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Auseinandersetzung mit der AfD in Parlamenten und Kommunalvertretungen

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Landtag als Bühne: Wiebke Muhsal bei ihrer "Burka"-Aktion im Landtag von Erfurt. Wenn Sie die nicht freiwillig anzieht, so wie hier, ist die Angst vor Verschleierung komplett von der Realität entkoppelt: 0,6 Prozent der Thüringer Bevölkerung sind Muslime und die haben sicher besseres zu tun als Muhsal zu verschleiern. (Quelle: Screenshot Youtube, 24.08.2017)

 

In einer aktuellen Studie haben sich Forscher_innen vom Wissenschaftszentrum  Berlin  (WZB)  detailliert  mit  der Landtagsarbeit der zehn AfD-Fraktionen beschäftigt, die bis März 2017 in deutsche Länderparlamente eingezogen sind. Das Gesamturteil der Studienautor_innen fällt vernichtend aus:  »In  den  Arbeitsroutinen  der  AfD-Landtagsfraktionen bestehen  nach  wie  vor  große  Mängel  […],  vertiefte  Sachkenntnisse fehlen«. Die Rechtspopulist_innen würden die »komplexeren Instrumente, für die eine höhere inhaltliche Kompetenz  vonnöten  wäre«,  kaum  durchschauen.  Und: »Das geht über Anfängerprobleme hinaus«.

In einer parlamentarischen Demokratie sollen Parlamente möglichst viele gesellschaftliche Gruppen und Meinungen vertreten. Rechtspopulist_innen betrachten diesen Pluralismus jedoch als Störfall und nicht als erstrebenswertes Ideal. Nach ihrer Ansicht gibt es einen einheitlichen Volkswillen,  den  geeignete  Politiker_innen  lediglich  erkennen und umsetzen müssten. Die AfD ist der Ansicht, dass die in den Parlamenten »etablierten« Parteien diesen homogenen Volkswillen nicht im Ansatz widerspiegeln – sondern sie selbst. Für Rechtspopulist_innen sind Parteien lediglich ein Instrument, um in einer parlamentarischen Demokratie Macht zu erlangen. Die Partei ist das Instrument, das Parlament eine Bühne – aber nicht die wichtigste Bühne.

Um bei einer Debatte im Thüringer Landtag 2016 für ein Verbot der Vollverschleierung zu demonstrieren, erschien die AfD-Abgeordnete Wiebke Muhsal in einem Niqab. Die Sitzung wurde unterbrochen. In Sachsen-Anhalt sprach sich Ministerpräsident  Reiner  Haseloff  in  einer  Regierungserklärung 2016 gegen eine weitere Polarisierung der Gesellschaft, ein Anwachsen von Hass und Gewalt, Ausgrenzung und  Abschottung  aus.  Der  AfD-Fraktionsvorsitzende  attackierte ihn daraufhin scharf, die AfD-Fraktion zog anschließend geschlossen aus dem Plenarsaal und nahm vor dem Parlament an einer Demonstration gegen höhere Abwassergebühren teil. Anstatt ohne die AfD die Sitzung fortzuführen,  zogen  daraufhin  auch  andere  Parlamentarier_innen vor den Landtag, um zur Demonstration zu reden, und gingen so der Provokation der AfD auf den Leim. Die AfD wurde bejubelt und der Sprecher der Regierung ausgepfiffen – ein klarer Punktsieg für die AfD.

Die  Beispiele  zeigen:  Die  Partei  provoziert  gezielt,  ihr geht es um Protest und Aufmerksamkeit statt um Mitarbeit. Die anderen Parteien agieren mitunter hilflos und uneinig auf derlei Provokationen. An die Anhängerschaft der AfD sollen solche Auftritte Signale aussenden, die den Ruf der AfD als Kümmerer und vermeintlich einzige echte Oppositionspartei bestärken.

 

Arbeitet die AfD auf einer Sachebene in den Parlamenten mit?

 

Offenbar  gehören  Kleine  Anfragen  zu  den  bevorzugten Mitteln  der  AfD,  die  Zivilgesellschaft  auszuforschen  und einzuschüchtern sowie Regierungen und Verwaltungen unter Druck zu setzen, teilweise sogar zu lähmen. Inhaltlich widmet sich die AfD der Studie des WZB folgend mit den Anfragen ihren Kernthemen: Mehr als ein Drittel der Anfragen entfällt auf die beiden Themenbereiche Sicherheit und Ordnung sowie Migration.

22.600 Kleine Anfragen wurden zwischen Oktober 2014 und April 2017 in den zehn untersuchten Parlamenten gestellt  –  20  Prozent  davon  durch  die  AfD  (Gesamt  4.694). Sächsische Parlamentarier_innen sind am aktivsten: Jede_r sächsische  AfD-Abgeordnete  stellte  im  Durchschnitt  4,2 Kleine  Anfragen  pro  Monat.  In  Baden-Württemberg  und Sachsen-Anhalt stammten  mehr  als  40 Prozent aller Kleinen Anfragen von der AfD, in Thüringen waren es mehr als ein Drittel.

Die komplexeren parlamentarischen Oppositionsinstrumente wie Große Anfragen oder Anträge, für die eine höhere inhaltliche Kompetenz vonnöten wäre, werden von der AfD  hingegen  kaum  genutzt.  Den  Wissenschaftler_innen vom WZB zufolge tritt die geringe Kompetenz auch in der Ausschussarbeit zutage: So würden etwa »Kleine Anfragen rege genutzt, weniger jedoch die komplexeren Instrumente, wie Große Anfragen oder Anträge, für die eine höhere inhaltliche Kompetenz vonnöten wäre«, und in Beratungen zur Haushaltsaufstellung, einem zentralen Recht des Parlaments, vertiefte Sachkenntnisse fehlen. Aus Hamburg und Baden-Württemberg wird berichtet, dass auch nach einer mehr als einjährigen Lernphase noch immer wichtige Fra-gerunden  ohne  AfD-Beteiligung  stattfinden,  schlicht  weil Fristen zur Einreichung der Fragen verpasst wurden. Parlamentskolleg_innen sprechen in Interviews von teils »heilloser Überforderung«.

Vertreter_innen der AfD nutzen ihre Präsenz in den Länderparlamenten als Chance, sich als wahre Demokrat_innen  zu  inszenieren.  Dabei  stechen  ihre  Politiker_innen nicht  durch  Sachverstand  und  Mitarbeit  in  länderpolitischen Fragen hervor: Sie inszenieren sich vielmehr immer wieder  als  Opfer  feindseliger  Kampagnen  und  als  »einzig wahre Oppositionspartei«.

 

 

Handlungsempfehlungen für die Auseinandersetzung in Parlamenten

 

Bundesverband Mobile Beratung e.V.

 

Die wichtigsten Grundsätze der parlamentarischen Auseinandersetzung mit Rechtspopulist_innen sind:

 

# Keine Bündnisse mit ihnen

Kein Kalkulieren mit Stimmen der AfD!

 

# Den Umgang mit der AfD überparteilich abstimmen

Demokratische  Parteien  oder  Wähler_innengemeinschaften sollten sich miteinander über den Umgang mit der AfD verständigen. Der Konsens sollte mit so vielen Parteien wie möglich  gesucht  werden  und  sowohl  inhaltlich  entschieden als auch formal korrekt sein. Sinnvoll ist es, diejenigen Punkte schriftlich zu fixieren und öffentlich zu machen, in denen Konsens über die Auseinandersetzung mit der AfD besteht.  Dabei  ist  einzukalkulieren,  dass  solche  Verabredungen die Rhetorik vom »Kartell der Altparteien« befeuern wird und dies ausgehalten werden muss. Um die eigenen Ressourcen effektiv einzusetzen, sollten manche gezielten Provokationen der AfD situativ ignoriert, jedoch  rassistische  und  menschenverachtende  Äußerungen und parlamentarische Initiativen klar zurückgewiesen werden. Außerdem ist es sinnvoll, festzulegen: Wer reagiert stellvertretend für alle? Wie wird mit der Teilnahme der AfD an bestimmten Gremien, bei öffentlichen Auftritten, mit ihren Anträgen, ihrem Abstimmungsverhalten usw. umgegangen? Wo sollte sie ausgeschlossen oder nicht aufgenommen werden?

 

# Verbindungen zum Rechtsextremismus offenlegen

Gibt es bei AfD-Abgeordneten Überschneidungen und Verbindungen zur extremen Rechten, müssen diese offengelegt und thematisiert werden. Dies gilt einerseits für einzelne Personen mit rechtsextremer Biografie, Haltungen oder Verbindungen zur rechtsextremen Szene, aber auch bei inhaltlichen Aussagen und Parolen der AfD, ihrem öffentlichen Auftreten, Erscheinungsbild sowie der Rhetorik ihrer Protagonist_innen.

 

# Offensive Solidarisierung mit den Betroffenen von Diskriminierung

Rechtspopulistische Positionen, wie die Forderung nach einer Verschärfung des Asylrechts oder der Überwachungsgesetze, dem Schießbefehl an der Grenze oder der Kürzung von Sozialleistungen, richten sich direkt gegen bestimmte Personengruppen. Dazu gehören unter anderem Geflüchtete und andere Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, Bezieher_innen von Sozialleistungen, muslimische und jüdische Mitbürger_innen, Feminist_innen und Angehörige sexueller  Minderheiten,  engagierte  Demokrat_innen  und  Linke. Abgeordnete sollten sich aktiv schützend vor die Menschen stellen,  die  durch  Rechtspopulist_innen  angefeindet  und von ihrem Machtgewinn am meisten bedroht werden.

 

# Über gesellschaftliche Konsequenzen rechtspopulistischer Politik aufklären

Nicht  nur  gesellschaftliche  Minderheiten  sind  von  einem Machtgewinn der AfD betroffen. Die Umsetzung der AfD-Programmatik würde vielmehr die Lebensbedingungen der meisten  Menschen  erheblich  verschlechtern.  Um  dies  öffentlich zu vermitteln, bedarf es inhaltlicher Kritik an den Positionen der AfD.

 

# Die Rhetorik der AfD umkehren

Nicht die AfD wird ausgegrenzt, sondern sie selbst grenzt sich  inhaltlich  und  formal  aus.  Inhaltlich  grenzt  sie  sich aus, weil ihre Positionen zum Teil antidemokratisch, nationalistisch und rassistisch sind. Formal grenzt sich die AfD mit ihrer pauschalen Rhetorik gegenüber dem »Altparteienkartell«,  dem  »Gutmenschentum«,  dem  »Tugend-Terror«, der »Lügenpresse« usw. aus, mit der sie dem bestehenden demokratischen Rechtsstaat, der Gewaltenteilung und dem Pluralismus widerspricht. Wenn die AfD behandelt werden will  wie  andere  Parteien,  muss  sie  sich  glaubwürdig  von rechtsextremer  und  -populistischer  Programmatik  sowie dem entsprechenden (Spitzen-)Personal trennen.

 

# Konstruktiven Streit über Unterschiede führen

Vielen  Bürger_innen  fällt  es  schwer,  die  programmatischen  Unterschiede  zwischen  demokratischen  Parteien zu erkennen und zu deuten. Rechtspopulistische Parteien sind  erfolgreich,  wenn  andere  Parteien  keine  inhaltliche Kontroversität  bieten  und  kein  konstruktiver  Streit  um unterschiedliche  Konzepte  und  Lösungsideen  erkennbar ist.  Die  Attraktivität  der  vorgeblichen  »Alternative«  für Deutschland fällt mit der Attraktivität und Vitalität der demokratischen Gegenkonzepte.

 

# Mehrheiten benennen und transparent bleiben

Über  95  Prozent  der  bundesdeutschen  Wähler  haben  die AfD  bei  der  Bundestagswahl  2013    nicht  gewählt.  Viele Menschen engagieren sich in der Unterstützung Geflüchteter oder in sozialen Projekten. Die große Mehrheit der Menschen  schätzt  die  Errungenschaften  von  Demokratie  und Menschenrechten.  Diese  Mehrheit  zu  benennen  und  aus einer Position der Stärke heraus zu agieren, ist sowohl für die öffentliche Kommunikation als auch für die Auseinandersetzung mit der AfD geboten.

 

 

# Verantwortung vor Ort übernehmen

Rechtspopulist_innen wettern pauschal gegen »die da oben« und verbreiten die Ansicht, »die kleinen Leute« hätten keine Möglichkeiten der Mitgestaltung. Dabei bietet gerade die Kommune und das direkte Lebensumfeld der Menschen ein hohes Gestaltungs- und Veränderungspotenzial für den_die Einzelne_n.  Die  Erfahrung  von  Selbstwirksamkeit  in  der Kommune kann dazu beitragen, dass Rechtspopulist_innen ihre Handlungsräume entzogen werden – kommunale Mandats- und Entscheidungsträger_innen sollten sie (nicht nur) deshalb in Entscheidungsprozesse einbeziehen.

 

# Eigene Positionen reflektieren und glaubhaft vertreten

Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen auf Grundlage von zum Beispiel Aussehen, Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Behinderung sind in der ganzen Gesellschaft verbreitet. Die AfD und andere rechtspopulistische Gruppierungen sind auch deshalb erfolgreich, weil sie an vorhandenen Einstellungen ansetzen und sie zuspitzen. Da von solchen Haltungen auch demokratische Akteur_innen nicht frei sind, ist für eine glaubhafte Auseinandersetzung  mit  Rechtspopulismus  eine  kritische  Reflexion  der eigenen  vertretenen  Positionen  erforderlich.  Bei  diesem andauernden Lernprozess gilt es, für sich selbst und seine Mitstreiter_innen  eine  eigene  menschenrechtsorientierte Position zu entwickeln. Hierfür ist die Perspektive derjenigen wichtig, die von Diskriminierung und rechtspopulistischer Politik betroffen sind. Selbstreflexion und Solidarität müssen nicht nur grundlegende Bestandteile einer demokratischen Gesellschaft sein, sie sind auch eine Alternative zum autoritären Politikstil der Rechtspopulist_innen.

 

 

Mehr zum Thema in der Broschüre „Positionieren. Konfrontieren. Streiten“:

Praxisbeispiel Sachsen-Anhalt: »Die politischen Intentionen sichtbar machen«Praxisbeispiel Berlin: Ein Konsens gegen Rechts

 

Dieser Text ist ein Auszug aus der  Broschüre „Positionieren Konfrontieren Streiten -Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD“ der Amadeu Antonio Stiftung

Sie können die Broschüre auf der Website  der Amadeu Antonio Stiftung als pdf herunterladen oder unter info@amadeu-antonio-stiftung.de gedruckt bestellen.

 

MEHR AUS DER BROSCHÜRE AUF BELLTOWER.NEWS

 

Umgang mit der AfD: „Sie streben einen Systemwandel an“Mit Rechtspopulist_innen debattieren?

 

Weiterlesen im Web:

 

ARUG-ZDB und Wabe e.V.: Handreichung zum kommunalpolitischen Umgang mit der AfD in Niedersachsen, Wolfsburg 2017, www.arug-zdb.de/images/pdf/umgang_mit_der_afd.pdfCDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt: Abgrenzen  statt  ausgrenzen.  Diskussionsstrategien  zum  Umgang mit der AfD, Magdeburg 2017, www.cdufraktion.de/wp-content/uploads/2017/01/Papier-zum-Umgang-mit-der-AfD_Final.pdfDavid  Begrich  und  Pascal  Begrich:  Kulturkampf  von rechts.  Ein  Jahr  AfD  im  Landtag  von  Sachsen-Anhalt, Magdeburg  2017,  http://www.miteinander-ev.de/index.php?page=61&modaction=detail&modid=650– und schön deutsch soll Erfurt bleiben!« Das politische Erscheinungsbild  der  Partei  »Alternative  für  Deutschland« (AfD) in Thüringen, Erfurt 2015, www.festhueringen.de/media/2010/06/AfD-Studie_ONLINE.pdfMBT Hessen: Neue Nachbarn. Rechtspopulismus in Hessen, Kassel 2017, http://mbt-hessen.org/images/material/MBT_Broschuere_Rechtspopulismus_32S_A4_12.pdfMiro  Jennerjahn:  Ein  Jahr  AfD  im  sächsischen  Landtag. E-Paper, Dresden 2016, www.boell.de/sites/default/files/2016-03-afd_im_saechsischen_landtag.pdfWolfgang Schroeder, Bernhard Weßels u.a.: Parlamentarische Praxis der AfD in deutschen Landesparlamenten. Discussion Paper, Berlin 2017, https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2017/v17-102.pdf

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2017-07-21-AfD-Studie-dpa-92265175_0

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