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Bedrohung Rechte „Feindeslisten“ sind eine konkrete Gefahr für Betroffene

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Symbolfoto. (Quelle: Pixabay / Bluesnap)

Anfang Januar 2019 wurde auf dem linken Internetportal Indymedia eine rechte Drohliste veröffentlicht. Überschrieben war diese mit dem Titel „Wir kriegen euch alle“. Aufgeführt wurden darin mehr als 200 Klarnamen und Adressen von Aktivist*innen, Journalist*innen und Politiker*innen. Die meisten von ihnen passen nicht in ein rechtes Weltbild, weil sie sich gegen Rassismus oder Rechtsextremismus engagieren. Einigen Einträgen wurden kurzem Hinweise oder Beleidigungen vorangestellt: „grün und homo“ oder „hetzt gegen AfD“ heißt es da zum Beispiel.

Kein neues Phänomen

Solche Feindeslisten stellen kein neues Phänomen dar. Sie dienen schon länger der Auswahl möglicher Anschlagsziele sowie der Einschüchterung von politischen Gegner*innen der rechten Szene. Darüber hinaus erleichtern Feindeslisten die Möglichkeit zum Missbrauch der persönlichen Daten. „Im Zuge verschiedener Ermittlungsverfahren des Bundeskriminalamtes (BKA) im Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität Rechts wurden eine Vielzahl von Listen sichergestellt, die Adress-, Personen- und Telefondaten enthielten“, teilte etwa die niedersächsische Landesregierung im Rahmen einer Kleinen Anfrage mit. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt jedoch, dass in der Öffentlichkeit nur selten genauere Informationen zum Inhalt von Feindeslisten bekannt werden. Vonseiten der Sicherheitsbehörden besteht kaum Interesse, die genannten Personen über ihre Lage zu informieren.

Die „Todesliste des NSU“

Eine umfangreiche Sammlung von Adressen fand die Polizei nach der Selbstenttarnung des NSU auf dem Computer von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Zwickau. Diese „Todesliste des NSU“, wie sie später in den Ermittlungsakten genannt wurde, umfasst rund 10.000 Datensätze von Adressen und Telefonnummern. Dazu wurden weitere Adresslisten im Brandschutt der Wohnung gefunden. Für die Ermittler stellt die Sammlung ein Indiz für mögliche Anschlagsziele und potentielle Opfer dar. Einige Angaben auf der „Todesliste des NSU“ sind nur mit guten Ortskenntnissen möglich, weshalb Beobachter des NSU-Prozesses dies schon lange als wichtigen Hinweis auf ein bundesweites Helfernetzwerk werten. Wie eine Kleine Anfrage der Linken Bundestagsabgeordneten Martina Renner vom August 2018 ergab, hatte das Bundeskriminalamt zu diesem Zeitpunkt nur drei Personen informiert, der Rest sei Aufgabe der Länder. Inzwischen ist durch parlamentarische Nachfragen bei den Landesregierungen klar, dass von dort ganz überwiegend eine Information der Genannten unterblieb. „Auch angesichts neu aufgetauchter Listen, auf denen bundesweit Linke, Journalist*innen und Antifa-Aktive geführt werden, steht das BKA in der Pflicht, Ermittlungen zur Herkunft der Daten sowie Parallelen und Gefährdungsprognose zentral in die Hand zu nehmen und Betroffene zu informieren.“, kommentiert Martina Renner. „Die Zuständigkeit ergibt sich auch aus den beiden Rechtsterrorverfahren des GBA zu Franco A. und Nordkreuz, in deren Zuge verschiedene Listen potenzieller Anschlagopfer festgestellt wurden. Man stelle sich vor, auf solch einer Liste zu stehen und im Unklaren gelassen zu werden.“

Feindeslisten bei Bundeswehr und Polizei

Dem Bundeswehr-Oberleutnant Franco A. wurde vorgeworfen, einen rechtsterroristischen Anschlag geplant zu haben, den er einem fiktiven Geflüchteten anhängen wollte. Im April 2017 wurde er wegen Terrorverdachts zwischenzeitlich festgenommen. Er führte eine Liste mit 32 Personen und Örtlichkeiten, darunter Ziele wie das Zentrum für politische Schönheit, die Amadeu Antonio Stiftung, der damalige Justizminister Heiko Maas oder der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck. Die Betroffenen wurden nachträglich vom Berliner LKA in Kenntnis gesetzt, ohne jedoch Details zu den gesammelten Informationen zu erhalten. Neben Franco A. wurde wenige Wochen später Maximilian T. verhaftet – ebenfalls wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren Straftat. Er wurde mittlerweile aus der Untersuchungshaft entlassen und arbeitet im Bundestagsbüro des Abgeordneten Jan Nolte (AfD).

Erst im November 2018 wurde von der taz und dem Focus über ein bundesweites Untergrundnetzwerk im Umfeld der Bundeswehr berichtet, dem auch Franco A. angehörte. Die Angehörigen dieses Netzwerkes rund um einen Account namens „Hannibal“ sollen sich in Chats und bei realen Treffen unter anderem über Gewaltpläne für einen „Tag X“ ausgetauscht haben. Ihr gemeinsames Ziel: im Krisenfall die Macht übernehmen und linke Politiker inhaftieren oder töten. Dafür hat allein die Untergruppe Nordkreuz eine Liste von 25.000 möglichen Anschlagszielen angelegt.

Für Abgeordnete von demokratischen Parteien, Gewerkschafter*innen, Journalist*innen, antifaschistische Aktivist*innen oder Angehörige von Geflüchteteninitiativen besteht somit aus Sicht von Opferberatungsstellen jetzt schon eine hohe Gefahr. Seitens der Zivilgesellschaft wird vor allem eine bessere Informationspraxis von den staatlichen Ermittlungsbehörden gefordert. Betroffenen soll die Möglichkeit gegeben werden, ihre Gefährdung selbst einzuschätzen.

Die „Kieler Liste“

Lasse Petersdotter sitzt für die Grünen im Landtag von Schleswig-Holstein. Seine Themen dort sind unter anderem Finanzen, Hochschule und Strategien gegen Rechtsextremismus. Schon vor drei Jahren wurde sein Name auf einer Internetseite namens „Kieler Liste“ veröffentlicht, die etwa 15 gesellschaftlich und politisch engagierte Personen umfasste. Neben der Veröffentlichung seiner persönlichen Daten wurden dort zahlreiche Informationen über ihn aus den Sozialen Medien akribisch zusammengetragen. Selbst Informationen zu öffentlichen Orten, an denen er sich regelmäßig aufhält, wurden genannt. Die Intention der Urheber wurde spätestens durch die Verwendung eines blutverschmierten Wappens der Stadt Kiel offensichtlich. Eine Anzeige bei der Polizei hat damals nicht zur Ermittlung der Täter führen können. Aus seinem persönlichen Umfeld habe er jedoch viel Solidarität erfahren, erzählt Petersdotter. Hinsichtlich der anderen Feindeslisten, die in den letzten Jahren bekannt geworden sind, meint er: „Der rechte Hintergrund solcher Listen muss seitens der Polizei ernst genommen werden. Das ist damals zu wenig geschehen und das passiert auch heute noch zu wenig.“ Auch die Bedeutung einer proaktiven Informationspraxis seitens der Ermittlungsbehörden wird von ihm hervorgehoben. Eine Gefährdungsbewertung sei von der Polizei nicht vorgenommen worden. „Die Polizei sollte jede einzelne Liste ernst nehmen, auch wenn die konkrete Bedrohung zunächst gering erscheint. Als Betroffener selber kann man die Gefahr dann besser einschätzen.“, so Petersdotter weiter.

Von den über 200 Betroffenen, die auf der neuesten Liste verzeichnet waren, sind mittlerweile viele von zivilgesellschaftlichen Akteuren informiert worden. Auch Blogger und Twitterer @korallenherz wurde dort nach eigener Aussage aufgeführt: „Auch mein Name mit Adresse steht auf dieser gestern aufgetauchten Liste. Gemeint sind wir alle!“ Andrea Johlige, die für die Linke im Landtag von Brandenburg vertreten ist, scheint sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Sie antwortet ihm prompt: „Meiner auch! Antifaschistische Grüße und immer weiter machen!“

 

Kai Stoltmann arbeitet bei „zebra e.V.  – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe“ und ist Vorstandsmitglied vom ‚VBRG – Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt‚. Diesen Text schreibt er allerdings als freier Autor.

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