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Aufarbeiten statt Aufrechnen Zum 22. Todestag von Amadeu Antonio

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Amadeu Antonio Kiowa, Gedenktafel in Eberswalde (Quelle: privat/Mut gegen rechte Gewalt)

Es ist die Nacht zum 25. November 1990. Der junge Vertragsarbeiter Amadeu Antonio Kiowa hat mit Freunden das Lokal „Hüttengasthof“ in Eberswalde besucht. Als sie auf die Straße treten, treffen sie auf eine 60-köpfige Horde Neonazis – der Auftakt einer brutalen Hetzjagd durch den brandenburgischen Ort. Die Gruppe teilt sich: Während Amadeu Antonios Freunde und Begleiterinnen schwer verletzt flüchten können, wird er selbst von rund zehn Schlägern verfolgt. Der Mob prügelt mit Baseballschlägern und Zaunlatten auf den damals 28-Jährigen ein – selbst, als er bereits am Boden liegt, treten die Nazis weiter auf ihn ein. Erst, als ein Bus vorbei fährt, lässt die Gruppe von dem bereits Bewusstlosen ab.

Noch unglaublicher als der Mord ist die Tatsache, dass zwei Zivilfahnder das Geschehen die ganze Zeit beobachten. Aus Angst, selbst zur Zielscheibe zu werden, halten sie Abstand und rufen aus sicherer Entfernung Verstärkung. Doch die 20 voll ausgerüsteten Polizisten, die den Tatort erreichen, schreiten zu spät ein: Amadeu Antonio wird nie wieder das Bewusstsein erlangen und schließlich am 6. Dezember 1990 den Folgen der erbarmungslosen Attacke erliegen.

Eberswalde und die Folgen

Der Mord an Amadeu Antonio, der zu den ersten Todesopfern rechtsextremer Gewalt nach der Wende gehört, hat Eberswalde geprägt. Der Name der Stadt wurde wie Mölln und Solingen zu einem Synonym für die blutigen Auswirkungen rechtsextremer Gewaltausbrüche. Die Folgen des Mordes für die Stadt sind ambivalent: Zum einen haben sich als Reaktion auf die Tat zivilgesellschaftliche Initiativen gegründet, die durch ihr intensives und fortdauerndes Engagement dafür arbeiten, ein tolerantes und weltoffenes Klima in Eberswalde zu schaffen. Nicht zuletzt wurde die Amadeu Antonio Stiftung ins Leben gerufen, deren Ziel es ist, die Zivilgesellschaft gegen rechtsextreme Alltagskultur zu stärken.

Doch auch 22 Jahre nach der Tat zeigt der Umgang mit dem Mord an Amadeu Antonio in Eberswalde auch etwas anderes: Wie schnell die Debatte über die angemessene Form der Erinnerung und des Gedenkens in eine unwürdige Diskussion voller rassistischer Stereotype und reflexhafter Abwehrhaltungen umschlagen kann.

Ein Streit, der die ganze Stadt erfasst

Bislang erinnert eine schlichte Tafel an die Tat. Über die Frage eines würdigen Gedenkens ist ein Streit in der Stadt entbrannt, der bis heute nicht wirklich gelöst wurde. Den Anfang machte die Initiative „Light me Amadeu“, die als Reaktion auf den Mord gegründet wurde. Sie machte im März vergangenen Jahres, unterstützt vom afrikanischen Kulturverein „Palanca“, den Vorschlag, einen Teil der Eberswalder Straße in Amadeu-Antonio-Straße umzubenennen – nämlich genau jenen Abschnitt, auf dem Amadeu Antonio angegriffen wurde. Diesen Vorschlag brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im September 2011 in den Kulturausschuss und die Stadtverordnetenversammlung ein – der Beginn einer Debatte, die schließlich die ganze Stadt ergreifen sollte.

Gedenkveranstaltung am 12. August 2012 in Eberswalde zum 50. Geburtstag  von Amadeu Antonio (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

Schier unvereinbare Positionen wurden deutlich: Für die einen bedeutete eine Straßenumbenennung ein deutliches Zeichen gegen Rassismus und für Toleranz. Die anderen argumentierten, ein solcher Schritt sei nicht nur mit zu hohen Kosten verbunden, sondern verdecke zudem, dass es auch andere Gewaltopfer gegeben habe. Die Gegner der Straßenumbenennung formierten sich unter dem Namen „Das fünfte Gebot“. Der Titel der Initiative bezieht sich auf das biblische Tötungsverbot, auch Stadtverordnete und Kirchenvertreter gehören zu der Gruppierung.

Gerade das Argument, mit einem würdigen Gedenken an Amadeu Antonio würden andere Gewaltopfer aus dem Blickfeld geraten, ist nur allzu bekannt: Es erinnert jeden, der sich kritisch mit der rechtsextremen Szene beschäftigt, an die allzu oft gehörte Frage: „Und was ist mit dem Linksextremismus?“ Diese wie auch ähnlich geartete Argumentationen verstellen den Blick auf das Wesentliche: Es geht hier darum, die Dimension des Problems deutlich zu machen und nicht um das Aufrechnen von Opferzahlen oder dergleichen. Die Erinnerung an ein Opfer rechtsextremer Gewalt schließt eben nicht aus, Opfern anderer Gewaltverbrechen zu gedenken – allerdings muss dies differenziert und in einer eigenen Debatte passieren. Sonst droht eine Verharmlosung und unzureichende Aufarbeitung.

Rassistische Stereotype

In welche Richtung das dann führen kann, zeigt nicht zuletzt die Situation in Eberswalde: Neben vielen konstruktiven Beiträgen ging es in den vergangenen Monaten oft genug um die Frage, wer eigentlich das Recht habe, in dieser Debatte mitzureden. Nicht selten wurde dabei mehr oder minder offen unterstellt, die ganze Diskussion sei aus Berlin aufoktroyiert. Und schließlich stand sogar die Frage im Raum, ob Amadeu Antonio überhaupt „würdig“ sei, ihm in irgend einer Form zu gedenken – verleumderische Argumente, durchsetzt von rassistischen Stereotypen, machten die Runde. So hieß es etwa in einem Offenen Brief von „Das fünfte Gebot“: „Kürzlich erreicht mich noch das Gerücht, dass er (Amadeu Antonio) damals aktiv an einer körperlichen Gewalttat, gegenüber eines Eberswalders, beteiligt war, welche nicht von dem Eberswalder ausging.“

Da hinterlässt es einen bitteren Beigeschmack, wenn wenige Tage vor dem Todestag die „Märkische Oderzeitung“ einen Beitrag darüber bringt, dass es neben Amadeu Antonio noch andere Todesopfer von Gewalttaten gegeben habe. Erschreckend sind vor allem die Kommentare unter dem Artikel – ein Beispiel: „Aber wie man sieht und liest, geben diese Leute keine Ruhe und schwingen weiter die Nazikeule – pauschal gegen eine gesamte Stadt und damit auch gegen diejenigen, die damals noch nicht dort lebten oder die damals noch garnicht geboren waren.“

Eine stete Mahnung

Tatsächlich gibt es mittlerweile ein Erinnerungskonzept, das in Workshops erarbeitet und von den Stadtverordneten in Eberswalde mit deutlicher Mehrheit angenommen wurde. Es sieht vor, dass dem im Bau befindlichen Bürgerbildungszentrum bei seiner für Ende 2013 geplanten Einweihung der Name „Amadeu-Antonio-Haus“ verliehen wird. Zudem will die Stadt einen mit 1.000 Euro dotierten „Amadeu-Antonio-Preis“ ausschreiben, der zum ersten Mal 2014 an antirassistische Initiativen verliehen werden soll. Dazu soll die Gedenktafel neu gestaltet werden. Die städtischen Schulen werden außerdem mit Projektmaterial zum Thema ausgestattet, während Kinder und Jugendliche mit einer Graphic Novel über Amadeu Antonio angesprochen werden sollen.

Für Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, ist dieses Konzept ein Teilerfolg: „Es zeigt, dass sich die Stadt dem Druck von Seiten einer Gegeninitiative mit den Namen ‚Das fünfte Gebot‘ nicht gebeugt hat, die oftmals durch rassistische Aussagen auf sich aufmerksam machte.“ Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der grausamen Mordserie des NSU stünden die politischen Verantwortlichen in der Pflicht, Todesopfer rechter Gewalt im öffentlichen Raum sichtbar zu machen. Reinfrank betonte: „Der jahrelang fehlenden Sensibilität den Opfern gegenüber muss endlich ein aktives Gedenken entgegengesetzt werden.“

Symbolische Straßenumbenennung in Eberswalde zum 50. Geburtstag  von Amadeu Antonio (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

Die Straßenumbenennung kommt allerdings in diesem Konzept zunächst nicht mehr vor. Tatsächlich würde diese natürlich nicht die Lösung aller Probleme bedeuten, die es mit Rechtsextremismus gibt. Sie wäre aber ein deutliches und ständiges Zeichen im öffentlichen Raum – als Signal der Stadt, das Leid von Amadeu Antonios Familie und seiner Freunde anzuerkennen, sowie als Positionierung gegen Rassismus im Alltag. Eine Amadeu-Antonio-Straße am authentischen Ort des Geschehens würde den Mord sichtbar und bleibend im Gedächtnis halten – als stete Mahnung, sich gegen Menschenfeindlichkeit, Alltagsrassismus und Rechtsextremismus einzusetzen.

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