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Antizionistische Großveranstaltung Die Internationalist Queer Pride in Berlin

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"Palestine is a Queer Issue" heißt es auf dem Internationalist Queer Pride 2022. Jetzt findet die Demo erneut statt. (Quelle: AAS)

Seit über zwanzig Jahren finden in Berlin Pride Marches statt, die sich als antikapitalistische Alternative zum zentralen Christopher Street Day (CSD) verstehen. Unter wechselnden Namen und in sich ändernden Bündnissen – als transgenialer CSD, Kreuzberger CSD, X*CSD oder Radical Queer March – kritisieren sie die Kommerzialisierung queerer Forderungen. Mehrfach kommt es zu Auseinandersetzungen mit und über Antisemitismus, die 2016 schließlich sogar das Ende des X*CSD besiegeln. Auf der Abschlusskundgebung hatten zwei Gruppen, die sich mit der israelfeindlichen BDS-Kampagne solidarisierten, „zwei Redebeiträge gehalten, die eindeutig antisemitisch waren“, wie es später in einem Statement des Orgateams heißt, das danach nicht wieder zusammenfindet.

2021 übernimmt ein neues Bündnis das Ruder: Im nunmehr vierten Jahr findet in diesem Juli die Internationalist Queer Pride (IQP) statt. Streit über Antisemitismus gibt es hier nicht mehr – eine antiisraelische Positionierung gehört zum Grundtenor. Es folgt eine Bestandsaufnahme einer antizionistischen Großveranstaltung.

Es ist ein bemerkenswertes Bündnis, das sich für die Organisation der ersten IQP zusammengefunden hat. Denn in diesem kommen 2021 mit Gruppen wie Palestine Speaks, BDS Berlin, Berlin Against Pinkwashing, Jewish Bund und der Migrantifa Berlin mehrere Akteur*innen zusammen, die in den vergangenen Jahren maßgeblich daran beteiligt waren, Antizionismus und Israel-Hass auf linken Demonstrationen zu normalisieren. Weniger bekannt sind Gruppen wie Palestine Speaks oder BDS dahingegen für ihre queerpolitischen Forderungen. Dass sie dennoch zum Kreis der Organisator*innen gehören, ist dem zentralen Motto der IQP zuzurechnen: „Keine*r von uns ist frei, bis wir alle frei sind“ – Unter dieser Prämisse gilt dem Bündnis jeder politische Kampf, in dem sie dichotom Unterdrücker und Unterdrückte erkennen, als Anliegen für queere Kämpfe. Das spiegelt sich auch in der Gewichtung politischer Forderungen wider, wie sie im Manifest der IQP zu finden sind: Die Aktivist*innen betonen zunächst ihre internationalistische Ausrichtung und ihre Solidarität mit diversen regionalen und nationalen Befreiungsbewegungen und schließen erst dann mit dem Bekenntnis an, dass Queer- und Trans*feminismus im Zentrum ihres Befreiungskampfes stünden.

Bereits im Vorfeld der ersten IQP im Juli 2021 kündigt das Bündnis in einer Pressemitteilung an, dass Schilder mit Aufschriften wie „Palestine is a queer issue“ und Parolen, die zur Intifada aufrufen, zu erwarten seien. Im ebenfalls vorab veröffentlichten Awareness-Statement betonen die Organisator*innen, dass „sogenannte Antideutsche“ nicht willkommen seien. Und tatsächlich prägen genau diese Positionierungen die IQP am 24. Juli 2021: Israel wird in Redebeiträgen, Sprechchören und auf Schildern als angeblicher Apartheid- und Kolonialstaat dämonisiert, Zionismus zu white supremacy – also „weißer Vorherrschaft“ – erklärt und die Befreiung Palästinas zu einem inhärent queeren Anliegen. Gleichzeitig kommt es im Rahmen der Demonstrationen zu teils körperlichen Angriffen auf Journalist*innen, die von Ordner*innen als „Zionistenpresse“ beschimpft werden. Im Nachhinein werden gar Portraitaufnahmen von Journalist*innen im Netz verbreitet, unter denen die Medienvertreter*innen als „rechte Rassist*innen“ bezeichnet werden.

Im zweiten Jahr der IQP erscheint die Demo vergleichsweise diverser in ihren Forderungen: Zwar schließen auch 2022 die antiisraelischen Positionen in Redebeiträgen und auf Transparenten und Schildern an das Vorjahr an, doch auch andere thematisch organisierte Blöcke sind hör- und sichtbar. Auch werden BDS und Palestine Speaks nicht mehr unter den Organisator*innen aufgelistet. Eine erneute Radikalisierung findet 2023 statt. Wohl im Lichte des 75. Jahrestages der Staatsgründung Israels, der damit verbundenen Nakba-Demonstrationen und des repressiven politischen und polizeilichen Vorgehens gegen antiisraelische Demonstrationen in Berlin, rückt die Parole „Palestine is a queer issue“ wieder ins Zentrum der IQP.

In der auf Instagram veröffentlichten Ankündigung des palästinensischen Demo-Blockes wird dem Staat Israel vorgeworfen, Pinkwashing zu betreiben – also, dass Israel angeblich LGBTQ-Rechte einsetze, um damit von der Besatzung im Westjordanland und Menschenrechtsverletzungen an Palästinenser*innen abzulenken. Erneut wird Israel als siedler-kolonialistisches Projekt bezeichnet, das Wort Israel wird auf den Slides nur in Anführungszeichen benutzt, um zu verdeutlichen, dass die Aktivist*innen die Existenz des jüdischen Staates nicht anerkennen. Das bedient auch die antisemitische Mär über „Völker“, die vermeintlich naturgegeben in einer Region verwurzelt sind, im Gegensatz zum angeblich künstlich geschaffene Staat Israel.

Die Radikalisierung des IQP zeigt sich am Tag selbst nicht nur darin, dass auf der Demonstration Banner mit Aufschriften wie „Stop Demo Ban“ hochgehalten werden, die keinerlei Anschluss zu queeren Anliegen mehr haben, Parolen wie „From the river to the sea – Palestine will be free“ die Stimmung des Aufzugs prägen und mehr Palästina- als Regenbogenflaggen zu sehen sind. Auch die Organisator*innen sind klar auf ein Thema eingeschworen: Die Ordner*innen der Demonstration tragen nicht etwa die üblichen gelben Warnwesten, sondern sind an Shirts mit der Aufschrift „I’m gay gay gay […] for Palestine“ zu erkennen.

Besonders ins Auge sticht eine Person, auf deren Shirt das Emblem der palästinensischen Terrororganisation Lions‘ Den abgebildet ist. Diese bekennt sich seit ihrer Gründung im August 2022 zu mehreren bewaffneten Angriffen auf israelische Zivilist*innen. Mit wenigen Anpassungen stellte die Person eine obskure Verbindung zwischen Queerness und Judenmord her: Die Maschinengewehre im Emblem sind pink eingefärbt und der Felsendom hat Katzenöhrchen.

Auch dieses Jahr wird die IQP parallel zum Berliner CSD durch Neukölln und Kreuzberg laufen. Von einer weiteren Eskalation ist angesichts der antisemitischen Ausschreitungen seit dem 7. Oktober auszugehen. Der Instagram-Kanal der IQP jedenfalls ist seitdem zu einem Mobilisierungsapparat antiisraelischer und Hamas-verherrlichender Großdemonstrationen geworden. Kein Wort des Mitgefühls oder der Reflexion verlieren die Organisator*innen hingegen zum Mord an über 1.100 Menschen, der Verschleppung von 253 in den Gazastreifen oder der globalen antisemitischen Bedrohung von Jüdinnen und Juden. Auf dem Plakat, mit dem das Bündnis zu der Demonstration am 27. Juli aufruft, gruppieren sich verschiedenste Forderungen um eine Wassermelone – das Symbol, das aufgrund seiner Farbgebung synonym zur palästinensischen Flagge genutzt wird. Überschrieben ist es mit der Parole „No Pride in Genocide & Apartheid“. Ganz in grün ist die Silhouette Israels und Palästinas zu sehen, sowie ein Schlüssel. Der Schlüssel soll oft das Rückkehrrecht der Palästinenser*innen symbolisieren. Zusammen sprechen die Symbole und Parolen auf dem Plakat eine klare Sprache: Es braucht BDS oder Palestine Speaks nicht mehr als Organisator*innen der IQP – die Forderung nach der Vernichtung Israels ist hier schon lange normalisiert.

Erneut dürfte die Internationalist Queer Pride zu einer antizionistischen Großveranstaltung werden, der es keineswegs um queere Befreiung und einer Kritik des Bestehenden geht – das Pinkwashing von Antisemitismus in queeren Bewegungen wird voraussichtlich einen erneuten traurigen Höhepunkt erreichen.

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