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Antisemitismus Judenhass im antifaschistischen Staat

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Ausstellung, Foto: aas

 

Im Wappensaal drängen sich die Menschen zwischen 36 Farbtafeln und drei Fernsehstationen. Die Eröffnung der Ausstellung „Das hat’s bei uns nicht gegeben. Antisemitismus in der DDR“ hat viele motiviert, sich ins Rote Rathaus in Berlin zu begeben. Sie studieren interessiert die Informationstafeln, die 76 Schüler*innen  unter Anleitung von Historiker*innen und fachkundigen Betreuungspersonen erarbeitet haben. Der Ansatz der Ausstellung ist konkret und faktenorientiert: Die Jugendlichen haben in ihren Heimatorten zum Thema „Antisemitismus in der DDR“ recherchiert. Sie wollten herausfinden: Wie ist es möglich, dass der jüdische Friedhof in unserer Stadt erst in der DDR-Zeit zerstört und planiert wurde? Wie erinnerte sich unsere Gemeinde der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, wie ging und geht sie mit ihrer Rolle im NS-Staat um? Wie stand die DDR zum Nahostkonflikt, und was sagte das über ihre Haltung bezüglich Antisemitismus aus?

Forschen in der noch jungen Vergangenheit

Für die Schüler*innen war es eine spannende Reise in die Vergangenheit. „Meine Eltern und Verwandten haben alle in der DDR gelebt. Es war sehr interessant, sie zu befragen, wie sie sich an Ereignisse erinnern“, sagt Polly Tielebein, Schülerin der Nelson-Mandela-Oberschule in Berlin, „es war spannend, zu vergleichen, was an die Öffentlichkeit gekommen ist und was wirklich passiert ist.“ Die Arbeitsgruppe der Schülerin forschte zum Thema „DDR und Terrorismus“ und fand in akribischer Aktenrecherche heraus, dass die DDR palästinensische Terroristen unterstützte und sie zum Teil sogar im eigenen Land ausbildete. Auf ihr Engagement bekam Polly oft ungläubige Reaktionen: „Viele meinten, Antisemitismus habe es in der DDR doch gar nicht gegeben, haben dann aber doch angefangen, sich selbst zu informieren.“

Negierung der Täterschaft schafft neue Opfer

Das ist ein gar nicht so leichtes Unterfangen ist, weil das Thema selbst in der Wissenschaft noch wenig beleuchtet ist. Tatsächlich stellt die Ausstellung der Amadeu Antonio Stiftung den ersten Versuch da, Antisemitismus in der DDR umfassend zu greifen. Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der Stiftung, fasste es auf dem Eröffnungspodium so: „Die DDR war der Meinung, mit Klassenkampf und Kapitalismus alles abgeschafft zu haben: Auch alle Schuld, alle Täterschaft aus der Zeit des Nationalsozialismus.“ Doch allem propagierten Antifaschismus zum Trotz überlebte der Antisemitismus in den dunkleren Windungen der Hirne, gerade weil er vierzig Jahre lang nicht bearbeitet wurde. Nur ignoriert wurden diese Sentimente in großem Stil, bis sie mit dem erstarkenden Rechtsextremismus nach dem Mauerfall in den neuen Bundesländern ins Licht der Öffentlichkeit traten. „Das wünschen wir uns als Ergebnis der Ausstellung“, sagt Kahane, „dass Leute jetzt anfangen zu diskutieren, nachzudenken, sich mit dem Thema zu beschäftigen.“ Denn, so zitierte sie Elie Wiesel: „Wer die Opfer vergisst, tötet sie ein zweites Mal.“

Auseinandersetzen statt schweigen

Projektleiterin Heike Radvan betonte die Bedeutung, die eine Aufarbeitung der NS-Geschichte in Familien, Schule und Öffentlichkeit hat: „Die hat im Osten Deutschlands nicht stattgefunden. Stattdessen blieb der antisemitische Bodensatz von 1945 bis 1989 nicht nur unberührt, sondern wurde auch durch den Vergleich von Israel mit dem Nationalsozialismus, der in Politik und Medien allgegenwärtig war, genährt und gefördert.“ Steffen Andersch vom Dessauer Projekt gegenPart erinnerte sich: „Mein Geschichtslehrer brachte uns in den achtziger Jahren bei, dass es zwei faschistische Staaten gäbe: Chile und Israel.“ Er forscht seit Jahren mit Jugendlichen zur Rolle einer Dessauer Firma, die, wie sich im Laufe der Recherche herausstellte, als Produzent des Giftes Zyklon B maßgeblich am Massenmord in Auschwitz beteiligt war. „Aber in Dessau war das zu DDR-Zeiten gar nicht bekannt. Und auch heute wollen sich viele Menschen damit lieber nicht auseinandersetzen“, berichtet er.

„Viele legten Wert darauf, keine Juden mehr zu sein“

Bei der Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung wurde aber vor allem klar, was für ein persönliches Thema Antisemitismus in der DDR jenseits der Faktenlage ist. Liedermacher und Poet Wolf Biermann berichtete wortmächtig von seinen eigenen Familiengeschichte: „Ich komme aus einer jüdischen Kommunistenfamilie. Mein Vater wollte kein Jude mehr sein, und wir hielten es auch nicht für nötig, das Thema Antisemitismus auch nur zu bedenken, weil der Kommunismus doch alle unsere Probleme lösen sollte.“ Erst in den sechziger Jahren habe er Unbehagen gespürt ob der Vehemenz, mit der jüdisches Leben in der DDR verschwiegen wurde. Später seien die Proteste kritischer Schriftsteller gar als „Verschwörung des Weltjudentums“ postuliert worden. „Die DDR war ein antisemitisches Land“, so Biermann, „und der Antisemitismus hat viele Juden so verängstigt, dass sie viel Wert darauf legten, keine Juden mehr zu sein.“

Antisemitismus nicht erkannt

Die Schriftstellerin Salomea Genin pflichtete ihm bei: „Ich habe in der DDR gemerkt, die Menschen haben nichts von meiner Geschichte verstanden. Sie wussten kaum etwas vom Holocaust! Ich bin so dankbar, dass eine Ausstellung wie diese den Antisemitismus in der DDR so klar benennt. Denn damals haben wir uns diffus komisch gefühlt, als ob etwas nicht stimmte – weil wir auf Antisemitismus gestoßen sind, den aber niemand benannte und den wir selbst nicht erkannten.“

Kritische Stimmen aus dem Publikum blieben auch auf der persönlichen Ebene: Es sei doch gar nicht alles schlecht gewesen in der DDR, sie habe sich auch um die Opfer des Nationalsozialismus gekümmert, und es habe doch auch Leute gegeben, die sich mit der Geschichte auseinandergesetzt hätten. Dabei ist das nichts, was die Ausstellung negieren würde. Sie zeigt nur, dass es eine großen Ignoranz dem Thema Antisemitismus gegenüber gab und darüber hinaus viele Handlungen des DDR-Staates und seiner Menschen, die antisemitisch motiviert waren. Als Wanderausstellung kann sie nun einen Anstoß geben für die manchmal schmerzhafte Auseinandersetzung mit den realen Folgen der so anders intendierten Ideologie.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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