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Ausland Neonaziaufmarsch am 11. November in Warschau

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Foto: Aufmarsch in Katowice, von Marcin Lachowicz, via Flickr, cc

Ein Sammelsurium von Neonazismus, Antisemitismus und Rassismus, so lässt sich die Klientel des „Marsches der Unabhängigkeit“ wohl am besten zusammenfassen. Schon seit Jahren marschieren die Neonazis durch die Warschauer Innenstadt, lange Zeit unbehelligt von der Öffentlichkeit, teilweise sogar geduldet. Damit ist seit letztem Jahr Schluss. Im November 2010 gelang es über 3.500 Menschen unter dem Motto „Faszyzm Nie Przejdzie“- „Der Faschismus wird nicht durchkommen“, die Demoroute der Neonazis zu blockieren. Diese mussten auf einen anderen Weg ausweichen, der nicht durch die Innenstadt führte.

Auch dieses Jahr versucht ein breites Aktionsbündnis von Antifaschisten und Antifaschistinnen, Vereinen, Initiativen, Gewerkschaften und Bürgerinnen und Bürgern wieder den Marsch zu verhindern. Nach dem Modell des Dresdner Aktionskonsenses wird wieder versucht, den Aufmarsch zu blockieren. „Czy to aby na pewno jedyny sposób na manifestację sprzeciwu wobec ksenofobii i nietolerancji?“ fragt ein polnisches Blatt. Ist dies wirklich der einzige Weg, sich der Manifestation von Rassismus und Intoleranz zu widersetzen?

Leider alternativlos und notwendig

Die Veranstalter*innen wissen, dass es keine Alternative zu den Gegenprotesten gibt. Denn die extreme Rechte fühlt sich in Polen immer sicherer, greift Demonstrationen von Homosexuellen oder andere politische Gegner an. Białystok, Podlasie, Jedwabne, Krakow – die Liste ist lang und wird immer länger. Auch bei den Blockaden 2010 versuchten die Neonazis dieselben anzugreifen und zu sprengen, getreu ihrer bisher bewährten Methode, politischen Gegnern ausschließlich mit körperlicher Gewalt zu begegnen. Gleichzeitig nutzen die Neonazis die Zukunftsängste von weiten Teilen der Bevölkerung um Rassismus und Intoleranz zu schüren. Somit schaffen sie es, als „normale Patrioten“ durchzugehen und immer akzeptierter in der Bevölkerung zu werden.

Und genau das ist das Problem: Weite Teile der Medien erkennen die Demonstration nicht als Veranstaltung der Neonazis. Über die ONR (dt. Nationalradikales Lager), die Hauptorganisatoren des Marsches, wird nicht berichtet. Kein Wort darüber, dass es sich hierbei um eine Nachfolgeorganisation der verbotenen ONR der dreißiger Jahre handelt, die damals als faschistisch-antisemitische Organisation verboten wurde. Auch kein Wort darüber, das groß in rechten Hooligankreisen mobilisiert wird. Das sind Personen die mit Plakaten wie „Tod allen Krummnasen“ in den Stadien auf sich aufmerksam machen. Auch findet sich nirgendwo die Information über den Charakter der Neonaziszene Polens, die als eine der militantesten in ganz Europa gilt, mit besten Verbindungen zum „Blood & Honour“-Netzwerk und anderen internationalen Vereinigungen. Somit erkennen viele Polen und Polinnen nicht, dass sie mit ihrer Teilnahme an der Demonstration einen von Neonazis organisierten Protest unterstützen.

Die Neonazis geben sich bürgerlich und täuschen so die Medien

Genau das haben die Neonazis auch erkannt: Mit radikaler Rhetorik haben sie keine Chance mehr. Die ganz offensichtliche Bekenntnis zum Rassismus, Homophobie und Antisemitismus war in den letzten Jahren der Angriffspunkt des Bündnisses. Während neonationalsozialistische, antisemitische und rassistische Symboliken in den letzten Jahren noch offen zur Schau getragen wurden, verzichten die Veranstaltenden dieses Jahr darauf, bitten die Demonstrationsteilnehmenden, keine neonazistischen Symbole offen zu tragen. Auch der erst 2009 gewählte Name „Marsch der Unabhängigkeit“ soll von den Organisatoren ablenken, soll konservative, patriotische Kräfte ansprechen.

Das Schlimme ist: Es funktioniert. Wurde im letzten Jahr in den Medien noch überwiegend positiv über das Aktionsbündnis gegen den Aufmarsch berichtet, kommt es in diesem Jahr zu einer Welle der Kritik. Es wird von „Chaoten“ und „Antifahooligans“ gesprochen, deren Hauptfreizeitbeschäftigung es sei, sich mit der Polizei Straßenschlachten zu liefern. Über den Dresdner Aktionskonsens, der eine friedliche Blockade und absolute Gewaltfreiheit vorsieht, wird geschrieben, dass die Demonstrationen in Dresden berüchtigt für ihre Straßenschlachten mit tausenden Teilnehmenden und hunderten Verletzten seien. Insgesamt sei der Protest in Warschau nur ein Vorwand für die europäische, anarchistische Szene wieder einmal mit der Polizei zu kämpfen. Dass auch Gewerkschaften oder Kirchen sich an den Protesten beteiligen, also Institutionen die nicht gerade für ihre militanten Straßenschlachten bekannt sind, wird hier verschwiegen. Andere liberalere Blätter sagen, dass auch die Neonazis ein Demonstrationsrecht haben, welches nicht verletzt werden darf. Sie kriminalisieren die Menschen in den Blockaden als die Gesetzesbrecher, vergessen hierbei aber, dass die Demonstration auch ein Vernetzungstreffen der Personen ist, die nach einer Bilanz der Initiative »Nigdy weicej« (»Nie wieder«, www.nigdywiecej.org) seit 1989 über 50 Menschen umgebracht haben.

Es gibt nur noch wenig Zuspruch für das Bündnis, welches die Demokratie Polens beschützen möchte. Dennoch geben die Organisatoren nicht auf, hoffen auch dieses Jahr, den Aufmarsch der Neonazis blockieren zu können. Es bleibt abzuwarten, wer am Ende gewinnen wird, die Demokratie oder die Neonazis.

Ernst Sommer

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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