Die Ergebnisse der diesjährigen Leipziger Autoritarismus-Studie (LAS) belegen, dass autoritäre, menschenfeindliche Einstellungen in der deutschen Gesellschaft breite Zustimmung erfahren und multiple Krisenerfahrungen das subjektive Vertrauen in Demokratie und Politik erschüttern können. Die diesjährige Studie rückt erneut die Verbreitung von autoritären Haltungen in den Fokus und zeigt u.a., dass gegenüber den Ergebnissen in 2022 rechtsextreme Einstellungen wieder zunehmen. Die Autor*innen greifen auch aktuelle politische Entwicklungen auf und setzen sich erneut vertiefend mit Antifeminismus auseinander, erstmals wird dabei auch der Blick auf Transfeindlichkeit geworfen.
Antifeministische und sexistische Einstellungen sind in der Gesellschaft breit verankert
Während Sexismus schon länger Bestandteil der Erhebungen ist, erfasst die Leipziger Autoritarismus-Studie seit 2020 auch Antifeminismus als Ausdruck autoritärer Aggression. Antifeministische und sexistische Einstellungen bewegen sich dabei auf hohem Niveau und finden in allen gesellschaftlichen Gruppen Anklang. Bis zu einem Viertel der Deutschen weisen dabei sogar geschlossen antifeministische und sexistische Einstellungen auf.
Die Studie zeigt zudem einen auffälligen Ost-West-Unterschied: Während die Zustimmung zu antifeministischen und sexistischen Haltungen im Westen tendenziell sinkt, bleibt sie im Osten unverändert oder nimmt sogar zu: 2022 stimmten 20,8 Prozent der Ostdeutschen der Aussage zu, dass Frauen sich „in der Politik häufig lächerlich“ machten; 2024 sind es bereits 34,9 Prozent. Auch die Zustimmung zur Aussage, dass Frauen, „die mit ihren Forderungen zu weit gehen“, damit rechnen müssten, „in ihre Schranken gewiesen zu werden“, stieg im Osten von rund einem Viertel auf 35,6 Prozent.
Diese Entwicklung setzt sich teilweise auch bei der Dimension Sexismus fort. Dabei erzielte Sexismus bisher niedrigere Werte im Osten als im Westen. Nun zeichnet sich bei einigen Items ein Wandel ab: 2024 stimmen im Osten 31,4 Prozent der Aussage zu, dass Frauen sich stärker auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter konzentrieren sollten, während diese Ansicht im Westen 25,7 Prozent teilen. Ein weiteres Drittel der Ostdeutschen empfindet Frauen, die sich gegen Kinder und Familie entscheiden, als egoistisch – im Vergleich zu 18,9 Prozent im Westen. Dies deutet darauf hin, dass traditionelle Vorstellungen von Familie und Mutterschaft im Osten an Bedeutung gewinnen.
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Antifeminismus politisch und gesellschaftlich von hoher Relevanz bleibt. Ein Blick in die USA verdeutlicht diese Dynamik: Im Wahlkampf rückte das Recht auf Abtreibung in den Mittelpunkt, und Vizepräsidentin Kamala Harris sah sich mehrfach antifeministischen Narrativen ausgesetzt. Ähnliche Dynamiken sind in Deutschland zu beobachten, wo Debatten um geschlechtergerechte Sprache, das Selbstbestimmungsgesetz oder Schwangerschaftsabbrüche stark polarisieren und teils von rechter Seite aufgegriffen werden. Ebenso verstärkte sich die Gegenmobilisierung gegen queere Events und Demonstrationen, wie die CSDs – insbesondere im Osten – in diesem Jahr.
Transfeindlichkeit wird als neue Dimension abgefragt
Erstmals wurden in der Befragung 2024 spezifische Items genutzt, um Transfeindlichkeit zu messen – eine begrüßenswerte und dringend notwendige Erweiterung. Dass transfeindliche Einstellungen explizit in die Erhebung aufgenommen wurden, trägt den gesellschaftlichen Debatten und der besonderen strategischen Rolle von Trans- und Queerfeindlichkeit für antifeministische Agitation Rechnung. Explizite Transfeindlichkeit hat in den vergangenen Jahren zunehmend Homofeindlichkeit als Ausdruck queerfeindlicher Haltungen ergänzt. Spezifische transfeindliche Erzählungen und Mobilisierungen gegen die Rechte von trans und nicht binären Personen sind weltweit von besonderer Relevanz für autoritäre, extrem rechte und fundamental religiöse Akteur*innen. Sie stellen geframt als „Kulturkampf“ ein Thema mit breiter Anschlussfähigkeit in alle gesellschaftlichen Bereiche und politischen Lager dar. Die Gegnerschaft von trans Personen findet dabei auf einer „repräsentativen Ebene“
bzw. Stellvertreterebene statt. Das bedeutet, auch wenn öffentlich explizit Transgeschlechtlichkeit angegriffen und als Feindbild verhandelt wird, gilt dieser Angriff allen queeren Personen bzw. allen Personen, die heteronormative Vorstellungen überschreiten.
Die Leipziger Autoritarismus-Studie zeigt: Transfeindlichkeit ist in Deutschland weit verbreitet. Die Mehrheit aller Deutschen weist eine manifeste oder latente Transfeindlichkeit auf. Über ein Drittel der Deutschen (37 Prozent) vertritt ein geschlossen transfeindliches Weltbild. Besonders in Ostdeutschland finden sich höhere Zustimmungswerte zu transfeindlichen Haltungen.
Antifeminismus und Transfeindlichkeit als Teil des „autoritären Syndrom“
Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass zwar in der gesamten Gesellschaft antifeministische, sexistische und transfeindliche Einstellungen auf einem hohen Niveau sind – besonders stark jedoch bei Personen, die sich selbst als politisch „rechts“ verorten. Dieser Zusammenhang verdeutlicht die enge Verbindung in rechtsextreme Weltbilder. Besonders stark zeigt sich diese autoritäre Abwehrhaltung gegenüber Transgeschlechtlichkeit, die als Überschreitung und Bedrohung heteronormativer Geschlechterrollen empfunden wird. Mit 71 Prozent zeigt eine deutliche Mehrheit der AfD-Wählenden eine geschlossene Ablehnung gegenüber trans Personen.
Auch wenn gesellschaftlich schon längst zu spüren ist, welche Auswirkungen queerfeindliche Einstellungen und transfeindliche Erzählungen mit ihrer Reichweite im Netz und politischen Debatten haben, wird die Bedeutung des Antifeminismus und der Transfeindlichkeit in seiner Funktion als Türöffner für rechtsextreme Ideologien noch häufig unterschätzt. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen antifeministischen Einstellungen und anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, insbesondere Antisemitismus. Auch in der diesjährigen Befragung zeigt sich, dass Menschen mit einem geschlossen antifeministischen Weltbild häufig auch antisemitische Ansichten vertreten, wobei der Zusammenhang bei Personen, die sich politisch rechts einordnen, besonders stark ist.
Auch eine diskursive Nähe zu antisemitischen Narrativen ist erkennbar: Rechtsextreme Diskurse geben Jüdinnen und Juden eine Mitschuld am Feminismus und beschuldigen sie etwa, eine sogenannte „Transgender-Agenda“ zu verbreiten. Antifeminismus und Transfeindlichkeit nehmen dabei eine Scharnierfunktion ein, die es rechtsextremen Akteur*innen erleichtert, gesellschaftlich anschlussfähige Themen für ihre Kampagnen und Narrative zu nutzen. So werden Feministinnen und trans Personen zu zentralen Feindbildern aufgebaut, die genutzt werden, um politische Unterstützung zu mobilisieren. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, dass derartige Narrative gerade im Osten auf fruchtbaren Boden fallen. Offen bleibt, wie der sich ankündigende Stimmungswechsel im Westen bei den in der Studie erfassten Kategorien Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus und im Osten bei Antifeminismus, Sexismus und Transfeindlichkeit weiterhin entwickelt.
Fortsetzung folgt?
Obwohl Krisen auch Chancen für positive Veränderungen bieten können, fehlt es derzeit an Offenheit und Resilienz für gesellschaftlichen Wandel. Der Widerstand gegen progressive Entwicklungen zeigt sich auch in autoritären und rechtsextremen Kontinuitäten, die in der Gesellschaft tief verankert sind und häufig als Aggressionen gegenüber gesellschaftlichen „Anderen“ zum Ausdruck kommen. Migrant*innen, von Rassismus betroffene Personen, Jüdinnen und Juden, Sinti*zze und Rom*nja sowie queere Menschen sind von diesem Hass besonders betroffen. Auch in der vielbeschworenen „Mitte“ der Gesellschaft sind diese Ressentiments stark verbreitet.
Entgegen der landläufigen Meinung weist die Studie aber nach, dass „harte“ Faktoren wie soziale Ungleichheit weniger Einfluss auf autoritäre und rechtsextreme Haltungen haben – so hält sich beispielsweise die Erklärungskraft von erlebter Armut oder Arbeitslosigkeit in Grenzen. Zentraler für die Meinungsbildung erwiesen sich subjektive Deprivationserfahrungen, Ängste und das Gefühl, Deutschland würde es insgesamt schlechter gehen. Rechtsextreme Diskurse nutzen häufig Bedrohungsszenarien, wie etwa die Gefährdung von Kindern durch „Frühsexualisierung“, und docken so an Ängste und Unsicherheiten an – eine Verschlechterung der gesellschaftlichen Stimmungslage konnte die diesjährige Leipziger Autoritarismus-Studie ja bereits nachzeichnen.
Krisenwahrnehmung und Demokratievertrauen in unsicheren Zeiten
Ganz im Zeichen der jüngsten politischen Ereignisse wird in diesem Jahr erstmalig dem Krisenempfinden der Bevölkerung eine elementare Rolle beigemessen. Entlang verschiedener Krisenerscheinungen der letzten Jahre wird abgefragt, inwiefern diese Entwicklungen den Blick der Befragten auf ihre Zukunft verändert haben. Die Ergebnisse belegen, dass über die Hälfte der Bürger*innen sensibel gegenüber den abgefragten Entwicklungen reagiert – im Westen stärker als im Osten. Bei Themen wie dem Ukraine-Krieg, Migration sowie die Covid-19-Pandemie werden am häufigsten Veränderungen bemerkt. Bei derartigen Krisendiagnosen ist jedoch Vorsicht geboten: Denn das Erleben von Krisen – darauf weisen auch die Studienautor*innen hin – ist stark vom eigenen subjektiven Empfinden abhängig. Ob Krisen überhaupt als solche erlebt und gesellschaftlich eingeordnet werden und ob diese zu Verdruss, Unsicherheit oder Ängsten führen, ist davon abhängig wie die Krisen wahrgenommen werden und ob sie als (politisch) lösbar eingeschätzt werden.
Die Studie zeigt allerdings: Das Vertrauen der Bevölkerung in die Problemlösungsfähigkeit der politischen Institutionen ist gering, zusätzlich empfinden viele Bürger*innen ihre eigene politische Einflussnahme als gering.
In der Studie wird der Begriff „Transsexuelle“ verwendet. Die Kritik an der Verwendung des Begriffs „Transsexuelle“ liegt darin, dass er fälschlicherweise eine sexuelle Orientierung impliziert, während es tatsächlich um geschlechtliche Identitäten geht. Die Studienautor*innen begründen die Nutzung, da die Items auf einer Studie von Küpper et al. (2017) zu Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen basieren und lediglich „Homosexuelle“ gegen „Transsexuelle“ ausgetauscht wurde. Diese Entscheidung bietet laut Autor*innen zwei Vorteile: Erstens ist die Messung als verlässliches Instrument für Einstellungen bereits erprobt; zweitens gewährleistet sie Vergleichbarkeit mit früheren Studien und ermöglicht so weitergehende Analysen.