In einer aktuellen Studie haben sich Forscher_innen vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) detailliert mit der Landtagsarbeit der zehn AfD-Fraktionen beschäftigt, die bis März 2017 in deutsche Länderparlamente eingezogen sind. Das Gesamturteil der Studienautor_innen fällt vernichtend aus: »In den Arbeitsroutinen der AfD-Landtagsfraktionen bestehen nach wie vor große Mängel […], vertiefte Sachkenntnisse fehlen«. Die Rechtspopulist_innen würden die »komplexeren Instrumente, für die eine höhere inhaltliche Kompetenz vonnöten wäre«, kaum durchschauen. Und: »Das geht über Anfängerprobleme hinaus«.
In einer parlamentarischen Demokratie sollen Parlamente möglichst viele gesellschaftliche Gruppen und Meinungen vertreten. Rechtspopulist_innen betrachten diesen Pluralismus jedoch als Störfall und nicht als erstrebenswertes Ideal. Nach ihrer Ansicht gibt es einen einheitlichen Volkswillen, den geeignete Politiker_innen lediglich erkennen und umsetzen müssten. Die AfD ist der Ansicht, dass die in den Parlamenten »etablierten« Parteien diesen homogenen Volkswillen nicht im Ansatz widerspiegeln – sondern sie selbst. Für Rechtspopulist_innen sind Parteien lediglich ein Instrument, um in einer parlamentarischen Demokratie Macht zu erlangen. Die Partei ist das Instrument, das Parlament eine Bühne – aber nicht die wichtigste Bühne.
Um bei einer Debatte im Thüringer Landtag 2016 für ein Verbot der Vollverschleierung zu demonstrieren, erschien die AfD-Abgeordnete Wiebke Muhsal in einem Niqab. Die Sitzung wurde unterbrochen. In Sachsen-Anhalt sprach sich Ministerpräsident Reiner Haseloff in einer Regierungserklärung 2016 gegen eine weitere Polarisierung der Gesellschaft, ein Anwachsen von Hass und Gewalt, Ausgrenzung und Abschottung aus. Der AfD-Fraktionsvorsitzende attackierte ihn daraufhin scharf, die AfD-Fraktion zog anschließend geschlossen aus dem Plenarsaal und nahm vor dem Parlament an einer Demonstration gegen höhere Abwassergebühren teil. Anstatt ohne die AfD die Sitzung fortzuführen, zogen daraufhin auch andere Parlamentarier_innen vor den Landtag, um zur Demonstration zu reden, und gingen so der Provokation der AfD auf den Leim. Die AfD wurde bejubelt und der Sprecher der Regierung ausgepfiffen – ein klarer Punktsieg für die AfD.
Die Beispiele zeigen: Die Partei provoziert gezielt, ihr geht es um Protest und Aufmerksamkeit statt um Mitarbeit. Die anderen Parteien agieren mitunter hilflos und uneinig auf derlei Provokationen. An die Anhängerschaft der AfD sollen solche Auftritte Signale aussenden, die den Ruf der AfD als Kümmerer und vermeintlich einzige echte Oppositionspartei bestärken.
Arbeitet die AfD auf einer Sachebene in den Parlamenten mit?
Offenbar gehören Kleine Anfragen zu den bevorzugten Mitteln der AfD, die Zivilgesellschaft auszuforschen und einzuschüchtern sowie Regierungen und Verwaltungen unter Druck zu setzen, teilweise sogar zu lähmen. Inhaltlich widmet sich die AfD der Studie des WZB folgend mit den Anfragen ihren Kernthemen: Mehr als ein Drittel der Anfragen entfällt auf die beiden Themenbereiche Sicherheit und Ordnung sowie Migration.
22.600 Kleine Anfragen wurden zwischen Oktober 2014 und April 2017 in den zehn untersuchten Parlamenten gestellt – 20 Prozent davon durch die AfD (Gesamt 4.694). Sächsische Parlamentarier_innen sind am aktivsten: Jede_r sächsische AfD-Abgeordnete stellte im Durchschnitt 4,2 Kleine Anfragen pro Monat. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt stammten mehr als 40 Prozent aller Kleinen Anfragen von der AfD, in Thüringen waren es mehr als ein Drittel.
Die komplexeren parlamentarischen Oppositionsinstrumente wie Große Anfragen oder Anträge, für die eine höhere inhaltliche Kompetenz vonnöten wäre, werden von der AfD hingegen kaum genutzt. Den Wissenschaftler_innen vom WZB zufolge tritt die geringe Kompetenz auch in der Ausschussarbeit zutage: So würden etwa »Kleine Anfragen rege genutzt, weniger jedoch die komplexeren Instrumente, wie Große Anfragen oder Anträge, für die eine höhere inhaltliche Kompetenz vonnöten wäre«, und in Beratungen zur Haushaltsaufstellung, einem zentralen Recht des Parlaments, vertiefte Sachkenntnisse fehlen. Aus Hamburg und Baden-Württemberg wird berichtet, dass auch nach einer mehr als einjährigen Lernphase noch immer wichtige Fra-gerunden ohne AfD-Beteiligung stattfinden, schlicht weil Fristen zur Einreichung der Fragen verpasst wurden. Parlamentskolleg_innen sprechen in Interviews von teils »heilloser Überforderung«.
Vertreter_innen der AfD nutzen ihre Präsenz in den Länderparlamenten als Chance, sich als wahre Demokrat_innen zu inszenieren. Dabei stechen ihre Politiker_innen nicht durch Sachverstand und Mitarbeit in länderpolitischen Fragen hervor: Sie inszenieren sich vielmehr immer wieder als Opfer feindseliger Kampagnen und als »einzig wahre Oppositionspartei«.
Handlungsempfehlungen für die Auseinandersetzung in Parlamenten
Bundesverband Mobile Beratung e.V.
Die wichtigsten Grundsätze der parlamentarischen Auseinandersetzung mit Rechtspopulist_innen sind:
# Keine Bündnisse mit ihnen
Kein Kalkulieren mit Stimmen der AfD!
# Den Umgang mit der AfD überparteilich abstimmen
Demokratische Parteien oder Wähler_innengemeinschaften sollten sich miteinander über den Umgang mit der AfD verständigen. Der Konsens sollte mit so vielen Parteien wie möglich gesucht werden und sowohl inhaltlich entschieden als auch formal korrekt sein. Sinnvoll ist es, diejenigen Punkte schriftlich zu fixieren und öffentlich zu machen, in denen Konsens über die Auseinandersetzung mit der AfD besteht. Dabei ist einzukalkulieren, dass solche Verabredungen die Rhetorik vom »Kartell der Altparteien« befeuern wird und dies ausgehalten werden muss. Um die eigenen Ressourcen effektiv einzusetzen, sollten manche gezielten Provokationen der AfD situativ ignoriert, jedoch rassistische und menschenverachtende Äußerungen und parlamentarische Initiativen klar zurückgewiesen werden. Außerdem ist es sinnvoll, festzulegen: Wer reagiert stellvertretend für alle? Wie wird mit der Teilnahme der AfD an bestimmten Gremien, bei öffentlichen Auftritten, mit ihren Anträgen, ihrem Abstimmungsverhalten usw. umgegangen? Wo sollte sie ausgeschlossen oder nicht aufgenommen werden?
# Verbindungen zum Rechtsextremismus offenlegen
Gibt es bei AfD-Abgeordneten Überschneidungen und Verbindungen zur extremen Rechten, müssen diese offengelegt und thematisiert werden. Dies gilt einerseits für einzelne Personen mit rechtsextremer Biografie, Haltungen oder Verbindungen zur rechtsextremen Szene, aber auch bei inhaltlichen Aussagen und Parolen der AfD, ihrem öffentlichen Auftreten, Erscheinungsbild sowie der Rhetorik ihrer Protagonist_innen.
# Offensive Solidarisierung mit den Betroffenen von Diskriminierung
Rechtspopulistische Positionen, wie die Forderung nach einer Verschärfung des Asylrechts oder der Überwachungsgesetze, dem Schießbefehl an der Grenze oder der Kürzung von Sozialleistungen, richten sich direkt gegen bestimmte Personengruppen. Dazu gehören unter anderem Geflüchtete und andere Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Bezieher_innen von Sozialleistungen, muslimische und jüdische Mitbürger_innen, Feminist_innen und Angehörige sexueller Minderheiten, engagierte Demokrat_innen und Linke. Abgeordnete sollten sich aktiv schützend vor die Menschen stellen, die durch Rechtspopulist_innen angefeindet und von ihrem Machtgewinn am meisten bedroht werden.
# Über gesellschaftliche Konsequenzen rechtspopulistischer Politik aufklären
Nicht nur gesellschaftliche Minderheiten sind von einem Machtgewinn der AfD betroffen. Die Umsetzung der AfD-Programmatik würde vielmehr die Lebensbedingungen der meisten Menschen erheblich verschlechtern. Um dies öffentlich zu vermitteln, bedarf es inhaltlicher Kritik an den Positionen der AfD.
# Die Rhetorik der AfD umkehren
Nicht die AfD wird ausgegrenzt, sondern sie selbst grenzt sich inhaltlich und formal aus. Inhaltlich grenzt sie sich aus, weil ihre Positionen zum Teil antidemokratisch, nationalistisch und rassistisch sind. Formal grenzt sich die AfD mit ihrer pauschalen Rhetorik gegenüber dem »Altparteienkartell«, dem »Gutmenschentum«, dem »Tugend-Terror«, der »Lügenpresse« usw. aus, mit der sie dem bestehenden demokratischen Rechtsstaat, der Gewaltenteilung und dem Pluralismus widerspricht. Wenn die AfD behandelt werden will wie andere Parteien, muss sie sich glaubwürdig von rechtsextremer und -populistischer Programmatik sowie dem entsprechenden (Spitzen-)Personal trennen.
# Konstruktiven Streit über Unterschiede führen
Vielen Bürger_innen fällt es schwer, die programmatischen Unterschiede zwischen demokratischen Parteien zu erkennen und zu deuten. Rechtspopulistische Parteien sind erfolgreich, wenn andere Parteien keine inhaltliche Kontroversität bieten und kein konstruktiver Streit um unterschiedliche Konzepte und Lösungsideen erkennbar ist. Die Attraktivität der vorgeblichen »Alternative« für Deutschland fällt mit der Attraktivität und Vitalität der demokratischen Gegenkonzepte.
# Mehrheiten benennen und transparent bleiben
Über 95 Prozent der bundesdeutschen Wähler haben die AfD bei der Bundestagswahl 2013 nicht gewählt. Viele Menschen engagieren sich in der Unterstützung Geflüchteter oder in sozialen Projekten. Die große Mehrheit der Menschen schätzt die Errungenschaften von Demokratie und Menschenrechten. Diese Mehrheit zu benennen und aus einer Position der Stärke heraus zu agieren, ist sowohl für die öffentliche Kommunikation als auch für die Auseinandersetzung mit der AfD geboten.
# Verantwortung vor Ort übernehmen
Rechtspopulist_innen wettern pauschal gegen »die da oben« und verbreiten die Ansicht, »die kleinen Leute« hätten keine Möglichkeiten der Mitgestaltung. Dabei bietet gerade die Kommune und das direkte Lebensumfeld der Menschen ein hohes Gestaltungs- und Veränderungspotenzial für den_die Einzelne_n. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit in der Kommune kann dazu beitragen, dass Rechtspopulist_innen ihre Handlungsräume entzogen werden – kommunale Mandats- und Entscheidungsträger_innen sollten sie (nicht nur) deshalb in Entscheidungsprozesse einbeziehen.
# Eigene Positionen reflektieren und glaubhaft vertreten
Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen auf Grundlage von zum Beispiel Aussehen, Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Behinderung sind in der ganzen Gesellschaft verbreitet. Die AfD und andere rechtspopulistische Gruppierungen sind auch deshalb erfolgreich, weil sie an vorhandenen Einstellungen ansetzen und sie zuspitzen. Da von solchen Haltungen auch demokratische Akteur_innen nicht frei sind, ist für eine glaubhafte Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus eine kritische Reflexion der eigenen vertretenen Positionen erforderlich. Bei diesem andauernden Lernprozess gilt es, für sich selbst und seine Mitstreiter_innen eine eigene menschenrechtsorientierte Position zu entwickeln. Hierfür ist die Perspektive derjenigen wichtig, die von Diskriminierung und rechtspopulistischer Politik betroffen sind. Selbstreflexion und Solidarität müssen nicht nur grundlegende Bestandteile einer demokratischen Gesellschaft sein, sie sind auch eine Alternative zum autoritären Politikstil der Rechtspopulist_innen.
Mehr zum Thema in der Broschüre „Positionieren. Konfrontieren. Streiten“:
Praxisbeispiel Sachsen-Anhalt: »Die politischen Intentionen sichtbar machen«Praxisbeispiel Berlin: Ein Konsens gegen Rechts
Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre „Positionieren Konfrontieren Streiten -Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD“ der Amadeu Antonio Stiftung.
Sie können die Broschüre auf der Website der Amadeu Antonio Stiftung als pdf herunterladen oder unter info@amadeu-antonio-stiftung.de gedruckt bestellen.
MEHR AUS DER BROSCHÜRE AUF BELLTOWER.NEWS
Umgang mit der AfD: „Sie streben einen Systemwandel an“Mit Rechtspopulist_innen debattieren?
Weiterlesen im Web:
ARUG-ZDB und Wabe e.V.: Handreichung zum kommunalpolitischen Umgang mit der AfD in Niedersachsen, Wolfsburg 2017, www.arug-zdb.de/images/pdf/umgang_mit_der_afd.pdfCDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt: Abgrenzen statt ausgrenzen. Diskussionsstrategien zum Umgang mit der AfD, Magdeburg 2017, www.cdufraktion.de/wp-content/uploads/2017/01/Papier-zum-Umgang-mit-der-AfD_Final.pdfDavid Begrich und Pascal Begrich: Kulturkampf von rechts. Ein Jahr AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2017, http://www.miteinander-ev.de/index.php?page=61&modaction=detail&modid=650– und schön deutsch soll Erfurt bleiben!« Das politische Erscheinungsbild der Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) in Thüringen, Erfurt 2015, www.festhueringen.de/media/2010/06/AfD-Studie_ONLINE.pdfMBT Hessen: Neue Nachbarn. Rechtspopulismus in Hessen, Kassel 2017, http://mbt-hessen.org/images/material/MBT_Broschuere_Rechtspopulismus_32S_A4_12.pdfMiro Jennerjahn: Ein Jahr AfD im sächsischen Landtag. E-Paper, Dresden 2016, www.boell.de/sites/default/files/2016-03-afd_im_saechsischen_landtag.pdfWolfgang Schroeder, Bernhard Weßels u.a.: Parlamentarische Praxis der AfD in deutschen Landesparlamenten. Discussion Paper, Berlin 2017, https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2017/v17-102.pdf