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April 2017 Hate Speech, Internet, Social Media

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Wie volksverhetzend war der "Abschiebär" der Neonazi-Kameradschaft "Besseres Hannover"? Ein neuer Prozess soll das klären.

 

Zusammengestellt von Simone Rafael

 

Aktuelle Verurteilungen im Bereich Hassrede im Internet bundesweit

 

Was? “Dreckspack! Auswandern und Verbrennen“ –  Kommentar unter einem Artikel zu einer Schlägerei unter Geflüchteten im Juni 2016 auf der Facebook-Seite der Fuldaer Zeitung und ein zweiter, ähnlicher Kommentar im April 2016 auf einem Lokal-Portal.Wer? 25-jähriger MannMotivation? “Ich weiß nicht, warum ich das geschrieben habe. Ich habe nicht nachgedacht. Ich würde es am liebsten ungeschehen machen. Meine Familie kommt aus Polen, und unter meinen Freunden sind viele Ausländer.“Kostet? Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 15 EuroQuelle? Fuldaer Zeitung

 

Was? Beschimpfte auf Facebook einen türkischen Schiedsrichter, der ein Champions League-Spiel zwischen einem spanischen und einem englischen Team pfiff.Wer? 45-Jähriger, der schon mehrfach wegen rassistischer Kommentare vor Gericht stand.Kostet? Ein Jahr und zwei Monate Haft ohne Bewährung. Wenige Stunden vor der Verhandlung hatte der Angeklagte schon wieder einen übel rassistischen Text gepostet, wie der Richter feststellte.Quelle? PNP

 

Was? Beschimpfte auf Facebook Moderatorin Dunya Hayali, hetzt gegen Geflüchtete.Wer? 65-jähriger Rentner aus OberbayernKostet? 2.200 EuroQuelle? Der Westen

 

Nach Todesfahrt in Heidelberg: Verfahren wegen Tweets

Nach der tödlichen Autofahrt in eine Menschengruppe in Heidelberg Ende Februar hat die Polizei der Justiz bisher elf Twitter-Beiträge zur Verfolgung vorgelegt. Die Tatvorwürfe reichten von Beleidigung über üble Nachrede bis zu Volksverhetzung, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Heidelberg. Acht Verfahren wurden eingestellt, weil die Verfassenden nicht ermittelt werden konnten, drei Fälle werden verfolgt. Bei der Fahrt am 25. Februar 2017 am Heidelberger Bismarckplatz war ein Mann getötet worden. Die Hintergründe gelten als ungeklärt. Nach dem Zwischenfall waren zahlreiche Tweets bei der Polizei eingegangen, in denen die Beamten beleidigt oder Muslime für die Todesfahrt verantwortlich gemacht wurden. Die Polizei beantwortete einige ungewöhnlich harsch und betonte: “Und nun noch mal für alle: Tatverdächtiger: Deutscher OHNE Migrationshintergrund!” (WZ).

 

“Abschiebär”-Nazis von “Besseres Hannover” müssen erneut vor Gericht

Zwei Rädelsführer der 2012 verbotenen Neonazi-Gruppe „Besseres Hannover“ müssen erneut vor Gericht, weil der Bundesgerichtshof die Verurteilung der beiden aufgehoben hat. Wegen eines Falles von Volksverhetzung müssen die Männer sich ab Ende Mai vor dem Amtsgericht verantworten, teilte das Gericht am Mittwoch in Hannover mit. Die Verurteilung der Männer zu einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten durch das Landgericht hob der BGH größtenteils auf, weil es einen Teil des Tuns der Männer nicht als Volksverhetzung wertete. Für eine dennoch als Volksverhetzung gewertete Tat muss das Amtsgericht das Strafmaß nun neu festsetzen. „Besseres Hannover“ war zeitweise die aktivste Neonazi-Gruppe Niedersachsens und startete ihre rassistischen Aktionen 2008. Neben dem Verteilen rechter Zeitschriften an Schulen stachelten Mitglieder auch in einem Bärenkostüm mit der Aufschrift „Abschiebär“ zu Rassismus an und verbreiteten diese Aktionen über ins Internet eingestellte Videos. Darum drehte sich im Wesentlichen das Gerichtsverfahren. (Kreiszeitung.de)

 

Kritik am Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Wie bereits im letzten Monatsrückblick betrachtet , stößt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) von Bundesjustizminister Heiko Maas nicht auf Gegenliebe. IT-Verbände warnen vor dem Gesetz, dass sie als undifferenziert und zu hastig beschlossen empfinden.

Das Bundeskabinett beschließt die Vorlage für das Gesetz Anfang April – nun muss es noch formell beschlossen werden, was noch vor Sommerpause und Wahlkampf passieren kann. Mit dem nun beschlossenen Gesetzentwurf der Bundesregierung ist der Pfad geebnet für eine Abstimmung im Bundestag und Bundesrat noch in dieser Legislaturperiode. Eine Änderung gibt es nach der Kritik: Jetzt soll nicht mehr ein einmaliger Verstoß gegen die Lösch-Pflicht mit hohen Bußgeldern belegt werden, sondern regelmäßige Verstöße.  Weiter heißt es in der Vorlage, dass in Fällen, in denen ein soziales Netzwerk einen illegalen Inhalt nicht als rechtswidrig einschätzt, „zum Schutz der Meinungsfreiheit ein behutsames Vorgehen der Bußgeldbehörde angezeigt“ ist. Wenn eine Plattform den Wahrheitsgehalt einer Äußerung innerhalb der Frist nicht klären konnte, soll kein Bußgeldverfahren eingeleitet werden. Im Klartext heißt dies, so Spiegel online, dass es dem Justizministerium mehr um ein generell funktionierendes System geht, mit Nutzerbeschwerden umzugehen, als um die Nachverfolgung von Entscheidungen im Einzelfall.  Die Kritik am Gesetzesentwurf bleibt allerdings bestehen (vgl. taznetzpolitik.org). Von der Amadeu Antonio Stiftung über Bitkom bis zu Wikimedia: Ein breites Bündnis aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft spricht sich schließlich öffentlich gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz der Bundesregierung aus. Das Gesetz gefährde die Meinungsfreiheit (vgl. netzpolitik.orgspiegel.de). Unangenehm im Nachgang: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll auch Fake News bekämpfen. Golem.de fragt im Bundesjustizministerium nach einem Beispiel. Sie bekommen Antwort von einer Sprecherin von Justizminister Heiko Maas (SPD): „Dass über die Erfahrungen amerikanischer Politiker im US-Wahlkampf hinaus auch in Deutschland die Bekämpfung strafbarer Falschnachrichten an Bedeutung gewonnen hat, lässt sich schon anhand der allgemeinen Presseberichterstattung der vergangenen Monate nachvollziehen.“ Ein klassischer Zirkelschluss: Die Medien berichten darüber, weil die Parteien im Panik-Modus das Thema auf die Tagesordnung gesetzt haben. Aber: Nachrichten mögen zwar falsch sein, aber das ist längst nicht immer strafbar – was auch strittige Fälle der Vergangenheit wie der “Fall Lisa“ belegen. Nichtsdestotrotz erwägt auch die EU-Kommission strengere Gesetze gegen illegale Online-Inhalte.   Bis Ende nächsten Monats prüft die Brüsseler EU-Kommission, inwieweit sich Facebook, Twitter, YouTube und Microsoft an den im vorigen Jahr vereinbarten Verhaltenskodex zum Löschen von Hassbotschaften halten, erklärte Renate Nikolay, die Kabinettschefin von Justizkommissarin Vera Jourova, Ende der Woche in Berlin. (heise.de) In Deutschland legt derweil der Bundesverband der Zeitschriftenverleger einen eigenen 5-Punkte-Plan gegen Hate Speech vor: 1. Geltendes Recht umsetzen, 2. Strafverfolgung besser ausstatten, 3. Facebook braucht mehr Ressourcen in der Bearbeitung von strafrechtlich relevanten Inhalten, 4. Aufklärung von Bürger_innen, 5. Diskriminierungsfreier Zugang zu sozialen Netzwerken für rechtmäßige Inhalte (Netzpolitik.org). Es gibt allerdings auch Menschen, die die Hysterie der Debatte kritisieren – die Meinungsfreiheit etwa sei so doch nicht in Gefahr (ZEIT) – oder erklären, was am NetzDG doch gut sein könnte (Vorwärts).

 

Forschung: Gefährliche Sprache, Hass-Sprache und Gewalt

Schon bevor es zu physischer Gewalt gegen eine Minderheit kommt, äußert sich Abwertung durch Worte in Unterhaltungen, Posts und Interviews. Das ist manchmal Hassrede – öfter geschieht die Propaganda allerdings viel subtiler. Genau das beobachtet die Anwältin und Professorin Susan Benesch im „Dangerous Speech Project“. Sie will wissen: Unter welchen Bedingungen folgen gefährlichen Worten noch gefährlichere Taten? Welche Aussagen führen zu Massengewalt, einem Genozid oder einem Lynchmob? Zur gefährlichen Sprache gehört etwa, wenn in einem Konflikt die Nachricht gestreut wird, eine Gruppe horte Waffen: “Das wäre doch für Sie schon Anlass genug, um Ihre eigene Bereitschaft zur Gewalt zu erhöhen. Immerhin würden Sie sich existentiell bedroht fühlen. Das ist dennoch keine Hassrede.“ Benesch sagt im Interview mit “Wired” auch: “Gefährliche Sprache ist in jedem Fall eine Vorstufe von Gewalt. Ob es auch die Ursache ist, können wir nicht belegen. Wir beobachteten aber Fälle in Indien oder Myanmar, wo sich ein gefährliches Gerücht erst viral ausbreitete und es dann plötzlich zu Ausschreitungen kam. Dort gab es genug Anlass zu glauben, dass das eine kausal mit dem anderen zusammenhängt. In anderen Fällen sehen wir eher eine langsame konstante Zunahme gefährlicher Sprache in der Öffentlichkeit, bevor es zu Übergriffen kommt. Menschen werden dann zum Beispiel als Ungeziefer bezeichnet oder auf andere Weise entmenschlicht.“ Und: Hass auf andere sei dereinfachste Weg, um eine Identifikation mit einer als eigen empfundenen Gruppe herzustellen.

Wie das in Deutschland funktioniert, zeigte eine Reportage des Bayerischen Rundfunks: “Zwischen Meinungsmache und Volksverhetzung: Das leise Einflößen eines gedanklichen Giftes.”

 

Umgang mit Fake News:  Viel Hysterie, wenig Substanz

Das Handelsblatt interviewt Medienpsychologin Astrid Carolus zum Umgang mit Fake News. Die stellt fest: Nicht alles, was auf Facebook gepostet wird, hat eine große Reichweite – das gilt auch für die meisten Fake News.  Außerdem sind viele Menschen sehr wohl in der Lage, die Glaubwürdigkeit von Quellen in Sozialen Netzwerken anzuzweifeln. Und der Filterblasen-Effekt, also die Tendenz, seine eigene Weltsicht medial zu bestätigen, den gab es auch schon vor dem Internet: “Das heißt: Wir lesen bevorzugt das, was unserer Meinung entspricht. Und wenn es nicht drin steht, interpretieren wir das hinein. Das gab es schon immer: Ein klassischer ‘FAZ’-Leser schaut nicht jeden Tag, was die ‘Taz’ zu den einzelnen Themen sagt. Klar, Algorithmen verstärken dieses Phänomen, aber die Idee, dass Rechtsradikale früher mit großem Interesse linke Medien gelesen hätten, ist absurd.“ Was sie sich als Gegenstrategie wünscht: Stärkung der Medienkompetenz.

 

Wahlkampf in Frankreich: Fake-News à la française

Gefälschte Videos, erfundene Nachrichten: Anhänger von Le Pen nutzen im französischen Wahlkampf alle Mittel im Netz. Viele Franzosen glauben ihnen aber nicht, wenn sie in Falschmeldungen versuchen, Ängste vor Flüchtlingen, gewalttätigen Jugendlichen oder einem möglichen Präsidenten Macron zu schüren (ZEIT).

 

Good Practice: Kommunalpolitiker wehrt sich gegen Hate Speech

Lukas Kilian (30), CDU-Landtagskandidat aus Bargteheide, erfährt, wie viel Politiker_innen, Hassrede im Internet – und hat dazu eine Idee entwickelt: Er bringt ab sofort alle strafrechtlich relevanten Beleidigungen und Bedrohungen konsequent zur Anzeige. Und sollte es bei einer Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeldern kommen, spendet er dieses an soziale Einrichtungen – damit die Beleidigung oder Bedrohung am Ende wenigstens für etwas gut ist (bargteheideaktuell.de). 

 

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