Sie haben Nachrichten mit Ermordungsfantasien zugeschickt bekommen. Und Sie haben sie öffentlich gemacht. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen?
Erst mal schwankt man: Soll ich das ernst nehmen? Ist das nur irgendwer, der sich einen schlechten Scherz erlaubt? Ich frage mich natürlich, wer steckt dahinter? Es ist ein Gefühl der Unsicherheit. Ich merke, dass die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre nicht spurlos an mir vorübergegangen ist. Ich habe mich an den „Nationalsozialistischen Untergrund“ erinnert gefühlt und mich gefragt: Knallen die mich jetzt auch ab? Und ich dachte: Wenn sie es tun, soll die Öffentlichkeit wissen, dass es vorher diese Droh-SMS gab.
Sie sind mit ihren Kunstfiguren „Jilet Ayşe“ und „Gerda Grischke“ auf YouTube äußerst erfolgreich. YouTube ist nicht gerade ein Ort des fein ausgewogenen, sachlichen Kommentars.
Nein, YouTube ist wirklich voll mit Hasskommentaren, das war von Anfang an so, seit ich dort aktiv bin. Aber dort konnte ich mir sagen. Das ist Internet. Da habe ich beschlossen: Das trifft mich nicht. Aber diesmal ist es etwas Anderes. Jemand hat sich meine Handynummer besorgt – zum Glück nur die berufliche. Jemand hat meine Mutter recherchiert und eine Drohung verfasst, die auch ihr gilt.
Die Familie mit in so eine Bedrohung aufzunehmen, würde ich auch als Verschärfung empfinden. Weiß Ihre Mutter davon?
Oh ja, sie weiß das. Sie hat gesagt: „Ich mach mich sofort auf die Suche nach dem, dann wollen wir mal sehen, wer hier wem droht!“ Sie ist sehr unterstützend! Aber ich merke, dass ich so eine Bedrohung mittlerweile im Kontext von vielen rassistischen Fehlentwicklungen der letzten Jahre sehe. Da ist der nicht aufgeklärte NSU-Komplex – wobei doch offensichtlich ist, dass das Netzwerk des NSU weit über die Leute hinausging, die vor Gericht standen. Aber die Unterlagen des Verfassungsschutzes sind ja nun 120 Jahre vor Veröffentlichung geschützt, da soll offensichtlich einiges nicht mehr zur Lebzeiten der Beteiligten publik werden. Die Anwältin Seda Başay-Yıldız aus Frankfurt wird vom „NSU 2.0“ bedroht – und die Spur führt in Polizeikreise. Daran musste ich denken bei meinen SMS vom „SS-Obersturmbannführer“. Ich denke daran, dass meine Videos auf AfD-Seiten gepostet werden, und dann fallen dort alle Anhänger*innen darüber her. Ich sehe den Terroranschlag in Neuseeland und die rechtsextremen Gruppen in Deutschland, die die militärische Organisation von „Tag X“ planen, an dem sie die Macht in Deutschland übernehmen wollen. Der Terror, der am anderen Ende der Welt geschieht, ist durch die rechtsextreme Internationale plötzlich sehr nah.
Sie fühlen sich vom Staat unzureichend geschützt?
Ja, ich fühle mich unzureichend geschützt als Mensch mit Rassismus-Erfahrung in Deutschland. Ich habe leider auch schon selbst erlebt, dass der Versuch, rassistische Beleidigungen anzuzeigen, dazu führen kann, dass Polizisten einem suggerieren wollen, man wäre doch wohl durch sein Verhalten beteiligt gewesen, wenn es zu rassistischen Abwertungen kommt. Das erschüttert natürlich das Grundvertrauen darein, dass Grundgesetz und Menschenrechte hier für alle umgesetzt werden!
Haben Sie die Bedrohungs-SMS angezeigt?
Ja, das ich habe Strafanzeige gestellt. Ich hoffe, dass die Polizei erfolgreich ermittelt, und ich möchte meine Prominenz nutzen und die Öffentlichkeit, die sie mir gibt, um dafür zu sorgen, dass der Fall nicht zu den Akten gelegt wird. Ich sehe mich da in einer Vorbildfunktion. Ich möchte zeigen: Ich wehre mich! Es ist nicht egal, dass so etwas in Deutschland passiert! Vor wenigen Tagen hat ein Rassist in Neukölln einer schwangeren Frau in Neukölln in den Bauch geboxt. Sie hat keine Öffentlichkeit. Sie kann sich nicht wehren. Deshalb muss ich das tun. Der Täter will, dass ich Angst habe und mich zurückziehe. Deshalb werde ich das nicht tun! Sawsan Chebli hat mir erzählt, das ihr schon Menschen geschrieben haben: „Ich kann Ihren Social Media Profilen nicht mehr folgen. Ich halte den Hass nicht aus, der Ihnen dort entgegenschlägt.“ Ich glaube, es ist wichtig, öffentlich zu machen, dass die Realität so aussieht.
Wie waren die Reaktionen darauf, dass sie die Bedrohung öffentlich gemacht haben?
Ich muss sagen, dass die Solidarität, die ich daraufhin erfahren habe, diese schreckliche Erfahrung glatt zu einer guten Erfahrung werden lässt. Es haben sich so viele Menschen solidarisch geäußert. Menschen, die Rassismus- und Bedrohungserfahrungen gemacht haben, und auch solche, die das nicht durchmachen mussten. Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, viele andere Künstler und Künstlerinnen haben sich sehr solidarisch gezeigt, und auch Männer wie Frauen. Die gemeinsame Botschaft dieser Solidaritätsbekundungen war: „Keiner von uns akzeptiert, dass so etwas in Deutschland geschieht. Hier ist eine Grenze überschritten.“ Ich muss zugeben, dass mir das viel Hoffnung zurückgegeben hat und mich wieder in Balance gebracht hat. Manchmal verliert man das Gefühl für Mehrheitsverhältnisse in Deutschland. Ich habe mich sehr gefreut, das etwa Jan Böhmermann und Shahak Shapira sich sehr solidarisch geäußert haben. Das ist ein Bild, dass ich mag: Fronten in der Gesellschaft verlaufen doch nicht zwischen Deutschen, Juden und Muslimen, sondern zwischen Demokrat*innen einerseits und Rassist*innen und Faschist*innen andererseits. Dies müssen wir immer wieder herausarbeiten, denn das ermöglicht uns, Probleme so anzusprechen, dass wir sie lösen können! Denn das Problem ist ja nicht Herkunft oder Glaube, sondern die Frage, für welche Werte stehe ich ein. Deshalb ist meine Erzählung ja auch nicht: „Deutsche sind böse wegen Rassismus“, sondern: Rassismus ist das Problem, die Herkunft hat damit nichts zu tun. Das umgeht auch Abwehrmechanismen, die das Reden über Rassismus bisweilen auslösen.
Werden Sie eigentlich mehr als Frau, als Mensch mit Migrationsgeschichte oder Komikerin angegriffen?
Oh, das geschieht oft in Kombination. Manche schaffen alles drei in einem Satz! Angriffe sind oft eine Mischung als Bodyshaming, Angriff auf Körperlichkeit, Weiblichkeit und aufs Migrantischsein. Ich polarisiere, weil ich mit meiner Arbeit einen Grundkonsens erschüttere, wie Dinge zu interpretieren sind. War etwa „Jilet Ayşe“ anfangs eher eine Karikatur, ist sie inzwischen weitaus ernsthafter und bearbeitet eine Menge Themen, die auch viele männliche Comedians mit Migrationshintergrund sich bisher nicht trauen. Wenn „Jilet“ einer sagt: „Ich sag Opfer zu Dir!“, sagt sie: „Dann sag ich Täter zu Dir!“. Sie vermittelt die Botschaft: „Es ist selbstverständlich, dass wir hier sind“, sie ist ein Gegenüber, dass die Asymmetrie in der Kommunikation verringert. Und damit inspiriert sie, wie ich mit Freude sehe, eine neue Generation von Comedians in Deutschland. Ich sehe nämlich auch Fortschritte im Umgang mit Rassismus in Deutschland und Migration in Deutschland. Jetzt brauchen wir nur noch ein Gesetz!
Wir brauchen ein Gesetz?
Ja, wir müssen die Grenzen dessen verteidigen, was wir wichtig finden. Wir müssen Individuen schützen, wie es das Grundgesetz und die Menschenrechte vorsehen. Ich glaube, wir brauchen ein Anti-Rassismus-Gesetz! Eines, das Rassismus unter Strafe stellt. Das es möglich macht, nicht nur Beleidigungen anzuzeigen, sondern auch gezielt rassistische Beleidigungen. Das Polizist*innen und Richter*innen verpflichtet, Rassismus als Tatmotivation mit aufzunehmen – und dafür sorgt, dass eine rassistische Motivation auch zu Strafverschärfung führt. Und ich wünsche mir, dass Migrant*innen, PoC, Sinti und Roma diejenigen sind, die für das Gesetz definieren, was Rassismus für sie ist. Das auch zur Anwendung kommt, wenn ein Fußballspieler 90 Minuten lang rassistische Beleidigungen von den Rängen ertragen muss – der bisher oft nur ein Schulterzucken erntet. Es muss uns doch möglich sein, rassistische Abwertungen endlich zu begrenzen in dieser Gesellschaft.
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