Kein anderes Musikgenre ist in Deutschland so beliebt unter jungen Menschen wie Deutsch-Rap. Ihre Idole, sprich die Rapper*innen, sind längst einflussreiche Influencer*innen geworden, mit zum Teil Millionen Follower*innen. Durch Social Media haben sie nicht nur die Musik als Transportmittel für ihre Inhalte, sondern auch Facebook, Twitter und Instagram. Besonders via Instastorys lassen sie ihre zum Teil Millionen Follower*innen an ihrem Alltag teilhaben.
Rap, besonders der Gangsta-Rap, ist seit jeher immer subversiv. Doch besonders in der deutschen Rap-Landschaft sind die Zustände besorgniserregend: Scheinbar immer häufiger verbreiten Rapper*innen in ihren Liedern, in ihren Videos und in Interviews krude Verschwörungserzählungen, die nicht selten antisemitisch konnotiert sind.
Der Berliner Rapper Massiv verbreitet beispielsweise das Gerücht, bei den Anschlägen von 9/11 seien keine Israelis ums Leben gekommen, weil diese vorher ein Zeichen bekommen hätten. Fler, ebenfalls ein Berliner Gangsta-Rapper warb 2015 mit dem Hinweis „Müsst ihr abchecken! COMPACTTV“ für das verschwöungsideologiesche rechte Hetz-Magazin „Compact“. Und der Frankfurter Rapper Olexesh glaubt an die Existenz von Echsenmenschen und würde gerne mal welche kennenlernen. 2019 spricht der Berliner Rapper Marvin Game im Interview über Pyramiden-Verschwörungsideologien und dass Schulbücher Lügen über den zweiten Weltkrieg verbreiten würden (später revidierte er seine Aussage). Doch der Boss unter den deutschen Hip-Hop-Verschwörungstheoretikern ist wohl Kollegah. 2015 sah er es in einem Interview als erwiesen an, dass Chemtrails in die Luft gesprüht würden.
„Doch, es ist mittlerweile erwiesen, dass etwas in die Luft gesprüht wird. Es ist nur noch die Frage, was in die Luft gesprüht wird. Das weiß noch keiner genau. Das wird so als Schutzmaßnahme gegen den Klimawandel dargestellt, das ist die offizielle Erklärung. Aber dass das keine Kondensstreifen von Flugzeugen sind, die da rasterartig am Himmel sind, das ist mittlerweile eigentlich angekommen bei den Leuten.“ (Kollegah 2015 im Vice-Interview)
Flat-Earth-Theorien, Echsen-Menschen oder Chemtrails stehen dabei selten für sich alleine. Bekanntlich hängen Verschwörungserzählungen und Antisemitismus eng miteinander zusammen: Am Ende jeder Verschwörungserzählung steht immer eine kleine Gruppe, die die Geschicke der Welt lenkt und die sind in den allermeisten Fällen Jüdinnen und Juden. Und auch hierfür liefert uns die Figur Kollegah wohl das anschaulichste Beispiel. In seinem Song „Apokalypse“ (2016) geht es um nichts Geringeres als die Rettung der Welt vor einer satanistisch-jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung.
„Aber das mit den Chemtrails stimmt ja, das gibt’s ja wirklich. Wenn mir jetzt einer sagt, dass es die nicht gibt, ist der wirklich dumm. Die gibt es ja in echt.“ (Olexesh im Vice-Interview 2016)
Eklat bei der Echo-Verleihung
Seit Kollegahs Eklat bei der Verleihung des Musikpreises Echo 2018, ist Antisemitismus im Rap auch in Deutschland Thema. Eine Textzeile von Kollegah und Farid Bang stand dabei im Vordergrund. Im Track 0815 auf dem Album „JBG3“ der beiden, rappt Farid Bang, dass sein Körper „definierter als von Auschwitz-Insassen“ sei. Eine Ethikkommission wurde eingesetzt, die offenbar keine Einwände hatte, der Preis wurde schlussendlich an die beiden verliehen. Im Zuge einer Debatte um Antisemitismus in der Musik, wurde schließlich die Echo-Verleihung für beendet erklärt.
Wie kommt es aber, dass Verschwörungserzählungen besonders unter Rapper*innen und ihren Fans so beliebt sind? Unter anderem darüber wurde am Freitag, den 27. September, in Koblenz auf einem Fachtag zum Thema „Rechte Musik in rechten Lebenswelten“ diskutiert. Jakob Baier erklärte dazu in seinem Workshop, dass „Hip-Hop zwar oft vorgibt anti-autoritär zu sein, viele Rapper jedoch unbewusst stark zum Autoritären neigen.“
Ghetto-Existenz, die Inszenierung des eigenen biographischen Projekts, Hypermaskulinität und real-Talk
Im deutschsprachigen Gangsta-Rap gehören Themen wie Herkunft, Migration, Diskriminierungs-Erfahrungen und Glaube zum festen Repertoire der Künstler*innen. Es geht um Ghetto-Existenz, die Inszenierung des eigenen biographischen Projekts, Hypermaskulinität und real-Talk. Gangsta-Rap behauptet von sich von der Straße zu kommen und die Sprache der Straße zu sprechen. Nicht selten geht es in den Texten auch um Diskriminierungserfahrungen, weil man einer marginalisierten Gruppe angehört. Gangsta-Rap impliziert daher auch immer, einen Kampf gegen herrschende Zustände führen. Der Rapper kämpft sich stets von unten nach oben. Somit wird immer wieder die Erzählung von „wir hier unten gegen die da oben“ bedient. Und diese Form der Elitenkritik ist anschlussfähig an verschwörungsideologische Erzählungen.
Kritik an den herrschenden Zuständen
In vielen Rap-Tracks, in denen Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen geübt wird, kommt jedoch leider ein sehr vereinfachtes Weltbild zum Ausdruck: Auf der einen Seite sind die Guten, auf der anderen Seite die Bösen und dazwischen gibt es nichts. In dieser destruktiven Weltsicht werden dann häufig Jüdinnen und Juden mit dem Bösen in der Welt in Verbindung gebracht. Laut Baier zeigen sich diese antisemitischen Welterklärungen besonders dann, wenn Rapper*innen ihre Sicht auf gesellschaftliche Prozesse darlegen und dabei bestimmte Herrschaftsverhältnisse antisemitisch deuten. Mal mehr mal weniger eindeutig. Verschwörungsideologien geben den Akteur*innnen Macht zurück, weil sie relativ einfache Erklärungen der Welt liefern.
Neben dem erschreckenden Anwachsen rechtsradikaler Ideologien haben auch Verschwörungserzählungen in den letzten Jahren massiv an Boden gewonnen. Genau wie nationalistische Ideologien liefern sie simple Erklärungen und bieten einfach Lösungen für komplexe Probleme an. Dabei muss die Erzählung nicht immer so klar darliegen wie in den zahlreichen Beispielen von Kollegah. Es genügen einfache Codes in den Songs, die die allermeisten Fans wohl verstehen und zu deuten wissen. Besonders beliebt ist hier die „Rothschild-Theorie“, die Erzählung der jüdischen Weltverschwörung durch die Bankiersfamilie Rothschild. Diese Begrifflichkeit kommt unter anderem bei den Künstlern Celo & Abdi, Haftbefehl und UFO361 vor. Oftmals gehen solche antisemitischen Codes und antisemitischen Mythen mit einer Thematisierung des Nahostkonflikts einher und der Parteinahme für die Palästinenser*innen. Für einige Jahre schmückte etwa der Berliner Rapper Bushido sein Twitter-Profilbild mit einer Palästina-Karte, die den Nahen Osten ohne Israel zeigte. Wie so oft beim israelbezogenen Antisemitismus, wird die komplexe Konfliktsituation in einem stark vereinfachten Freund-Feind-, gut-böse-Konstrukt dargestellt. Ökonomische Konflikte, worum es im Rap seit Ursprungstagen geht, werden auf irrationale Feindbilder gelenkt, die in der Gesellschaft bereits existieren. Das Abstrakte wird so komprimiert auf eine kleine Gruppe. Antisemitismus dient als einfach Welterklärung.
Provokation um jeden Preis?
Verschwörungstheorien und Klischees liefern sprachliche Bilder, die im Rap gerne benutzt werden, um die eigene Kunstfigur auf- und andere abzuwerten. In einer Szene, die von Provokation lebt, in der man sich in hypermaskulinem Gebaren und Machtphantasien ergeht, geben einem Verschwörungserzählungen scheinbar Macht zurück, weil man scheinbar, im Gegensatz zu anderen die Wahrheit entdeckt hat. Eine weitere traurige Ursache für antisemitische Erzählungen im Rap, kann jedoch schlicht PR sein. Denn besonders in dieser Szene ist alles was Aufmerksamkeit generiert willkommen. Daher kann man sich auch fragen, inwiefern Antisemitismus-Vorwürfe gegenKünstler*innen den Plattenlabels ein willkommenes Mittel sind, um die YouTube-Klickzahlen zu erhöhen. Schließlich muss man sich die Videos auch anschauen, über die alle sprechen.
Verschwöungserzählungen haben reale Auswirkungen
Verschwörungsvorstellungen haben reale Auswirkungen, besonders für Jüdinnen und Juden. So häufen sich leider die Vorfälle, in denen jüdische Schüler*innen in ihren Schulen einfach aufgrund ihres Glaubens gemobbt werden. Inwieweit Rapper*innen eine Mitschuld daran tragen, können wir nicht sagen. Wenn Rapper*innen aber Verschwörungserzählungen verbreiten, birgt das die Gefahr, dass junge Menschen ihren Idolen mehr glauben als Lehrer*innen, einfach, weil die Rapper*innen eine Vorbildfunktion einnehmen. Dabei müssen wir nicht alle Rap-Texte auf die Goldwaage legen. Dennoch sollten wir uns stärker mit diesem Problem befassen. Zunächst einmal und am allerwichtigsten vielleicht, indem wir uns mit den potentiellen Opfern solidarisieren, außerdem bedarf es einer stärkeren Auseinandersetzung mit diesem Thema, auch unter Rapper*innen und ihrem Vertriebsumfeld.
Was tun, wenn mir Verschwörungsideologien begegnen?
Eine Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung, die am Donnerstag, den 3. Oktober, erscheint, gibt Tipps wie Sie Verschwörungserzählungen begegnen können. Ein kleiner Auszug:
Menschen, die Ihnen nahestehen, sind in der Regel eher geneigt, Ihnen zuzuhören und Ihren Widerspruch ernst zu nehmen. Würdigen Sie Ihr Gegenüber in der Auseinandersetzung nicht herab und versuchen Sie herauszufinden, warum für sie*ihn die Verschwörungstheorie in diesem Moment ihres*seines Lebens so wichtig ist. Machen Sie deutlich, warum Sie mit der Verschwörungstheorie nicht einverstanden sind (z.B. weil sie ein antisemitisches, sexistisches oder rassistisches Weltbild vertritt). Weisen Sie auf Widersprüche in den Erzählungen hin, z.B.: Wenn so vieles im Geheimen passiert, warum gibt es dann so viele YouTube-Videos, die die vermeintliche „Verschwörung“ aufdecken? Wenn die „Verschwörer*innen“ so mächtig sind, warum werden dann die ganzen Blogs und Videos nicht einfach gelöscht? Kontrollieren sie etwa die größte Videoplattform nicht?