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Antisemitismus Mit Memes gegen Israel

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(Quelle: Unsplash / Nahel Abdul Hadi)

CN Antisemitismus

Der Begriff „memetische Kriegsführung“ wurde bereits im Jahre 2015 vom späteren Trump-Strategen Jeff Gisea im Paper „It’s time to embrace the memetic warfare“ etabliert: Politische Diskurse sollen mit Memes beeinflusst werden. Das Schlachtfeld, auf dem diese Kriegsführung besonders eifrig betrieben wird, ist 4chan. Das 2005 gegründete Imageboard – also eine anonyme und in mehrere Unterforen unterteilte Plattform, deren User*innen von Bildern begleitete Threads“ posten – war noch nie ein Hort von Aufklärung und Emanzipation, sondern viel eher das virtuelle Äquivalent eines nach ungewaschenen Socken stinkenden Jungszimmers mit einem „Mädchen verboten“-Schild an der Tür, aus dem möglichst provokanter Black Metal schallt. Auf 4chan ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ein zynisch zelebrierter Witz, um „Normies zu triggern“ – also all jene, die ihre Lebenszeit nicht in eigenwilligen Ecken des Internets verschwenden und Holocaustleugnung für einen absoluten Schenkelklopfer halten. Im Rahmen der amerikanischen Präsidentschaftswahl von 2016 findet eine weitere Radikalisierung nach rechts statt. Vor allem das Unterforum /pol – „politically incorrect“ – entwickelt sich zu einer Brutstätte für Rechtsextreme.

Unter dem Kürzel /mwg – „Memetic Warfare General“ betreiben 4chan-User nun wieder das, was sie am besten können: den politischen Diskurs mit Memes zerstören. Sie rufen dazu auf, mittels KI antisemitische Bilder und Memes zu generieren. Der erste dieser Threads wurde kurz nach dem Beginn des Angriffes auf Israel veröffentlicht, jeden Tag gibt es einen neuen – und in jedem Thread finden sich Dutzende, wenn nicht Hunderte von Memes. Wie die Rechercheplattform Bellingcat berichtet, wurden auf dem Imageboard bereits Anfang Oktober per KI generierte, rassistische Memes geteilt, die Strategie ist also bereits etabliert.

Quelle: Imageboard

Antisemitismus als Abendunterhaltung

Seit Beginn des palästinensischen Angriffskriegs auf Israel amüsieren sich 4chan-User auf /pol über das Leid der israelischen Zivilbevölkerung. „Wir betreiben Propaganda aus Spaß heraus. Mach mit, es ist bequem!“ steht in einem Thread, in dem sich ein antisemitisches Hassbild an das nächste reiht, und: „Je lustiger, umso besser“. Wer sich zumindest minimal mit der Atmosphäre auf 4chan, und vor allem auf /pol beschäftigt hat, kennt die Humorvorstellungen der User*innen-Basis: Zynismus, Verrohung, Menschenfeindlichkeit – vor allem, wenn es sich um Juden*Jüdinnen, Frauen, queere Menschen oder People of Colour handelt. Der Thread endet mit: „Wenn du in diesem Thread mitschreibst, lehnst du Israel als legitimen Staat ab, lehnst du den Talmud ab und setzt dich für den totalen Juden-Tod („TKD“, „Total Kike Death“) und die totale Judenvernichtung („TKA“, „Total Kike Annihilation“) ein“.

Eine anderere /mwg-Threadreihe – auch hier mit gut hundert Bildern pro Thread, und einem Thread pro Tag seit dem 7. Oktober – widmet sich Hamas-Propaganda und Desinformation. Die islamistische Terrorgruppe wird unter dem Namen „Hamas-Chan“ als großbrüstige Anime-Frau personifiziert, die mit einem süßen Lächeln auf dem Gesicht und einem Maschinengewehr in der Hand dazu aufruft, Israel zu vernichten.

Die Bilder sprechen eine eindeutige Sprache. Jüdinnen*Juden werden konsequent als antisemitische Karikaturen dargestellt: mit großen Nasen, blutdürstig, als Kraken. Es gibt Witze über den Holocaust und seine Opfer. Mord an Israelis, als auch Palästinenser*innen, wird verharmlost bis glorifiziert. Neben antisemitischen Memes teilen beide Threads auch Links zu antiisraelischer Desinformation, mit dem Aufruf, diese gezielt zu verbreiten. Ebenfalls verlinkt werden über 100 Videos massakrierter Jüdinnen und Juden, auch hier mit dem Aufruf um Verbreitung.

Die Hamas selbst steht großbrüstigen Anime-Mädchen übrigens eher ablehnend gegenüber. Quelle: Imageboard

Die Memes finden ihren Weg in den Rest des Internets, wo sie unter Beiträge zum Nahost-Konflikt gespammt werden – primär unter denen von jüdischen Menschen. Populäres Ziel ist die ehemals als Twitter bekannte Plattform „X“, deren Inhaltsmoderation nach der Übernahme des zunehmend in den Faschismus abdriften zu scheinenden Milliardärs Elon Musk de facto nicht mehr existent ist. Es gibt beispielsweise einen rechtsradikalen Meme-Account mit über 60.000 Followern, der seit Wochen sein Publikum mit primär antisemitischen Memes bespielt. Ein besonders ekelhaftes Beispiel zeigt Anne Frank auf einer Couch sitzend, hinter ihr eine Gruppe Wehrmachtssoldaten: Das Bild spielt auf einen vielfach memefizierten Ausschnitt aus einem pornographischen Film an, bei dem eine junge weiße Frau in gleicher Pose vor einer Gruppe schwarzer Männer sitzt. Die Implikation ist deutlich: Es ist ein gegen ein mit 13 Jahre im Holocaust ermordetes Mädchen gerichteter sexueller „Witz“.

Ganz normal auf Elon Musks X-Twitter: antisemitische Propaganda. Quelle: Twitter

Auch die große Mainstream-Meme-Seite „9gag“, die anfangs der 2010er Jahre durch generische, unlustige Memes an Popularität gewann und im Rahmen der misogynen Gamer-Gate-Kampagne von 2014 primär zu einer Plattform für reaktionäre Schenkelklopfer geworden ist, tut sich als Plattform für nicht nur antiisraelische, sondern explizit antisemitische Memes hervor. Moderation Fehlanzeige. Auf Telegram finden antisemitische Memes ebenfalls großflächige Rezeption: Ein Kanal mit über 16.000 Abonnements ist für die Verbreitung von auf 4chan geposteter Memes verantwortlich. Zahlreiche rechtsextreme Meme-Kanäle und -Gruppen teilen das antisemitische, und häufig auch gegen Palästinenser*innen rassistische Bildmaterial zur Erheiterung einer Community, deren gemeinsamer Nenner zynische Menschenfeindlichkeit darstellt.

Im deutschsprachigen Raum erfolgt die Erstellung und Verteilung von Memes zum Krieg gegen Israel primär über die üblichen Verdächtigen. In einem Forum für die Fanbasis des „Honigwabe“-Podcasts gibt es einen 37 Seiten langen Thread, der für antisemitische Memes designiert ist, in einem anderen tauschen sich User*innen über den Krieg aus. Der Tenor: Jüdinnen und Juden sind verachtenswert, Araber*innen auch – und deshalb ist es gut, wenn sie sich gegenseitig ermorden.

„Kebab Remover“ ist übrigens eine Anspielung auf das Christchurch-Massaker. Quelle: Honigforum

Im Falle der Incel-Szene nimmt die online zelebrierte Menschenfeindlichkeit besonders ekelerregende Ausmaße an. In einer Community, in der Antisemitismus virulent ist und der Hass gegen Frauen der Dreh- und Angelpunkt der eigenen Identität, wird die Vergewaltigung und Ermordung von israelischen Frauen als Masturbationsvorlage und „Lifefuel“ zelebriert – also als „etwas, das Lebenswillen schenkt“.

Das Lachen der Täter

Memetische Kriegsführung hat zwei Funktionen: Ihre primäre Aufgabe ist der politische Angriff gegen – wie auch immer geartete – Gegner*innen, in diesem Falle Jüdinnen*Juden und mit Israel solidarische Menschen. Andererseits dient sie zum Community-Building innerhalb der eigenen Szene: Das kollektive Moment ist hier, Memes schaffen, sie zu teilen und sich gemeinsam über das Leid von Israelis zu mokieren und währenddessen Krieg und islamistischen Terrorismus zu glorifizieren.

Die Meme-Threads haben eine Funktion von Gamification: Sie machen antisemitische Hetze zum Spiel, zur Unterhaltung. Gleichzeitig wird so eine psychische und emotionale Distanzierung von den Opfern des Krieges geschaffen – sie wirken nicht mehr wie reale Menschen, sondern werden als antisemitisches oder rassistisches Meme und Stereotyp rezipiert. Diese Dehumanisierung des „Anderen“ vereinfacht wiederum das Schöpfen und Verbreiten menschenfeindlicher Inhalte.

Vor allem spricht aus dieser Form von Meme-Kultur eine unglaubliche Verrohung. Der gezielte Mord an israelischen Zivilist*innen, als auch der Tod von Palästinenser*innen wird nicht betrauert, sondern verlacht. Diese Verrohung beginnt auf einer ausgesprochen einfachen, niedrigschwelligen Ebene – ein paar Klicks auf Bildgenerierungsseiten und 4chan, und schon ist man Teil eines über Antisemitismus verbundenen Meme-Kollektivs. Wäre das bloße Kichern über islamistischen Terror nicht schon schlimm genug, soll es dabei nicht verbleiben: Das Ziel ist das aktive Verbreiten dieser Memes sowohl als Propaganda, als auch, um Betroffenen von Antisemitismus digitale Gewalt anzutun. Im Internet verbleibt diese Gewalt übrigens selten: Die Angriffe gegen israelsolidarische Veranstaltungen, Synagogen und jüdische Mitbürger*innen sind tragischer Beweis, dass „memetische Kriegsführung“ integraler Bestandteil antisemitischer Radikalisierung und von stochastischem Terrorismus ist.

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