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Attentäter in Hamburg Hitler als Werkzeug Gottes

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Symbolbild Hamburg (Quelle: Flickr.com/Daniel de Vidi / CC BY-NC 2.0)

In Hamburg starben am Freitag, dem 10.03.2023, bei einem Attentat im „Königreichssaal“ der Zeugen Jehovas in Winterhude acht Menschen, weitere acht wurden verletzt, davon vier schwer. Zwanzig Menschen konnten das Gebäude äußerlich unverletzt verlassen.

Der mutmaßliche Täter, ein 35-jähriger Mann, Ex-Mitglied der Gemeinde, feuerte bereits auf dem Parkplatz zehnmal auf eine Frau aus der Gemeinde, die aber leicht verletzt fliehen konnte. Dann schoss der Mann auf eine Fensterscheibe des Saals, verschaffte sich unter „permanenten Schüssen“, so Augenzeugen, Zugang zum Saal, in dem gerade eine Veranstaltung stattfand. 135 Schüsse gab der Täter ab, tötete sechs Menschen zwischen 33 und 60 Jahren, davon zwei Frauen und vier Männer, und ein ungeborenes Kind im Bauch seiner Mutter, die das Attentat überlebte (vgl. FR). Als polizeiliche Spezialeinsatzkräfte der USE („Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen“) das Gebäude betraten, floh der 35-Jährige ins erste Obergeschoss und tötete sich selbst. Bei sich hatte er noch 22 volle Magazine für seine Pistole. Die USE war gerade zufällig in der Nähe gewesen und deshalb bereits nach vier Minuten am Tatort. Das dürfte vielen Menschen das Leben gerettet haben (vgl. tagesschau.de).

Der mutmaßliche Täter

Über den mutmaßlichen Täter* ist bekannt, dass er selbst ein ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas war. Er soll die christlich-fundamentalistische Gemeinschaft freiwillig, aber  „nicht im Guten“ verlassen haben. Er lebte seit 2014 in Hamburg und ist ledig. Seine Waffe, eine halbautomatische Heckler und Koch des Typs P30, soll auch die Tatwaffe sein. Er besaß die Waffe seit Dezember 2022 legal, weil er Sportschütze war.

Allerdings ging im Januar 2023 ein anonymes Schreiben bei der Polizei ein, dass dem mutmaßlichen Täter psychische Probleme bescheinigte, die er aber nicht behandeln lassen wolle. Im Schreiben hieß es, er habe eine Wut auf alles Religiöse, besonders aber auf die Zeugen Jehovas. Daraufhin überprüfte die Polizei den Mann, konnte aber keine Besonderheiten oder Ungereimtheiten feststellen.

Größenwahn und fundamentalchristliche Visionen

Ins Internet haben die Beamten dabei wohl nicht geschaut: Denn schon die Homepage des angeblichen Unternehmensberaters zeigt nicht nur eine fundamentalchristliche Prägung, die den Glauben an Gott als Lösung sämtlicher unternehmerischer Probleme anpreist, sondern auch einen Hang zum Größenwahn: So rief der 35-Jährige, der sich im September 2022 selbstständig gemacht hatte, ein Honorar von 250.000 Euro pro Tag auf. Ob er auch nur einen einzigen Kunden gehabt hat, ist nicht bekannt.

Mehr noch bewarb der Mann auf seiner Website auch ein Buch, das er selbst verfasst und im Amazon-Selbstverlag veröffentlicht hatte. In der Pressemitteilung zum Buch vom 3. Januar 2023 schreibt er: „Dieses Buch wird verändern, wie Sie die Welt sehen. Es wird ein neues Standardbuch neben der Bibel und dem Koran. Ein Buch, das in hundert Jahren noch genauso wertvoll sein wird wie heute“. Auch als Pflichtlektüre für Führungspersönlichkeiten und Wissenschaftler*innen sei es geeignet.

Im Buch findet sich eine Mischung aus Bibelexegese und Management-Sprech, die der Attentäter zu einer kruden Weltinterpretation vermengt, berichten verschiedene Medien (vgl. RND, t-online). Einige Elemente erinnern an das fundamentalchristliche Weltbild der Zeugen Jehovas, die etwa an ein 1000-jähriges Reich Jehovas nach der Wiederkehr von Christus glauben. Der Attentäter setzt allerdings – anders an die Zeugen Jehovas, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden –  dieses 1000-jährige Reich Jesu Christi mit dem 1000-jährigen Reich Adolf Hitlers gleich, sieht Hitler als ein Werkzeug Gottes an und den Holocaust – wie auch Coronavirus-Pandemie oder Russlands Angriffkrieg gegen die Ukraine – als Gottesurteile oder „Handlungen des Himmels“ an. Ob er diese Ansichten auch in der Gemeinde äußerte und ob dies zum Bruch mit den Zeugen Jehovas führte, ist derweil noch unklar.

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Andere Teile des Buches enthalten Homofeindlichkeit und Misogynie, beides Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die auch zur Lehre der Zeugen Jehovas gehören. Der Täter wetterte gegen Prostitution und Homosexualität, sah Frauen in einer „dekorativen Rolle“, dem Mann untergeordnet. Die abgeschottete Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas sieht sich als einzige auserwählte Gemeinschaft im Sinne Jehovas an und verachtet alle anderen Religionsgemeinschaften – auch die christlichen – als von Satan besessen. Der Attentäter scheint seinen Hass auf andere Religionen dann auch auf die Zeugen Jehovas ausgeweitet zu haben. Derweil beschreibt er göttliche Visionen und „prophetische Träume“, die er gehabt haben will, und sieht sich selbst als Gesandten Gottes. Seinen Leser*innen verspricht er eine „100-Prozent-Zufriedenheitsrate“.

Über sich selbst schrieb der Attentäter, er sei in einem streng evangelikalen Haushalt im Allgäu aufgewachsen und durch einen Vorfall habe er das Bedürfnis nach Spiritualität verspürt. Dann habe er „prophetische Träume“ gehabt. „Plötzlich entwickelte sich ein Verständnis für die Heilige Schrift, das vorher nicht da war“, schrieb er im Buch. „Der Autor durchlief eine persönliche Höllenreise, die über drei Jahre andauerte.“

Grünen-Politikerin Lamya Kaddor hat das Buch quergelesen und sagt: „Das Buch ist das Werk eines religiös-radikalisierten Extremisten. Das zeigt bereits ein flüchtiger Blick.“ Deshalb sei es auch unverständlich, wenn das nach einem Hinweis auf den Mann von der Waffenbehörde nicht wahrgenommen worden sei (vgl. t-online)

Die Familie bemerkte die Veränderung, wusste sich aber nicht zu helfen

Ähnliches berichtet ein Verwandter des Täters, über den n-tv mit Bezug auf die Augsburger Allgemeine berichtet. Der Verwandte beschreibt den Täter in einem wahnhaft-verschwörungsgläubigen Zustand: „Er ist komplett einem religiösen Wahn verfallen, hatte Visionen, fühlte sich verfolgt.“ Laut dem Verwandten sind Familienmitglieder des Täters selbst Zeugen Jehovas.  Er sei ausgestiegen, weil ihm der psychische Druck in der Gemeinde zu groß gewesen sei. Der Täter sei mit Anfang 20 nach Hamburg gezogen, habe den Kontakt zu den Zeugen Jehovas gesucht, sich dort aber „belogen“ gefühlt. Nach anderthalb Jahren sei er wieder ausgetreten „und dann in kompletten Wahn verfallen“. Danach sei der Attentäter „hochaggressiv“ aufgetreten, wie ein „Maniac“ und als „Pseudomanager“: „Das hatte nichts mehr mit dem Menschen zu tun, den ich kannte.“ Über das Umfeld des Täters in Hamburg wisse er wenig – er habe aber das Gefühl, „dass da einiges passiert ist, was nicht nur mit den Zeugen Jehovas zu tun hat“. Der 35-Jährige sei ihm zuletzt krank vorgekommen, habe aber seinen eigenen wahnhaften psychischen Zustand nicht wahrhaben wollen, obwohl seine Familie ihn immer wieder gebeten hätte, sich Hilfe zu suchen. Von dessen Waffenbesitzkarte habe er aber nichts gewusst.

Derweil sind die Zeugen Jehovas ebenso wie viele Politiker*innen „tief betroffen von der schrecklichen Amoktat“ und sprechen den Familien und Augenzeugen ihr Mitgefühl aus. Ob Waffenkontrollen verschärft werden müssen, wird in den kommenden Tagen diskutiert werden. Bundesinnenministerin Nancy Faeser kündigte an, beim Antrag auf eine Waffenbesitzkarte solle künftig überprüft werden, „ob jemand psychologisch geeignet ist“ (vgl. SZ).

* Name ist der Redaktion bekannt ist, aber wir nennen ihn nicht, weil Attentäter in der Regel nach dem Ruhm ihres Namens streben.

Das Foto wird veröffentlicht unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-NC 2.0.

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