismus geht hinter der Bühne weiter. Salomo berichtete über Bemerkungen von Rappern, die beweisen, wie tief Vorurteile verwurzelt sind: “Es stimmt doch, ihr zahlt keine Steuern, wegen dem Holocaust”, musste er sich beispielsweise anhören.

Dazu gehört auch, wie Funk anmerkte, die Idee der Kunstfigur, mit der viele Rapper spielen. Kollegah ist nur eine Erfindung des realen Menschen Felix Blume. Diese Unterscheidung zwischen echtem Mensch und Kunstfigur wird dann problematisch, wenn die Grenzen verschwimmen und Felix Blume als Kollegah plötzlich Instagram-Storys veröffentlicht, in denen er den Nahostkonflikt mit Verschwörungstheorien erklärt – und dabei Millionen von jungen Fans erreicht. Salomo pflichtet ihr bei, wenn er sagt: „Was gerappt wird, ist an vielen Stellen genauso in den Köpfen der Rapper“. Antisemitismus ist eben weit mehr als nur ein Stilmittel, mit dem man das Feuilleton schocken kann, sondern Geisteshaltung. Salomo geht dabei noch weiter und sagt: „Deutschrap ist in weiten Teilen genauso antisemitisch wie Rechtsrock.“  Wenn Vorurteile und Klischees immer wieder wiederholt werden, verfestigen sie sich in den Köpfen des Publikums und können zur Gefahr werden. Antisemitismus kann sich weiter ausbreiten: „Einer Handlung geht immer eine Haltung voraus“, so Baier.

Ohnehin existiert Deutschrap nicht als abstrakte Kunstform im luftleeren Raum: „Die Rapper sind nur die Spitze des Eisberges, darunter gibt es Millionen von Fans, die ihnen Vorbilder sehen“, so Salomo. Der Rapper ist in Schulen unterwegs, um über genau diese Themen aufzuklären und er merkt, dass Judenhass im Rap ganz reale Auswirkungen hat. Jüdische Schüler und Schülerinnen sprechen explizit an, dass Mitschüler*innen sie anders behandeln, nachdem sie bestimmte Songs gehört hätten.

Salomo formulierte auch die wahrscheinlichste wichtigste Forderung des Abends, die womöglich das einzig wirklich wirksame Rezept gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist: „Man muss die Betroffenen fragen, was diese Textzeilen mit ihnen machen und vor allem dem zuhören, was sie zu sagen haben.“
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