„Ihr linken Hundesöhne, ihr wollt Staat haben? Wisst ihr was? Ich wische mir den Arsch mit dem Staat ab! […] Wisst ihr, wo ich nach einem Staat fragen werde? In der Fotze deiner Mutter!” Dies ist ein Ausschnitt aus einem Podcast des kommenden argentinischen Präsidenten – und gibt einen Vorgeschmack auf dessen politischen Führungsstil.
Der Rechtspopulist Javier Milei hatte sich gezielt die Frustration der Bevölkerung mit der peronistischen Regierung der letzten Jahrzehnte zunutze gemacht. Er versprach, dem Land einen neuen, radikalen Wind einzuhauchen. Er sei nicht, wie die klassischen Politiker*innen, „unnütze Parasiten, die noch nie einen Tag in ihrem Leben gearbeitet haben“, sondern gibt sich, ähnlich wie seine Geistesbrüder Donald Trump oder Jair Bolsonaro, als Mann des Volkes. Der 53-jährige Milei verkörpert eine rohe, aggressive Bürgerlichkeit: autoritär, wütend, und gegen „die da oben“.
Bekanntheit erlangte der Politik-Neuling unter anderem als Fernsehpersönlichkeit: er trat als Mick Jagger-Imitator auf. Diese Form aggressiver Showmanship nimmt Milei mit in seinen Wahlkampf, in dem er ausgesprochen populistische Töne angeschlagen hat. Sowohl wegen seines Auftretens, als auch seiner politischen Einstellung, wird der Vorsitzende der rechten Parteienkoalition „La Libertad Avanza“ („Die Freiheit schreitet voran“) gerne mit Trump verglichen. Dieser hatte Milei nach seiner Wahl prompt gratuliert: Er würde „Argentinien wieder groß machen“.
Dieses Versprechen möchte Milei vor allem mittels eines radikalen Sparkurses erreichen: Er wolle öffentliche Ausgaben „mit der Kettensäge“ kürzen und so der Inflation, Armut und Arbeitslosigkeit des Landes den Kampf ansagen. Des Weiteren plant der angehende Präsident, der zum 10. Dezember das Amt antreten wird, die Zentralbank abschaffen und den Pesos durch den US-Dollar ersetzen. „Wir werden das Modell der Freiheit anwenden, um wieder eine Weltmacht zu werden“ erklärte Milei in einer Fernsehansprache nach seiner Wahl.
Milei war außerdem als Dozent für Wirtschaftslehre tätig und hat auf dem Gebiet mehrere Bücher publiziert. Er ist Anhänger der sogenannten „Österreichischen Schule“ – eine ultralibertäre Ökonomielehre, die sich unter anderem auf die wirtschaftsliberalen Wirtschaftswissenchaftler Friedrich August von Hayek und Ludwig Mises bezieht. Er bezeichnet sich selbst als „Anarchokapitalist“, was bedeutet, jeder noch so minimale staatliche Eingriff in die freie Hand des Marktes wird radikal abgelehnt. Der Politiker hatte angekündigt, er würde „niemals eine Steuer erhöhen und niemals neue Steuern einführen“. Das bedeutet konkret: Mileis Politik ist ein gnadenloser Klassenkampf von oben. Ob dieser das Land langfristig aus seiner ökonomischen Krise führen wird oder letztendlich nur soziale Ungleichheiten verschärfen wird, bleibt abzuwarten.
Rechtspopulismus und Verschwörungsdenken
Javier Milei trägt den Spitznamen „El Loco“ – der Verrückte. Dies ist jedoch eine Verharmlosung seiner gefährlichen politischen Position. Wie bei vielen Libertären geht seine auf Privatisierung ausgelegte Finanzpolitik weniger mit tatsächlicher individueller Freiheit einher als schlichter Menschenfeindlichkeit. Schulen, Gefängnisse und sogar Straßen (!) sollen privatisiert und die Gelder für Ministerien und Haushaltsausgaben gekürzt werden. Des Weiteren plant er das Recht auf gewerkschaftliche Organisation abzuschaffen – und öffnet somit einer systematischen Ausbeutung von Arbeiter*innen Tür und Tor. Doch zum Glück plant Milei eine Alternative für jene, die sich das Leben in seinem Argentinien nicht mehr leisten können: Organhandel soll legalisiert werden. Wer sich also Schulbildung oder Essen nicht mehr leisten kann, soll doch einfach eine Niere verkaufen!
Milei, als auch seine Vizepräsidentin Victoria Villaruel relativieren die Gräueltaten der argentinischen Militärdiktatur, unter deren Regime von 1976 bis 1983 ungefähr 30.000 Menschen ermordet worden sind. Den Klimawandel hält er für eine von Kommunist*innen in die Welt gesetzte Lüge. Wie bei vielen Anarchokapitalist*innen ist der generelle Hass auf Kommunist*innen fast schon pathologisch: sogar der Papst ist für ihn Teil Anhänger von Marx und Engels, da er sich für christliche Nächstenliebe einsetzt.
Es verwundert also wenig, dass Milei der strukturell antisemitischen Verschwörungserzählung des „Kulturmarxismus“ anhängt. Diese besagt, dass der Einfluss der Frankfurter Schule – also jüdischer Marxisten – auf Medien und Universitäten zum Verfall traditioneller westliche Werte führen würde. Zahlreiche Rechtsterroristen, vor allem der Massenmörder von Utoya, benennen in ihren Manifesten den Kampf gegen Kulturmarxismus als zentralen Punkt ihrer Gewalt. Hass auf die Moderne und gesellschaftlichen Fortschritt impliziert auch immer Hass auf weibliche körperliche Selbstbestimmung: der Politiker ist strikter Gegner von Abtreibungen, selbst im Falle von Vergewaltigungen. Wie zahlreiche Libertäre behauptet er zwar, sich für grenzenlose individuelle Freiheit einzusetzen – diese gilt jedoch nicht für körperliche Selbstbestimmung gegen patriarchale Geschlechtervorstellungen. Wenig überraschend begreift er deswegen auch Sexualkundeunterricht als eine Form von Indoktrination und Bevormundung. Im Kampf gegen die drohende Gender-Diktatur hatte seine Partei einen Gesetzesentwurf gegen inklusive Sprache in Schulen veranlasst, zudem spricht sich die „Libertad Avanza“ gegen Maßnahmen zum Schutz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt aus und möchte die gleichgeschlechtliche Ehe abschaffen und durch eine juristisch anders gestellte Form der Lebenspartner*innenschaft ersetzen. Auch das Ministerium für Frauen, Geschlecht und Diversität soll aufgegeben werden. Queere Aktivist*innen zeigen sich besorgt.
Auch in Bezug auf die Rechte von Migrant*innen schlägt der Politiker markige, autoritäre Töne an: Migrant*innen, die sich strafrechtlicher Vergehen schuldig machen, sollen direkt abgeschoben werden. Wenn es nach Milei geht, sollen freie Bildung und Krankenkassenleistungen für Menschen ohne argentinischen Pass ebenfalls eingeschränkt werden.
In seiner Freizeit praktiziert Javier Milei tantrischen Sex, besitzt fünf unter anderem nach libertären Autoren benannte Hunde, mit denen er behauptet, über einen Mystiker kommunizieren zu können und betreibt unter dem Namen „General AnCap“ Cosplay.
Antidemokratischer Backlash
Vertreter*innen der globalen Rechten, von Politiker*innen bis hin zu dem zunehmend in den Faschismus abdriftenden Milliardär und libertären Geistesbruder Elon Musk zeigen sich erfreut über die Wahl des Anarchokapitalisten. Kein Wunder: seine Politik ist eine reaktionäre Antwort auf aktuelle politische und wirtschaftliche Krisen. Wie Rechtspopulist*innen auf der ganzen Welt bietet er autoritäre, einfache und brutale Antworten für komplexe Probleme und bedient eine Form der „konformistischen Revolte“: obwohl Milei durch seine aggressive kapitalistische Politik menschenfeindliche und antidemokratische Politik bedient und durchaus Teil des Establishments ist, inszeniert er sich als Underdog gegen den verweichlichten, korrupten Status Quo. Die Wahrheit ist jedoch: Menschen wie Javier Milei werden die Krisen des Spätkapitalismus durch ihre Politik nur noch zuspitzen und verschlimmern – auf Kosten ihrer eigenen Bevölkerung.